Rz. 8

Fälle, in denen die Rechtsprechung eine Kündigung für sittenwidrig gehalten hat, sind vergleichsweise selten. Es finden sich zumeist Entscheidungen, in denen die Nichtigkeit nach § 138 BGB verneint wurde, sodass sich in der Gesamtschau zumindest ein "negativer Maßstab" erkennen lässt.[1] Selbstverständlich sind stets alle Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu beachten.[2]

 

Rz. 9

Aus der breiten Kasuistik zu § 138 BGB seien folgende Fälle genannt:

Sittenwidrig nach § 138 BGB ist eine während der gesetzlichen Wartezeit erklärte ordentliche Arbeitgeberkündigung nur in besonders krassen Fällen; dies ist nicht bereits dann gegeben, wenn der einstellende Arbeitgeber einen Arbeitnehmer in Kenntnis einer bevorstehenden Fusion dazu bewogen hat, seine sichere bisherige Arbeitsstelle sowie sein gesamtes persönliches Lebensumfeld aufzugeben, ohne ihn bei dem Vorstellungsgespräch davon in Kenntnis zu setzen, dass eine baldige Fusion beabsichtigt sei und der Arbeitnehmer nach der Fusion eine Kündigung erhält.[3] Eine Kündigung während der Wartezeit, die erklärt worden ist, da der Kläger im Bewerbungsverfahren wahrheitswidrig versichert hat, es lägen keine eingestellten Ermittlungsverfahren vor, kann gegen § 138 BGB verstoßen[4], wenn der später in den öffentlichen Dienst eingestellte Arbeitnehmer bei dem Bewerbungsgespräch eine unspezifische Frage nach eingestellten Ermittlungsverfahren, an deren Beantwortung der spätere Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse hatte (§ 53 BZRG, § 29 DatenSchG NRW), wahrheitswidrig beantwortet hatte.

Eine vom Arbeitgeber während der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses wegen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers erklärte Kündigung verstößt regelmäßig nicht gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB), wenn den Arbeitgeber kein oder nur ein geringes Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers trifft und nicht feststeht, ob und ggf. wann der Arbeitnehmer die ihm obliegende Tätigkeit wieder ausüben kann.[5] Da bei der Prüfung eines Verstoßes gegen § 138 BGB oftmals auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu prüfen ist, sollte auch die zur Treuwidrigkeit von Kündigungen ergangene Rechtsprechung in den Blick genommen werden.[6].

 

Rz. 10

Kündigt der Arbeitgeber einem mit HIV infizierten Arbeitnehmer, der noch nicht den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG genießt, fristgerecht, so ist die Kündigung jedenfalls nicht sittenwidrig nach § 138 BGB, wenn der Arbeitnehmer nach Kenntnis von der Infektion einen Selbsttötungsversuch unternommen hat, danach längere Zeit (hier: nahezu 3 Monate) arbeitsunfähig krank war, dieser Zustand nach einem vor Ausspruch der Kündigung vorgelegten ärztlichen Attest "bis auf Weiteres" fortbestehen sollte und diese Umstände für den Kündigungsentschluss jedenfalls mitbestimmend waren.[7]

 

Rz. 11

Außerhalb des allgemeinen Kündigungsschutzes hat das LAG Schleswig-Holstein[8] eine krankheitsbedingte Kündigung als schon deshalb nicht sittenwidrig eingestuft, weil der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf einen Untersuchungstermin beim Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst hingewiesen hatte, um zu prüfen, ob der Kläger zukünftig wieder als Kraftfahrer einsetzbar ist.

Im Schrifttum wird angenommen, die Kündigung eines nicht gegen SARS-CoV-2 geimpften oder impfunwilligen, im Gesundheitswesen beschäftigten Arbeitnehmers (außerhalb einer zum 15.3.2022 durch § 20a IfSG geregelten Verpflichtung) könne rechtmäßig sein, denn die Wertung des Arbeitgebers, eine Corona-Schutzimpfung sei wichtig, beruhe nicht auf einem verwerflichen Motiv i. S. v. § 138 BGB.[9] Bezweifelt wird die Sittenwidrigkeit auch, sofern medizinisches Personal eines Krankenhauses, ein angestellter Lehrer einer Schule oder ein Angestellter eines Impfzentrums an einer "Corona-Demonstration" teilnimmt, wenngleich dies dem Bereich des außerdienstlichen Verhaltens zuzuordnen sei.[10]

 

Rz. 12

Eine unter besonderen Umständen erklärte Kündigung zur Unzeit kann nach § 138 BGB unwirksam sein, wenn sie dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden in einem Maße widerspricht, dass die Kündigung als sittenwidrig anzusehen ist, doch gelten insoweit schärfere Anforderungen als bei der Prüfung der Treuwidrigkeit nach § 242 BGB.[11] Dass nicht jede zur Unzeit erklärte Kündigung unwirksam ist, leitet das BAG daraus ab, dass die unzeitige Kündigung in den gesetzlich geregelten Fällen (§ 627 Abs. 2, § 671 Abs. 2, § 725 Abs. 5 BGB) stets nur zur Schadensersatzpflicht des Kündigenden, nicht jedoch zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Für eine Kündigung zur Unzeit ist nicht ausreichend, dass der Arbeitgeber die durch einen Arbeitsunfall eingetretene Situation des Ausfalls des Arbeitnehmers dazu benutzt hat, aus dargetanen wirtschaftlichen Gründen durch Aufgabe des vom Arbeitnehmer geführten Transportfahrzeugs zu reagieren.[12]

 

Rz. 13

Allein die Tatsache, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod eines dem Arbe...

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