Rz. 816

Die vom Arbeitgeber zu treffende Sozialauswahl ist streng betriebsbezogen und auch bei einer entsprechenden Ausweitung des Direktionsrechts des Arbeitgebers nicht unternehmensbezogen (BAG, Urteil v. 2.6.2005, 2 AZR 158/04[1]). Denn die Sozialauswahl hat die Funktion festzulegen, welchen von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern des Betriebs die Kündigung zu treffen hat, wenn das dringende betriebliche Erfordernis nur der Weiterbeschäftigung eines von diesen Arbeitnehmern entgegensteht. Die Sozialauswahl ist damit als personelle Konkretisierung der die Kündigung bedingenden dringenden betrieblichen Erfordernisse zu verstehen (BAG, Urteil v. 27.4.2017, 2 AZR 67/16[2]). Allerdings setzt ein Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne keine räumliche Einheit voraus (BAG, Urteil v. 7.7.2010, 2 AZR 12/10).[3] Nicht nur der Wortlaut des § 1 Abs. 3 KSchG knüpft an die dringenden betrieblichen Erfordernisse des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG an, sondern auch die sog. Leistungsträgerregelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 stellt auf betriebliche Interessen des Arbeitgebers ab. Auch die Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG, wonach betriebs- und dienststellenübergreifend Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für die zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer zu prüfen sind, steht der sich eindeutig aus Wortlaut und Systematik ergebenden Betriebsbezogenheit der Sozialauswahl nicht entgegen. Diese Ausnahmeregelung entspricht dem "ultima ratio" -Grundsatz und betrifft nur freie Arbeitsplätze. Würde man auch die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ganz oder teilweise auf den Unternehmensbereich ausdehnen, so würde dies notwendigerweise zu Austauschkündigungen führen. Daran ändert auch eine sog. Versetzungsklausel, die den Arbeitgeber zur Versetzung des Arbeitnehmers in andere Betriebe des Unternehmens ermächtigt, nichts (BAG, Urteil v. 15.12.2005, 6 AZR 199/05[4]).

 
Hinweis

Besteht in einem der Betriebe eines Unternehmens ein dringendes betriebliches Erfordernis, etwa die Personalstärke an den gesunkenen Arbeitsanfall anzupassen, so kann dies grds. nur die Kündigung gegenüber Arbeitnehmern dieses Betriebs sozial rechtfertigen.

 

Rz. 817

Die st. Rspr. des BAG (z. B. BAG, Urteil v. 2.6.2005, 2 AZR 158/04[5]) und die fast einhellige Lehre gehen deshalb von der Betriebsbezogenheit der sozialen Auswahl aus und nehmen an, Arbeitnehmer anderer Betriebe eines Unternehmens oder eines Konzerns sind grds. nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen (BAG, Urteil v. 26.2.1987, 2 AZR 177/86; BAG, Urteil v. 22.5.1986, 2 AZR 612/85[6]). Würde man in die Sozialauswahl vergleichbare Arbeitnehmer mehrerer, möglicherweise weit auseinander liegender Betriebe des Unternehmens einbeziehen, hätte dies eine nicht zu vertretende Erschwerung der Vorbereitung eines Kündigungsentschlusses durch den Arbeitgeber und dessen Nachprüfung durch die Gerichte zur Folge. Darüber hinaus würde eine solche Praxis zu nur schwer lösbaren Problemen im Rahmen der Beteiligung von Betriebs- bzw. Personalrat führen.

 

Rz. 817a

Auch bei beabsichtigter Teilbetriebsstilllegung und Teilbetriebsübergang war nach bisheriger Rechtsprechung des BAG eine auf den gesamten Betrieb, einschließlich des später übergehenden Betriebsteils, bezogene Sozialauswahl durchzuführen (BAG, Urteil v. 28.10.2004, 8 AZR 391/03[7]). An dieser Rechtsprechung hält das BAG jedoch nicht mehr fest (jüngst BAG, Urteil v. 14.5.2020, 6 AZR 235/19[8] und erstmals zweifelnd BAG, Urteil v. 27.2.2020, 8 AZR 215/19[9]). Die zuvor vertretene Rechtsansicht sei, so das BAG, mit § 613a BGB sowie der Rechtsprechung des EuGH zur Richtlinie 2001/23/EG nicht vereinbar (BAG, Urteil v. 14.5.2020, 6 AZR 235/19[10]). Denn: Sowohl die Richtlinie als auch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB verfolgten das Ziel, die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse zu gewährleisten. Vorgeschrieben sei der Übergang der Arbeitsverhältnisse, die dem übergehenden Betriebsteil zugeordnet seien. Eine wirtschaftliche Einheit könne auch nicht nachträglich geschaffen und die mangelnde Zuordbarkeit von Arbeitnehmern nicht durch eine betriebsbezogene Sozialauswahl ersetzt werden (BAG, Urteil v. 14.5.2020, 6 AZR 235/19[11]). In der Konsequenz ist § 613a BGB, der anders als § 1 Abs. 3 KSchG keinen Sozialschutz darstellt, daher vorrangig vor § 1 Abs. 3 KSchG anzuwenden. Die Sozialauswahl kann demnach nur in Bezug auf den stillzulegenden Betriebsteil – und nicht auf den übergehenden Teil erstreckt – durchgeführt werden.[12]

 

Rz. 818

Eine Ausnahme von der Sozialauswahl besteht hingegen dann nicht, wenn der Arbeitgeber zwar zunächst allen Arbeitnehmern seines Betriebes kündigt, jedoch einem Teil der Arbeitnehmer im Zusammenwirken mit einem Schwesterunternehmen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anbietet, ohne dass die Kündigung Folgen rechtlicher oder sozialer Art für das Arbeitsverhältnis haben soll (BAG, Urteil v. 21.5.2015, 8 AZR 409/13[13]). Bilden mehrere Unternehmen einen gemeinschaftlichen Betrieb, so ist die Sozialauswahl bis z...

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