Rz. 276

Die Umstände bei Zugang der Kündigungserklärung müssen die Prognose rechtfertigen, dass dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus nicht mehr zumutbar ist. Diese Voraussetzung wird aus dem Wesen des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis abgeleitet.[1] Die Kündigung soll vermeiden, dass die Störung das Arbeitsverhältnis in Zukunft belastet. Sie ist demnach keine Sanktion für Fehlverhalten oder Fehlleistungen in der Vergangenheit (BVerfG, Urteil v. 21.2.1995, 1 BvR 1397/93[2]). Eine Vorhersage, wie sich das Arbeitsverhältnis in Zukunft entwickelt, kann naturgemäß nicht mit hundertprozentiger Sicherheit erfolgen. Gleichwohl muss der Arbeitgeber dem Gericht vermitteln, dass sich seine Prognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewahrheiten wird. Das Gericht ist gem. § 286 Abs. 1 ZPO voll überzeugt, wenn alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind.[3]

 

Rz. 277

Bei der personen- und verhaltensbedingten Kündigung ist i. d. R. mit weiteren Beeinträchtigungen zu rechnen, wenn schon in der Vergangenheit Störungen gleicher Art aufgetreten sind, es sei denn, eine Wiederholungsgefahr ist ausgeschlossen. Bei der personenbedingten Kündigung stellt z. B. die Auflistung der krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit die Prognosegrundlage dar. Ist die Krankheit des Arbeitnehmers bei Zugang der Kündigung ausgeheilt, kann der Arbeitgeber nicht kündigen.[4] Die Negativprognose für die verhaltensbedingte Kündigung ist hinreichend gesichert, wenn der Arbeitnehmer abgemahnt worden war und sich erneut falsch verhalten hat, denn dann besteht eine Wiederholungsgefahr. Hat der Arbeitnehmer durch sein Verhalten das Vertrauen des Arbeitgebers enttäuscht, ist eine Abmahnung erforderlich, sofern das Vertrauen wiederhergestellt werden kann. Durch eine gravierende Verfehlung kann das Vertrauen gänzlich zerstört worden sein, sodass eine Abmahnung entbehrlich ist (BAG, Urteil v. 8.6.2000, 2 AZR 638/99[5]).

 

Rz. 278

Bei der betriebsbedingten Kündigung muss die Prognose dafür sprechen, dass in Zukunft ein Personalüberhang besteht. Die Prognose ist hinreichend gesichert, wenn die Veränderungen im Betrieb schon greifbare Formen angenommen haben und eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung die Annahme rechtfertigt, dass bis zum Ablauf der Kündigungsfrist der Arbeitnehmer entbehrlich sein wird (BAG, Urteil v. 11.3.1998, 2 AZR 414/97[6]).

[1] HaKo-KSchG/Pfeiffer, 7. Aufl. 2021, § 1 KSchG, Rz. 173.
[2] NZA 1995, 619, 621.
[3] Linck/Krause/Bayreuther/Krause, KSchG, 16. Aufl. 2019, § 1 KSchG, Rz. 181.
[4] HaKo-KSchG/Pfeiffer, 7. Aufl. 2021, § 1 KSchG, Rz. 173.
[5] AP BGB § 626 Nr. 163; Abmahnung entbehrlich nach Aufzeichnung des Personalgesprächs mit dem Smartphone, vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 3.2.2016, 7 Sa 220/15; Abmahnung entbehrlich nach der Lektüre von "Adolf Hitler, Mein Kampf" im Dienst, vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 25.9.2017, 10 Sa 899/17; Abmahnung erforderlich nach Tragen des Dienstausweises auf einer Kundgebung "Die Rechte", vgl. LAG Nürnberg, Urteil v. 11.8.2017, 6 Sa 76/17; allg. Linck/Krause/Bayreuther/Krause, KSchG, 16. Aufl. 2019, § 1 KSchG, Rz. 482.
[6] AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 43; Linck/Krause/Bayreuther/Krause, KSchG, 16. Aufl. 2019, § 1 KSchG, Rz. 178.

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