2.2.1 Begriff der Rechtsunwirksamkeit

 

Rz. 10

Trotz des Wortlauts, wonach der Arbeitnehmer "die Rechtsunwirksamkeit" einer außerordentlichen Kündigung nur unter den weiter genannten Voraussetzungen geltend machen kann, meint der Begriff lediglich das Fehlen eines wichtigen Grundes (§ 626 BGB).[1] Ansonsten würde das Auflösungsrecht des Abs. 1 Satz 3 stets mit dem Ausschluss des Auflösungsrechts nach Abs. 3 kollidieren[2], wenn die außerordentliche Kündigung aus anderen Gründen als denen des § 1 Abs. 2 und 3 KSchG unwirksam wäre.

Weil ein wichtiger Grund fehlt, wenn der Arbeitgeber die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt, fällt auch die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unter den Begriff der Rechtsunwirksamkeit i. S. v. Abs. 1.[3]

Für die Geltendmachung sonstiger Unwirksamkeitsgründe gilt Abs. 3. Da Abs. 3 ebenso wie Abs. 1 die Geltung der Klagefrist nach § 4 KSchG vorsieht, ist die Frage, welche Unwirksamkeitsgründe unter Abs. 1 fallen, ohnehin nur für die Möglichkeit des Auflösungsantrags nach Abs. 1 Satz 3 bis 5 von Bedeutung.

[1] APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 18; HK-KSchG/Dorndorf, § 13 KSchG Rz. 33; HWK/Thies, § 13 KSchG Rz. 9; HaKo-KSchG/Gieseler, § 13 KSchG Rz. 17.
[2] Vgl. HaKo-KSchG/Gieseler, § 13 KSchG Rz. 17.
[3] APS/Biebl, § 13 KSchG Rz. 18; Linck/Krause/Bayreuther/Bayreuther, § 13 KSchG Rz. 4; HK-KSchG/Dorndorf, § 13 KSchG Rz. 34; HWK/Thies, § 13 KSchG Rz. 9; HaKo-KSchG//Gieseler, § 13 KSchG Rz. 17. KR/Treber/Rennpferdt, § 13 KSchG Rz. 10 fassen unter § 13 Abs. 1 KSchG nicht lediglich das Fehlen eines wichtigen Grundes und die Versäumung der Zweiwochenfrist; bei dieser Auslegung von § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG fragt sich, welche Bedeutung § 13 Abs. 3 KSchG dann noch zukommt.

2.2.2 Geltung des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 KSchG

 

Rz. 11

Die Geltung des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 KSchG durch den Verweis in Abs. 1 Satz 2 hat vor allem zur Folge, dass der Arbeitnehmer die dreiwöchige Klagefrist einhalten muss, wenn er die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung gerichtlich geltend machen will; ansonsten gilt die außerordentliche Kündigung nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Dies gilt auch für Arbeitnehmer, die die Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) noch nicht vollendet haben, und für Arbeitnehmer, die die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Änderungskündigung gerichtlich geltend machen wollen (s. Rz. 8, 9).

Die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 Satz 1 findet allerdings trotz des zunächst eindeutig erscheinenden Wortlauts nicht auf sämtliche Unwirksamkeitsgründe Anwendung; insbesondere bei einer Kündigung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht[1] ist § 4 Satz 1 KSchG nicht anzuwenden. Dies gilt auch bei einer Kündigung durch den "falschen" Arbeitgeber oder bei einer Kündigung durch einen Nichtberechtigten.[2] Bei einer ohne Vollmacht oder von einem Nichtberechtigten erklärten Kündigung liege keine Kündigung des Arbeitgebers vor; eine ohne Billigung (Vollmacht) des Arbeitgebers ausgesprochene Kündigung sei dem Arbeitgeber erst durch eine (nachträglich) erteilte Genehmigung zurechenbar. Die 3-wöchige Klagefrist könne deshalb frühestens mit Zugang der Genehmigung zu laufen beginnen.[3]

 

Rz. 12

Für Auszubildende gilt, falls ein Ausschuss zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildendem und Auszubildendem besteht, die Frist zur Klagerhebung nach § 4 KSchG nicht; vielmehr muss einer Klage in allen Fällen die Verhandlung vor diesem Ausschuss vorausgehen (§ 111 Abs. 2 Satz 1 und 5 ArbGG). Umstritten ist, ob der Ausschuss innerhalb der 3-wöchigen Frist des § 4 KSchG angerufen werden muss.[4] In jedem Fall muss der Auszubildende, wenn der Spruch nicht von beiden Seiten anerkannt wird, bereits binnen 2 Wochen nach ergangenem Spruch Klage erheben (§ 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG).

 

Rz. 13

Besteht ein Ausschuss nach § 111 Abs. 2 Satz 1 ArbGG dagegen nicht, gilt § 4 KSchG auch für den Auszubildenden.[5]

[1] BAG, Urteil v. 6.9.2012, 2 AZR 858/11, BAGE 143, 84: Im Falle des (formwirksamen) Ausspruchs einer Kündigung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht beginnt die Klagefrist des § 4 KSchG erst mit dem Zugang der Genehmigung des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer.
[2] BAG, Urteil v. 26.3.2009, 2 AZR 403/07, AP Nr. 70 zu § 4 KSchG 1969, NZA 2009, 1146 ff.
[4] Vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Prütting, ArbGG, 10. Aufl. 2022, § 111 Rz. 22 ff. m. w. N. zum Streitstand.
[5] BAG, Urteil v. 5.7.1990, 2 AZR 54/90, DB 1991, 2679; zust. Germelmann/Matthes/Prütting/Prütting, ArbGG, § 111 Rz. 25.

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