Rz. 70

Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage[1], ist der Arbeitgeber den allgemeinen Regeln entsprechend für sämtliche Umstände darlegungs- und beweispflichtig, die als wichtige Gründe für die Kündigung in Betracht kommen. Dazu gehören auch die tatsächlichen Voraussetzungen der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.[2]

Die Rechtsprechung nimmt darüber hinaus in Bezug auf Umstände, die den Arbeitnehmer entlasten, eine gestufte Darlegungs- und Beweislast an: Der Arbeitgeber muss alle vom Arbeitnehmer substanziiert dargelegten Rechtfertigungsgründe (vgl. § 138 Abs. 2 ZPO) widerlegen. Wendet der Arbeitnehmer etwa ein, er habe nicht unentschuldigt gefehlt, weil ihm Urlaub gewährt worden sei, und schildert er detailliert, wer ihm wann, zu welchem Anlass, in welcher Form und für welchen Zeitraum Urlaub gewährt hat, hat der Arbeitgeber den Negativbeweis zu führen, dass Urlaub nicht gewährt worden ist.[3] Den Arbeitgeber trifft dann wiederum die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Tatsachen, die einen vom Arbeitnehmer behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen.[4]

 

Beispiel

Eine "erhebliche aktive Beteiligung" eines Arbeitnehmers an einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen stellt an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar; das BAG hält sogar eine Abmahnung regelmäßig für entbehrlich.[5] Stützt sich der Arbeitgeber in einem solchen Fall auf gewichtige, objektive Anhaltspunkte für eine solche erhebliche aktive Beteiligung des Arbeitnehmers, ist es Sache des Gekündigten, sich im Kündigungsrechtsstreit im Rahmen seiner sekundären Vortragslast soweit wie möglich zum Anlass und zum Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung zu erklären und ggf. seine Behauptung, er sei lediglich das Opfer der Auseinandersetzung geworden bzw. habe sich in Notwehr verteidigt, zu substanziieren. Bestehen danach noch Zweifel, ob ein kündigungsrechtlich erhebliches Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt, bleibt es dabei, dass die mangelnde Aufklärbarkeit des Sachverhalts zulasten der primär darlegungspflichtigen Partei – hier des Arbeitgebers – geht.[6]

 

Rz. 71

Der Arbeitgeber hat im Übrigen auch die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats (s. hierzu auch Rz. 6, 35, 90 ff.) sowie den vorherigen Ausspruch von Abmahnungen darzulegen und ggf. zu beweisen.[7]

Etwas anderes gilt freilich für außerhalb von § 626 BGB stehende Unwirksamkeitsgründe wie z. B. §§ 138, 242 BGB. Die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nach allgemeinen Grundsätzen von demjenigen darzulegen und ggf. zu beweisen, der sich darauf beruft, im Kündigungsschutzprozess also vom Arbeitnehmer.[8]

[1] Anders ist es freilich, wenn der Arbeitnehmer z. B. auf Arbeitsentgelt klagt; hierzu Reinecke, NZA 1989, 577, 585.
[3] Zu weiteren Fällen s. Liebscher, § 1 KSchG Rz. 443 ff.
[4] BAG, Urteil v. 6.9.2007, 2 AZR 264/06, NZA 2008, 636, 638, m. w. N.
[5] BAG, Urteil v. 18.9.2008, 2 AZR 1039/06, DB 2009, 964; der Darlegung einer Wiederholungsgefahr bedarf es dem BAG zufolge nicht. Auch ein tätlicher Angriff auf einen Arbeitskollegen außerhalb des Betriebsgeländes ist an sich für eine außerordentliche Kündigung geeignet (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 6.1.2009, 5 Sa 313/08, DB 2009, 967 (LS)).
[7] Reinecke, NZA 1989, 577, 578; näher hierzu Liebscher, § 1 KSchG Rz. 450 f.

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