Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung bei heimlicher Aufnahme eines Personalgesprächs und nachfolgender Verwendung des Wortprotokolls. Arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht im Wiedereingliederungsverhältnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB besteht auch dann, wenn die Arbeitnehmerin arbeitsunfähig erkrankt ist und eine stufenweise Wiedereingliederung durchgeführt wird; ein Wiedereingliederungsverhältnis ist kein Arbeitsverhältnis sondern ein Rechtsverhältnis eigener Art, weil es nicht auf eine Arbeitsleistung im üblichen Sinn gerichtet ist sondern als Maßnahme der Rehabilitation der Arbeitnehmerin ermöglichen soll, die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen.

2. Das Fortdauern der Nebenpflichten ist für die Durchführung des Wiedereingliederungsverhältnisses von großer Bedeutung, da im Wiedereingliederungsverhältnis die Arbeitnehmerin (wenn auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses) im Betrieb tätig ist und es sowohl zur Abwendung etwaiger Gefahren als auch zur Erreichung des Vertragszwecks eines Wiedereingliederungsverhältnisses erforderlich ist, dass die Arbeitgeberin ihren Nebenpflichten nachkommt und entsprechendes auch von der Arbeitnehmerin erwartet werden darf.

3. Mit einer heimlichen Aufnahme eines zwischen ihr und ihrem Vorgesetzten geführten Personalgesprächs verletzt die Arbeitnehmerin in erheblicher Weise ihre arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB); das gilt auch für die anschließende Verwendung des heimlich erstellten Gesprächsmitschnitts gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten und mittels eines Wortprotokoll im Rahmen eines Arbeitsrechtsstreits.

4. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG auch die Wahrung der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes, so dass grundsätzlich jede einzelne Person selbst und allein bestimmen kann, wer ihr Wort aufnehmen soll und ob und vor wem ihre auf einen Tonträger aufgenommene Stimme wieder abgespielt werden darf.

5. Einer Abmahnung bedarf es nicht, wenn angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen eine Hinnahme des Verhaltens der Arbeitnehmerin durch die Arbeitgeberin ausgeschlossen ist, weil die mit einer Abmahnung oder Versetzung als mildere Mittel verbundene Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus der Arbeitgeberin objektiv unzumutbar ist.

6. Bei dem heimlichen Mitschnitt eines vertraulichen Personalgesprächs auf einem Smartphone und der anschließenden Verwendung dieser Aufnahme handelt es um eine so schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht, dass die Arbeitnehmerin davon ausgehen muss, dass dieser Verstoß auch ohne vorherige Abmahnung zur einer (ordentlichen) Kündigung durch die Arbeitgeberin führen kann.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1; StGB §§ 201, 34; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; BGB § 314 Abs. 2; StGB § 201 Abs. 1, 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 04.03.2015; Aktenzeichen 1 Ca 1503/14)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 4. März 2015 - Az. 1 Ca 1503/14 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 6. August 2014 zum 30. September 2014.

Die 1982 geborene, ledige, gegenüber keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Klägerin absolvierte bei der Beklagten in der Zeit vom 1. September 2010 bis zum 27. Juni 2013 eine Ausbildung zur Fachangestellten für Arbeitsförderung. Während ihrer Ausbildung war die Klägerin wiederholt kurzzeitig erkrankt. Im Oktober 2012 bot die Beklagte ihr die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements an. Die Beklagte fragte diesbezüglich erneut im Dezember 2012 und Januar 2013 bei der Klägerin nach. In der Zeit vom 12. März 2013 bis zum 24. April 2013 führte die Klägerin eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung durch.

Im Anschluss an ihre Ausbildung erhielt die Klägerin einen bis zum 27. Juni 2015 befristeten Arbeitsvertrag in der Tätigkeitsebene VI in Vollzeit. In § 2 des befristeten Arbeitsvertrages ist die Anwendung des Tarifvertrages der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) vereinbart. Der Grund der Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG wurde in einem gesonderten Vermerk vom 22. Juni 2013 festgehalten.

Mit Ansatzschreiben vom 27. Juni 2013 wurde der Klägerin die Tätigkeit als Assistentin Kindergeld in der Agentur für Arbeit C.-Stadt (Familienkasse W.) mit Dienstort C.-Stadt übertragen. Das Bruttomonatsgehalt der Klägerin betrug 2.452,85 €. Seit dem 28. Juni 2013 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Unter dem 28. August 2013 schlug sodann der die Klägerin behandelnde Arzt Dr. Z. eine Wiedereingliederungsmaßnahme vor. Ein unter dem 27. September 2013 erstellter Wiedereingliederungsplan, dem beide Parteien...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge