Rz. 16
Mit der sog. "Junk" -Entscheidung des EuGH v. 27.1.2005 (EuGH, Urteil v. 27.1.2005, C-188/03[1]) wurde das frühere Verständnis überholt und die bisherige Praxis bei Massenentlassungen in ihren Grundfesten erschüttert.[2] Der EuGH entschied, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis (i. S. d. Massenentlassungsrichtlinie) ist, das als Entlassung gilt; die Kündigung dürfe erst nach dem Ende des Konsultationsverfahrens mit den Arbeitnehmervertretern (Art. 2 der Massenentlassungsrichtlinie) und nach der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung bei der zuständigen Behörde ausgesprochen werden (vgl. EuGH, Urteil v. 10.9.2009, C-44/08 ("Akavan")[3]).
Rz. 17
Das BAG hat sich der Auffassung des EuGH in inzwischen st. Rspr. angeschlossen und die Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt, dass unter dem Begriff der "Entlassung" der Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist und dass das Konsultationsverfahren mit den Arbeitnehmervertretern abgeschlossen und die Massenentlassungsanzeige erstattet sein muss, bevor der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen kann (BAG, Urteil v. 25.4.2013, 6 AZR 49/12[4]; BAG, Urteil v. 28.5.2009, 8 AZR 273/08[5]). Die Kündigung ist ausgesprochen, wenn sie dem Arbeitnehmer zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB[6]). Eine Kündigung ist rechtsunwirksam, wenn sie der Arbeitgeber unter Außerachtlassung der gesetzlichen Anforderungen des § 17 KSchG ausspricht (BAG, Urteil v. 21.3.2013, 2 AZR 60/12[7]). Entgegen der früheren Rechtsprechung[8] tritt nicht nur eine Entlassungssperre ein. Kündigt der Arbeitgeber das nach einer Massenentlassungsanzeige gekündigte Arbeitsverhältnis ein 2. Mal, so ist vor Ausspruch der 2. Kündigung das Konsultationsverfahren durchzuführen und eine erneute Massenentlassungsanzeige erforderlich, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG im Hinblick auf die 2. Kündigung erfüllt sind (BAG, Urteil v. 22.4.2010, 6 AZR 948/08[9]).
Rz. 18
Im Rahmen der Änderung seiner Rechtsprechung gewährte das BAG für sog. Altfälle Vertrauensschutz und behandelte Kündigungen bei verspäteter Anzeige nicht als unwirksam (BAG, Urteil v. 8.11.2007, 2 AZR 554/05[10]; BAG, Urteil v. 12.7.2007, 2 AZR 492/05[11]; BAG, Urteil v. 22.3.2007, 6 AZR 499/05[12]): Im Urteil v. 23.3.2006 führte das BAG aus, zumindest bis zur Bekanntgabe der Junk-Entscheidung des EuGH v. 27.1.2005[13] hätten Arbeitgeber auf die st. Rspr. des BAG sowie die durchgängige Verwaltungspraxis der BA vertrauen dürfen, die eine Massenentlassungsanzeige nach Ausspruch der Kündigung und vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen ließen (BAG, Urteil v. 23.3.2006, 2 AZR 343/05[14]).
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