Rz. 202

Der Arbeitgeber, der zur Kündigung berechtigt ist, ist nicht gezwungen, eine Kündigung auszusprechen. Aus der Vertragsfreiheit folgt, dass er auf die außerordentliche Kündigung verzichten und nur eine ordentliche Kündigung aussprechen kann. Ebenso kann er von einer Kündigung ganz absehen und es bei einer Abmahnung belassen.[1]

 

Rz. 203

Darüber hinaus kann der Schutz des Arbeitnehmers per Einzel- oder Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung (sog. "betriebliche Bündnisse für Arbeit") verbessert werden. Allerdings können Kollektivverträge nicht festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist oder auf einem wichtigen Grund beruht.[2] Der durch Tarifvertrag gewährte Sonderkündigungsschutz kann von den Tarifparteien abgeändert werden, wobei das Vertrauen des Arbeitnehmers, der die tariflichen Voraussetzungen für den Sonderkündigungsschutz (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter) bereits erreicht hat, in die Aufrechterhaltung seines Sonderkündigungsschutzes einer Änderung nicht entgegensteht (BAG, Urteil v. 2.2.2006, 2 AZR 58/05). Der durch Tarifvertrag gewährte Sonderkündigungsschutz kann durch eine Betriebsvereinbarung nicht abgeändert werden, wenn der Tarifvertrag eine abschließende Regelung ohne Öffnungsklausel enthält, vgl. die Regelungssperre in § 77 Abs. 3 BetrVG (LAG Düsseldorf, Beschluss v. 30.10.2013, 7 TaBV 56/13).

 

Beispiel

Der Schutz des Arbeitnehmers wird z. B. verbessert durch

  • die Verkürzung der Wartezeit i. S. d. § 1 Abs. 1 KSchG[3],
  • die Ausweitung des betrieblichen Geltungsbereichs auf Kleinbetriebe i. S. d.

    § 23 Abs. 1[4],

  • den Ausschluss der ordentlichen Kündigung bei Arbeitnehmern, die eine bestimmte Beschäftigungszeit oder ein bestimmtes Alter erreicht haben[5],
  • den tariflichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung in den ersten 12 Monaten nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung und Übernahme in ein Arbeitsverhältnis (BAG, Urteil v. 6.7.2006, 2 AZR 587/05),
  • temporäre Verbote von Kündigungen aus dringenden betrieblichen Gründen[6],
  • die Vereinbarung, dass der Betriebsrat nicht nur zur Kündigung angehört werden muss, sondern ihr sogar zustimmen muss, vgl. § 102 Abs. 6 BetrVG,
  • sog. Auswahlrichtlinien des Arbeitgebers, die er mit Zustimmung des Betriebsrats aufstellt und in denen er bestimmte Kriterien für die personelle Auswahl bei künftigen Kündigungen festlegt, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 sowie Abs. 4 KSchG i. V. m. § 95 BetrVG und den Personalvertretungsgesetzen.
 

Rz. 204

Tarif- oder individualvertragliche Vereinbarungen über Kündigungsfristen und Kündigungserschwernisse sind unmittelbar anhand von § 7 Abs. 2 AGG zu überprüfen. § 2 Abs. 4 AGG steht einer solchen Überprüfung nicht entgegen. Tarifliche Unkündbarkeitsregelungen müssen, um sich in Auswahlsituationen als angemessen i. S. d. § 10 Satz 1 AGG sowie gesetzes- und verfassungskonform i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG, Art. 12 Abs. 1 GG zu erweisen, gewährleisten, dass sie zumindest grobe Auswahlfehler vermeiden (BAG, Urteil v. 20.6.2013, 2 AZR 295/12[7]).

 

Rz. 205

Entspricht die Kündigung nicht den im Tarifvertrag festgelegten Erfordernissen, ist sie gem. § 134 BGB i. V. m. § 4 TVG nichtig, und zwar auch bei einem Umgehungsversuch, etwa wenn die Kündigung nicht zum nächstmöglichen Termin, sondern kurz vor Eintritt der Unkündbarkeit ausgesprochen wird (BAG, Urteil v. 16.10.1987, 7 AZR 204/87[8]). Auch die Betriebsvereinbarung entfaltet normative Wirkung (vgl. § 77 Abs. 4 BetrVG), sodass ein Verstoß zur Nichtigkeit der Kündigung führt, sofern die Betriebsvereinbarung ein hinreichend deutliches Verbot enthält und nicht ihrerseits gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstößt.[9]

 

Rz. 206

An einen einzel- oder kollektivvertraglich vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung ist der Insolvenzverwalter gem. § 113 Satz 1 InsO nicht gebunden.

 

Rz. 207

Vertragliche Abreden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die seinen Schutz verbessern, können sich mittelbar zulasten eines anderen Arbeitnehmers auswirken.

Fraglich ist dann z. B., ob ordentlich unkündbare Arbeitnehmer mit ordentlich kündbaren Arbeitnehmern vergleichbar und daher in die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG einzubeziehen sind.

Dies wird teilweise befürwortet und mit Hinweis auf die Richtlinie 200/78/EG sowie einer entsprechenden Auslegung des § 1 Abs. 3 KSchG begründet. Danach gilt: Wenn der Sonderkündigungsschutz ausnahmsweise wegen einer (Alters-) Diskriminierung unwirksam ist, entfaltet er keine Wirkung, sodass alle Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Wenn der Sonderkündigungsschutz keine Diskriminierung darstellt, aber ein grober Verstoß gegen die Wertung des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt, dann sind die Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz in die Sozialauswahl einzubeziehen und erhalten ggf. eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.[10]

 

Rz. 208

Nach anderer Ansicht hat der Dritte den Nachteil als bloßen Reflex hinzunehmen; die Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem begünstigten Arbeitnehmer sei nur unwirksam, ...

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