Rz. 756

Stehen bei einem betriebsbedingten Wegfall von Arbeitsplätzen nicht hinreichend viele andere Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für alle Arbeitnehmer zur Verfügung, hat der Arbeitgeber bei der Auswahl unter den Betroffenen soziale Belange zu berücksichtigen (BAG, Urteil v. 21.9.2000, 2 AZR 385/99[1]). Voraussetzung ist jedoch zunächst, dass im Hinblick auf die zu besetzenden freien Arbeitsplätze die Arbeitnehmer nach Ausbildung, Qualifikation und Fähigkeiten gleich geeignet sind.

 

Rz. 757

Kommen für einen freien vergleichbaren Arbeitsplatz im selben Betrieb mehrere von einer Kündigung betroffene Arbeitnehmer in Betracht, hat der Arbeitgeber eine Auswahlentscheidung entsprechend den Grundsätzen der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 und 4 KSchG zu treffen. Konkurrieren die Arbeitnehmer um anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben desselben Unternehmens, überträgt das BAG zwar nicht die strengen Anforderungen einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG; der Arbeitgeber hat jedoch im Rahmen seines Ermessens die sozialen Belange zumindest nach § 315 BGB zu berücksichtigen (BAG, Urteil v. 29.1.2015, 2 AZR 164/14; BAG, Urteil v. 22.3.2012, 2 AZR 167/11[2]). Im Schrifttum ist diese Ansicht überwiegend kritisiert worden. Das Gesetz enthalte hinsichtlich der Konkurrenzsituation um Arbeitsplätze verschiedener Betriebe eine ungewollte Regelungslücke, die durch Anwendung der gesetzlich geregelten Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG interessengerecht geschlossen werden könne.[3] Im Ergebnis werden die beiden Ansichten kaum zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, da der unbestimmte Rechtsbegriff einer billigen Entscheidung in § 315 BGB in der Praxis mit den Kriterien einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ausgefüllt werden dürfte.

 
Hinweis

Um Risiken einer sozialwidrigen Auswahlentscheidung zu umgehen, sollte der Arbeitgeber sich an die Sozialkriterien des § 1 Abs. 3 halten. Denn jede Entscheidung, die diesen Kriterien gerecht wird, ist auch eine billige Entscheidung im Rahmen des § 315 BGB. Die Stellenkonkurrenz ist daher nach den Kriterien der Dauer der Betriebszugehörigkeit, des Lebensalters, der Unterhaltspflichten und der Schwerbehinderteneigenschaft zu lösen.

 

Rz. 758

Die Grundsätze der Sozialauswahl hat der Arbeitgeber auch dann zu beachten, wenn die vom Wegfall des Arbeitsplatzes betroffenen Arbeitnehmer um verschiedenartige Beschäftigungsmöglichkeiten konkurrieren. Wenn daher z. B. freie Arbeitsplätze mit verschiedenen Arbeitsbedingungen oder an verschiedenen Orten zur Verfügung stehen, hat der Arbeitgeber in einem 1. Schritt unter Berücksichtigung einer Sozialauswahl zwischen den betroffenen Arbeitnehmern zu entscheiden, wem er eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anbietet und wer gekündigt wird. Die verschiedenartigen Beschäftigungsmöglichkeiten hat er dann wiederum nach sozialen Kriterien unter den Weiterzubeschäftigenden zu verteilen, soweit diese einem objektiven Günstigkeitsvergleich zugänglich sind.[4]

 

Rz. 759

Der Arbeitgeber kann die Grundsätze der Sozialauswahl nicht dadurch umgehen, dass er zunächst die zur Verfügung stehenden freien Arbeitsplätze besetzt, d. h. fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit treuwidrig herbeiführt, und sodann Beendigungskündigungen ausspricht (BAG, Urteil v. 25.10.2012, 2 AZR 552/11[5]; BAG, Urteil v. 24.11.2005, 2 AZR 514/04[6]). Die unternehmerische Entscheidung, die zum Wegfall der ursprünglichen Beschäftigungsmöglichkeiten führt, ist Grundlage sowohl für den Beschluss, andere Arbeitsplätze zuzuweisen, als auch für die Beendigungskündigungen. Die Entscheidungen stellen daher einen einheitlichen unternehmerischen Vorgang dar, der unter die Bedingung der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG fällt. Andernfalls läge ein Verstoß gegen den Rechtsgedanken des § 162 BGB vor; der Arbeitgeber darf Stellenbesetzungen nicht vorziehen, um Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes zu umgehen (BAG, Urteil v. 25.4.2002, 2 AZR 260/01[7]). Hier gilt nichts anderes als bei der Beurteilung, ob ein anderer Arbeitsplatz im Zeitpunkt der Kündigungserklärung als frei anzusehen war.[8]

[1] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 111.
[2] NZA 2012 S. 1040.
[3] Schmitt, Sozialauswahl bei Konkurrenz um anderweitige Beschäftigung, 2000, S. 92 ff., 102; APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, § 1 KSchG, Rz. 584; ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 253; v. Hoyningen-Huene/Linck/Krause, KSchG, 15. Aufl. 2013, § 1 KSchG, Rz. 805.
[4] Vgl. Rz. 704.
[5] NZA-RR 2013 S. 632.
[6] NZA 2006 S. 665.
[7] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121, NZA 2003 S. 605.
[8] Vgl. Rz. 687.

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