Rz. 725

Die vom Arbeitgeber zu beachtende Rangfolge bei der Durchführung betrieblicher Maßnahmen führt insbesondere dazu, dass eine Versetzung oder eine Änderungskündigung als mildere Mittel in Betracht kommen können. Hierbei gilt der Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung (BAG, Urteil v. 27.9.1984, 2 AZR 62/83[1]). Eine Änderungskündigung wiederum ist nur zulässig, wenn der Arbeitgeber nicht bereits im Wege des Direktionsrechts einen anderen freien Arbeitsplatz zuweisen kann.[2] Kann der Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz auf der Grundlage seiner Qualifikation und Erfahrungen weiterbeschäftigt werden, ist die Beendigungskündigung unverhältnismäßig. Der nach der Generalklausel des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu prüfende "ultima-ratio-Grundsatz" wird in § 1 Abs. 2 KSchG insoweit normativ konkretisiert (BAG, Urteil v. 25.4.2002, 2 AZR 260/01[3]). Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG ist die Kündigung auch sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Für Betriebe und Verwaltungen des öffentlichen Rechts gilt nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2b KSchG die Kündigung dann als sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann (BAG, Urteil v. 22.10.2015, 2 AZR 582/14[4]). Nach der Rechtsprechung des BAG entspricht die Gesamtheit der Dienststellen in einem umschriebenen Bereich dem Unternehmen im Bereich der Privatwirtschaft (BAG, Urteil v. 17.5.1984, 2 AZR 109/83[5]).

 

Beispiel

Arbeitgeber Z stellt Telefon- und Internetleistungen gewerblichen Nutzern zur Verfügung und bietet darüber hinaus Wartungsleistungen für die Endgeräte an. Er unterhält Betriebe in der gesamten Bundesrepublik. Sein Betrieb in Berlin ist seit einiger Zeit stark defizitär, woraufhin er sich zu einer Betriebsteilstilllegung entschließt: Wartungsdienste sollen in Berlin nicht mehr durchgeführt werden. Er kündigt daraufhin sämtlichen im Wartungsbereich tätigen Angestellten, darunter dem Techniker U und der Sekretärin V. U und V erheben Kündigungsschutzklage. U trägt vor, Z habe zum Zeitpunkt der Kündigung für seine Betriebe Köln und Hamburg Techniker gesucht. V macht geltend, sie habe als Sekretärin für den Bereich Internet weiterarbeiten können; dort sei eine Kollegin zum Zeitpunkt ihrer Kündigung ausgeschieden. Beide Arbeitnehmer haben mit ihrer Klage Erfolg. Vor dem Ausspruch der Kündigung hätte Z Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, und zwar sowohl im "Restbetrieb" als auch in seinen anderen Betrieben prüfen müssen.

 

Rz. 726

Die Weiterbeschäftigungspflicht gilt auch unabhängig von den weiteren in § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG normierten Voraussetzungen eines Widerspruchs des Betriebsrats, des Personalrats oder einer sonstigen Arbeitnehmervertretung. Denn der individualrechtliche Kündigungsschutz ist nicht abhängig von dem Bestehen oder Tätigwerden einer Arbeitnehmervertretung (BAG, Urteil v. 8.5.2014, 2 AZR 1001/12[6]).

[1] AP KSchG 1969 § 2 Nr. 8, NZA 1985 S. 455.
[2] Aszmons/Hoppe, ArbRAktuell 2016, S. 448.
[3] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 121, NZA 2003 S. 605.
[4] NZA 2016 S. 33.
[5] AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21, NZA 1985 S. 489; BAG, Urteil v. 15.12.1994, 2 AZR 320/94, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 66, NZA 1995 S. 413; zu Einzelheiten der Kündigung im öffentlichen Dienst vgl. Rz. 715 ff.
[6] NZA 2014 S. 1200; BAG, Urteil v. 29.8.2013, 2 AZR 721/12, NZA-RR 2014 S. 325; ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 248; APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, § 1 KSchG, Rz. 544; SPV/Preis, 11. Aufl. 2015, § 2 KSchG, Rz. 988.

4.2.3.1 Weiterbeschäftigung im Betrieb, Unternehmen oder Konzern

 

Rz. 727

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung zunächst gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer "in diesem Betrieb" nicht weiterbeschäftigt werden kann.[1] Zu dem für die Weiterbeschäftigung relevanten Betrieb zählt ebenso wie beim Kündigungsgrund auch der Gemeinschaftsbetrieb.[2] Hinsichtlich der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz im Gemeinschaftsbetrieb ist daher nicht darauf abzustellen, wer Vertragsarbeitgeber ist und welche Arbeitsplätze diesem zuzuordnen sind. Haben verschiedene Arbeitgeber einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet, ist vor Ausspruch einer Kündigung unabhängig von der konkreten vertraglichen Anbindung an einen Arbeitgeber zu prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung auf einem Arbeitsplatz in dem gesamten Betrieb möglich ist (BAG, Urteil v. 18.10.2000, 2 AZR 494/99[3]). Der Kündigungsschutz ist insoweit arbeitgeberübergreifend.[4] Allerdings bedarf es auf der Grundlage der jeweiligen Leitungs- und Führungsvereinbarung auch einer Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeit seitens des Vertragsarbeitgebers. Andernfalls fehlt es an der für die Erstreckung notwendigen Rechtsgrundlage. Eine solche feh...

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