3.1.5.1 AIDS und HIV-Infektion

 

Rz. 540

Eine AIDS-Erkrankung kann bei Vorliegen der Voraussetzungen einer personenbedingten Kündigung wegen langandauernder Erkrankung oder häufiger Kurzerkrankung eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen.

Abzugrenzen hiervon ist der Fall einer HIV-Infektion, die dem Ausbruch der AIDS-Erkrankung vorangeht und zum Teil über viele Jahre zu keiner gesundheitlichen Beeinträchtigung führt, womit zunächst auch grds. die persönliche Eignung des Arbeitnehmers nicht betroffen ist. Die Infektion allein begründet dann noch keinen Kündigungsgrund (ArbG Berlin, Urteil v. 16.6.1987, 24 Ca 319/86[1]), wenn aufgrund der ausgeübten Tätigkeit ein Ansteckungsrisiko für Dritte nicht besteht. Bestehen insoweit allerdings Gefährdungsrisiken, etwa in medizinischen Berufen, ist zu prüfen, ob eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz oder eine Veränderung der Arbeitsabläufe eine Gefährdung ausschließen können. Eine Kündigung ohne eine solche Gefährdungslage, die allein aufgrund einer HIV-Infektion ausgesprochen wird, kann gem. § 242 BGB treuwidrig sein.

Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Kündigungen aufgrund einer HIV-Infektion findet sich bisher nur in der Konstellation, in der sich der betreffende Arbeitnehmer mangels Erfüllung der Wartezeit noch nicht auf den Kündigungsschutz nach § 1 KSchG berufen konnten. So hat das Bundesarbeitsgericht bei einer Kündigung während der Wartezeit entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der eine symptomlose HIV-Infektion aufweist, behindert i. S. d. AGG ist, weil die gesellschaftliche Teilhabe von HIV-Infizierten typischerweise durch Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt ist (BAG, Urteil v. 19.12.2013, 6 AZR 190/12[2]). Die Kündigung dieses chemisch-technischen Assistenten, der zur Herstellung intravenös verabreichter Medikamente in einem sog. Reinraum beschäftigt wurde, sei diskriminierend, sofern der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen könne. Diese Grundsätze lassen sich auf die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer personenbedingten Kündigung übertragen. Bestehen in einer solchen Konstellation Einsatzmöglichkeiten im Rahmen angemessener Vorkehrungen, wäre eine personenbedingte Kündigung nicht gerechtfertigt.

Anders gestaltete sich der Fall einer Kündigung während der Wartezeit, in dem der Arbeitnehmer nach Kenntniserlangung von der Infektion einen Suizidversuch unternommen hatte und danach längere Zeit (nahezu 3 Monate) arbeitsunfähig erkrankt war und dieser Zustand nach ärztlichem Attest weiter fortbestehen sollte. Diese Kündigung war nach der Entscheidung des BAG wirksam (BAG, Urteil v. 16.2.1989, 2 AZR 347/88[3]).

 

Rz. 541

Verlangen die Belegschaft oder Teile davon, dass der betroffene Arbeitnehmer entlassen wird, ist die Kündigung an den strengen Voraussetzungen der Druckkündigung zu messen.[4] Der Arbeitgeber muss sich also zunächst schützend vor den Arbeitnehmer stellen. Eine Druckkündigung gegenüber einem infizierten Arbeitnehmer ist nur dann wirksam, wenn schwere Nachteile für den Arbeitgeber wegen Drohung der Arbeitnehmer mit Verweigerung der Arbeitsleistung oder Dritter mit Abbruch der Geschäftsbeziehungen ernsthaft zu besorgen sind.

[1] NZA 1987, 637.
[2] AP AGG § 2 Nr. 3.
[3] NZA 1989, 962.
[4] Vgl. auch Reinhard, § 1, Rz. 790 ff.

3.1.5.2 Alkohol- und Drogenabhängigkeit

 

Rz. 542

Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, so wird die Wirksamkeit der Kündigung anhand der Grundsätze der krankheitsbedingten Kündigung geprüft (BAG, Urteil v. 20.12.2012, 2 AZR 32/11[1]). Denn Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit im medizinischen Sinne. Sie liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußert sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle (BAG, Urteil v. 1.6.1983, 5 AZR 536/80[2]). Dies lässt sich gleichermaßen übertragen auf eine Abhängigkeit von anderen Drogen.

 

Rz. 543

Entsprechend den Grundsätzen zur krankheitsbedingten Kündigung muss es auch bei der Kündigung wegen einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit in der Vergangenheit zu betrieblichen Störungen gekommen sein, die eine negative Prognose für die Zukunft begründen. Die Alkoholerkrankung kann bereits dann zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen, wenn die vertraglich geschuldete Tätigkeit mit einer nicht unerheblichen Gefahr für den Arbeitnehmer oder für Dritte verbunden ist (BAG, Urteil v. 20.3.2014, 2 AZR 565/12[3]).

Der Arbeitgeber ist wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Regelfall verpflichtet, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung die Durchführung einer Entziehungskur zu ermöglichen. Hierauf kann sich der Arbeitnehmer jedoch nur berufen, wenn der Arbeitgeber Kenntnis von der Suchtkrankheit hatte, also nicht, wenn der Arbeitnehmer diese trotz Auskunftsverlangens des Arbeitgebers verheimlicht...

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