Rz. 414

Der Arbeitnehmer kann mündliche und schriftliche Abmahnungen gerichtlich überprüfen lassen, ohne dass er hierzu verpflichtet wäre. Die Wirksamkeit einer Kündigung hängt nicht von der Beseitigung einer vorangegangenen Abmahnung ab, vielmehr ist im Kündigungsschutzprozess unabhängig davon zu prüfen, ob die in einer Abmahnung enthaltenen Vorwürfe tatsächlich gerechtfertigt sind (BAG, Urteil v. 13.11.1991, 5 AZR 74/91[1]). Der Arbeitnehmer kann die Entfernung einer inhaltlich und formell wirksam erteilten Abmahnung aus der Personalakte nur dann verlangen, wenn das gerügte Verhalten für das Arbeitsverhältnis in jeder Hinsicht bedeutungslos geworden ist. (BAG, Urteil v. 19.7.2012, 2 AZR 782/11[2]). Das dürfte sich allenfalls in Einzelfällen ergeben, denn eine Abmahnung kann für eine spätere Interessenabwägung auch dann noch Bedeutung haben, wenn sie ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion verloren hat. So kann in die Interessenabwägung bei einer verhaltensbedingten Kündigung ein zuvor nicht störungsfreier Verlauf des Arbeitsverhältnisses einzubeziehen sein. Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung im Vertrauensbereich ist regelmäßig eine erhebliche Zeit von Bedeutung.[3] Eine Klage auf Entfernung einer Abmahnung kann kontraproduktiv sein, wenn das Gericht die Rechtmäßigkeit der Abmahnung rechtskräftig feststellt und die Klage damit abweist. In diesem Falle ist für einen später folgenden Kündigungsschutzprozess zulasten des Arbeitnehmers der in der Abmahnung enthaltene Verhaltensverstoß festgestellt. Dem Arbeitgeber ist bei einer "zeitnahen" Klage gegen die Abmahnung die Darlegung und Beweisführung bezüglich des von ihm zu beweisenden abgemahnten Verhaltens im Normalfall auch leichter möglich als bei einem späteren Kündigungsschutzprozess.[4] Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht i. d. R. kein Entfernungsanspruch mehr, da eine weitere Gefährdung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers nicht zu befürchten ist. Ausnahmen, für die der Arbeitnehmer darlegungs- und beweisverpflichtet ist, können sich nur dann ergeben, wenn z. B. eine Wiedereinstellung in Betracht kommt, die Abmahnung noch Einfluss auf den Zeugnisinhalt haben kann oder der Arbeitgeber Dritten gegenüber auch Auskünfte über die Abmahnung erteilt (BAG, Urteil v. 14.9.1994, 5 AZR 632/93[5]). Solche Besonderheiten bestehen z. B. im öffentlichen Dienst, wo der Arbeitnehmer häufig einer Einsicht seines neuen Arbeitgebers in die bisherigen Personalakten zustimmen muss, damit ihm keine Nachteile entstehen.

 

Rz. 415

Auch nach der erfolgreichen Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist der Arbeitnehmer nicht gehindert, ggf. noch einen Anspruch auf Widerruf der in der Abmahnung abgegebenen Erklärung gerichtlich geltend zu machen, wenn die Rechtsbeeinträchtigung andauert und durch Widerruf beseitigt werden kann (BAG, Urteil v. 15.4.1999,7 AZR 716/97[6]).

 

Beispiel

Durch das betriebsinterne Bekanntwerden der in der – aus der Personalakte bereits entfernten – Abmahnung enthaltenen Vorwürfe ist das Ansehen in der Belegschaft weiterhin beeinträchtigt.

 

Rz. 416

Eine Frist zur gerichtlichen Geltendmachung des Entfernungsanspruchs ist nicht einzuhalten; insbesondere gilt die 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG nicht. Auch tarifliche Ausschlussfristen sind nicht anwendbar, da eine unberechtigte Abmahnung eine fortwirkende Beeinträchtigung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers bewirkt (BAG, Urteil v. 14.12.1994, 5 AZR 137/94[7] zu § 70 BAT).

 

Rz. 417

Als Anspruchsgrundlage für die Beseitigung einer schriftlichen Abmahnung aus der Personalakte kommen §§ 242 BGB, 1004 BGB analog in Betracht. Ein Anspruch besteht dann, wenn die Abmahnung zu Unrecht erteilt wurde, da sie den Arbeitnehmer dann in seinem beruflichen Fortkommen und damit in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt (BAG, Urteil v. 30.5.1996, 6 AZR 537/95[8]).

 

Rz. 418

Der Entfernungsanspruch besteht insbesondere, wenn die Abmahnung unbegründet ist, weil sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält. Unrichtige Tatsachenbehauptungen, die geeignet sind, das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers zu beeinträchtigen, stellen einen objektiv rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dar (BAG, Urteil v. 27.11.1985, 5 AZR 101/84[9]). Erweisen sich nicht alle in einer Abmahnung enthaltenen Vorwürfe als zutreffend, muss sie insgesamt aus der Personalakte entfernt werden. Soweit Vorwürfe in der zu entfernenden Abmahnung aber zutreffen, behalten sie als mündliche Abmahnung ihre Wirkung (BAG, Urteil v. 19.2.2009, 2 AZR 603/07[10]).

 

Rz. 419

Eine Abmahnung ist auch zu entfernen, wenn sie unverhältnismäßig ist. Auch bei der Abmahnung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, welcher als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden wird (BAG, Urteil v. 22.2.2001, 6 AZR 398/99[11]). Die Abmahnung einzelner Bagatellverstöße kann insoweit gegen das Übermaßverbot verstoßen. Andererseits kommt es hierf...

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