Rz. 388

Bei der verhaltensbedingten Kündigung gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip (BAG, Urteil v. 15.12.1994, 2 AZR 320/94[1]). Danach ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebenso gut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden. Es ist zu prüfen, ob sich die Pflichtverletzung auch in Zukunft noch belastend auswirkt, mithin ob die Gefahr besteht, dass auch in Zukunft mit vergleichbaren Störungen des Arbeitsverhältnisses zu rechnen ist (Wiederholungsgefahr) und ob anstelle der verhaltensbedingten Kündigung der Wiederholungsgefahr kein milderes Mittel – z. B. durch anderweitige Weiterbeschäftigung oder durch Ausspruch einer Abmahnung – in Betracht kommt (Ultima-ratio-Prinzip).

 

Rz. 389

Bestehen Betriebsvereinbarungen, die z. B. Betriebsbußen vorsehen, gelten diese nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht als milderes Mittel und haben damit keinen Vorrang. Es handelt sich um 2 unterschiedliche Maßnahmen, denn das mitbestimmungspflichtige Recht zur Betriebsbuße folgt aus § 87 Abs. 1. Nr. 1 BetrVG, während das mitbestimmungsfreie Rügerecht bei einer Abmahnung aus § 611 BGB folgt (BAG, Urteil v. 17.1.1991, 2 AZR 375/90[2]). Verstößt ein vertragswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers zugleich gegen die betriebliche Ordnung, kann der Arbeitgeber entweder eine Abmahnung aussprechen oder sich mit dem Betriebsrat über die Verhängung einer Betriebsbuße einigen. Ob eine missbilligende Äußerung des Arbeitgebers eine Abmahnung oder eine Betriebsbuße bedeutet, muss im Zweifelsfall durch Auslegung ermittelt werden (BAG, Urteil v. 13.4.1988, 5 AZR 287/87[3]).

[1] AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 25.
[2] AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 25.
[3] N. v.

2.2.2.1 Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten

 

Rz. 390

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss der Arbeitgeber vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung prüfen, ob eine Umsetzung oder Versetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz möglich und zumutbar ist. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Form die Versetzung oder die Umsetzung durchgesetzt werden kann. In Betracht kommt sowohl eine vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckte Versetzung als auch eine Versetzung, die erst nach Ausspruch einer Änderungskündigung, mit der bei Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer die Fortsetzung zu geänderten Bedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz angeboten wurde, möglich ist (BAG, Urteil v. 26.11.2009, 2 AZR 272/08[1]; BAG, Urteil v. 16.1.1997, 2 AZR 98/96[2]).

 

Rz. 391

Eine Umsetzung oder Versetzung kommt insbesondere in Betracht, wenn ein freier Arbeitsplatz existiert, auf dem der Arbeitnehmer beschäftigt werden kann und objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es auf dem anderen Arbeitsplatz nicht zu weiteren Pflichtverstößen kommen wird (BAG, Urteil v. 24.6.2004, 2 AZR 63/03[3]). Eine Weiterbeschäftigung ist auch dann als milderes Mittel denkbar, wenn es eine Position gibt, die nicht in gleichem Maße Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers stellt (BAG, Urteil v. 20.6.2013, 2 AZR 583/12[4]).

 

Rz. 392

Die Weiterbeschäftigung auf dem anderen Arbeitsplatz muss aber zumutbar für den Arbeitgeber sein. Ob dies der Fall ist, hängt von der Art und Schwere des Pflichtverstoßes ab. Ein Angebot der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ist nur entbehrlich, wenn der Grund, der einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf dem bisherigen Arbeitsplatz entgegensteht, es zugleich ausschließt, den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz oder zu anderen Bedingungen weiterzubeschäftigen (BAG, Urteil v. 11.3.1999, 2 AZR 507/98[5]; BAG, Urteil v. 23.1.2014, 2 AZR 638/13[6]: Weiterbeschäftigung einer Mitarbeiterin im öffentlichen Dienst auf einem anderen Arbeitsplatz, die zur Verdeckung von Fehlern Akten manipuliert hatte, war nicht zumutbar).

 

Beispiel

Ein Redakteur der Abteilung "Management und Karriere", dessen Artikel nicht den Qualitätsanforderungen seiner Abteilung entsprechen, ist jedenfalls dann auf die freie Position in der Nachrichtenredaktion zu versetzen, wenn er früher bereits dort beanstandungsfrei tätig war (BAG, Urteil v. 16.1.1997, 2 AZR 98/96[7]).

 

Rz. 393

Bei arbeitsplatzunabhängigen arbeitsvertraglichen Pflichtverstößen wie z. B. bei Unpünktlichkeit, bei genereller Unzuverlässigkeit oder bei schwerwiegenden Verstößen gegen den Betriebsfrieden wird das Risiko weiterer Vertragspflichtverletzungen regelmäßig nicht durch eine Umsetzung beseitigt (BAG, Urteil v. 26.11.2009, 2 AZR 272/08[8]).

 

Beispiel

Bei intensiven Tätlichkeiten gegenüber anderen Arbeitskollegen ist eine Versetzung grds. nicht zumutbar (BAG, Urteil v. 6.10.2005, 2 AZR 280/04[9]; BAG,...

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