Rz. 977

Weitere Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 KSchG ist, dass die soziale Auswahl der Arbeitnehmer, auf der die Namensliste beruht, in einem Kündigungsschutzverfahren nur auf "grobe Fehlerhaftigkeit" überprüft wird. Im Gegensatz zu § 1 Abs. 4 KSchG bezieht sich der eingeschränkte Prüfungsmaßstab allerdings nicht nur auf die Gewichtung der sozialen Gesichtspunkte, sondern auch auf die Richtigkeit der getroffenen Sozialauswahl und die Entscheidung im Einzelfall (BAG, Urteil v. 17.11.2005, 6 AZR 107/05[1]).

 

Rz. 978

Zum einen betrifft dies die Entscheidung der Betriebspartner über die Mitarbeiter, die überhaupt in einer Sozialauswahl zu berücksichtigen sind (Vergleichbarkeit). Dieser Aspekt war im Schrifttum lange umstritten; teilweise wurde vertreten, die Abgrenzung des einzubeziehenden Personenkreises sei eine Rechtsfrage und keine Frage des Auswahlermessens.[2] Das BAG ist jedoch seit Längerem der Auffassung, dass sich der reduzierte Prüfungsmaßstab des § 1 Abs. 5 KSchG auch auf die Vergleichsgruppenbildung erstrecke. Angesichts der Forderung nach größerer Rechtssicherheit mache es wenig Sinn, die Sozialauswahl, was die Kriterien und ihre Gewichtung angeht, nur einer eingeschränkten Überprüfung auf grobe Fehlerhaftigkeit zu unterwerfen, die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer als solche jedoch auszuklammern (BAG, Urteil v. 7.5.1998, 2 AZR 536/97[3]).

 

Rz. 979

Zum anderen gilt dies auch für die Bewertung der berechtigten betrieblichen Interessen gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG durch die Betriebspartner. Die Herausnahme einzelner Leistungsträger aus der Sozialauswahl unterliegt somit ebenfalls nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.[4] Das BAG hat diese Frage in seinen bisherigen Entscheidungen ausdrücklich offengelassen (BAG, Urteil v. 12.4.2002, 2 AZR 706/00[5]). Der gesetzgeberische Wille ist insoweit jedoch eindeutig; die Richtigkeitsvermutung des § 1 Abs. 5 KSchG soll sich ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs auch auf die Herausnahme bestimmter Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG erstrecken.[6] Selbst wenn die Gesetzesbegründung für die Auslegung der Vorschrift durch die Gerichte nicht bindend ist, so hat sich die Rechtsprechung erwartungsgemäß in diese Richtung entwickelt (BAG, Urteil v. 10.6.2010, 2 AZR 420/09[7]).

 

Rz. 980

Die eingeschränkte Prüfungskompetenz der Arbeitsgerichte betrifft danach die soziale Auswahl in jeder Hinsicht. Die Arbeitsgerichte werden die gesamte Sozialauswahl, einschließlich der Bildung auswahlrelevanter Gruppen und der Herausnahme von betrieblichen Leistungsträgern, nur auf grobe Fehler überprüfen (BAG, Urteil v. 21.2.2002, 2 AZR 581/00[8]). Die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 KSchG knüpfen somit an der konkreten Namensliste, auf die sich die Betriebspartner verständigt haben, an.[9] Dabei muss die Beteiligung einzelner Altersgruppen am Personalabbau jedoch auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 KSchG streng proportional erfolgen. Nur im Anwendungsbereich des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ist eine Veränderung der Personalstruktur möglich. Würde man dies auch außerhalb des engen Anwendungsbereichs der Insolvenzordnung gestatten, könnten sich die Betriebsparteien willkürlich über die gesetzlichen Grundbedingungen der Sozialauswahl hinwegsetzen (BAG, Urteil v. 26.3.2015, 2 AZR 478/13[10]).

 

Rz. 981

Grob fehlerhaft ist eine Sozialauswahl insbesondere, wenn die Gewichtung der 4 Hauptkriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn ein Kriterium überhaupt nicht berücksichtigt wurde, sondern allgemein, wenn "ein evidenter ins Auge springender, schwerer Fehler" vorliegt und man über die Mangelhaftigkeit der Sozialauswahl nicht mehr ernsthaft diskutieren kann (BAG, Urteil v. 3.4.2008, 2 AZR 879/06[11]). So dürfen die Betriebspartner z. B. den Unterhaltspflichten der betroffenen Arbeitnehmer zentrale Bedeutung beimessen (BAG, Urteil v. 2.12.1999, 2 AZR 757/98[12]); eine völlig unausgewogene Gewichtung liegt indessen vor, wenn pro Beschäftigungsjahr ein Punkt, pro Lebensjahr ein halber Punkt und pro unterhaltspflichtiger Person 30 Punkte vergeben werden.[13] Wird die Sozialauswahl unter Verkennung des Betriebsbegriffs durchgeführt, stellt dies nicht zwangsläufig einen "groben Fehler" dar. Hier handelt es sich um einen Unterfall der Verkennung des auswahlrelevanten Personenkreises, der nach Ansicht des BAG nur relevant sei, wenn seine Fehlerhaftigkeit "ins Auge springt" (BAG, Urteil v. 20.9.2012, 6 AZR 483/11[14]). Die Offensichtlichkeit des Mangels kann indessen keine Voraussetzung einer groben Fehlerhaftigkeit darstellen; der Prozess einer Sozialauswahl ist schlechterdings zu komplex, als dass selbst gravierende Fehler einem Betrachter sofort ins Auge springen müssten.

 

Rz. 982

Das BAG hat wiederholt bestätigt, dass das Verbot der Altersdiskriminierung weder als Grundsatz des Gemeinschaftsrechts noch in seiner Ausgestaltung durch das Allge...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge