Rz. 173

Nach dem Wortlaut des Abs. 1 muss die Pflegebedürftigkeit auf Dauer bestehen, soll diese zum Leistungsanspruch berechtigen. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff auf Dauer erfährt in dieser Vorschrift seine konkrete Ausgestaltung in Form einer Mindestanforderung. Danach müssen Pflegebedürftige voraussichtlich für mindestens 6 Monate in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen.

 

Rz. 174

Im Normalfall und beim gewöhnlichen Verlauf eines Krankheitsbildes werden vor der Feststellung von Pflegebedürftigkeit Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht. Erst dann, wenn die Krankheit oder Behinderung in einen Dauerzustand übergeht und sich nicht mehr durch die herkömmlichen Leistungen, wie ärztliche Behandlung, Krankenhauspflege, Rehabilitationsleistungen usw. beheben lässt, wird es zur Hilfebedürftigkeit und damit zu einem Pflegefall kommen (BT-Drs. 12/5262 S. 95). Das setzt voraus, dass die täglichen Verrichtungen nicht ohne fremde Hilfe ausgeübt werden können. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit muss in diesem Sinne jedoch wohl extensiv ausgelegt werden. Der Gesetzgeber hat hierzu in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens nicht nur täglich notwendige Verrichtungen sein sollen, sondern dazu auch die Verrichtungen zu zählen sind, die zwar nicht täglich, aber doch mit gewisser Regelmäßigkeit im Alltag des Pflegebedürftigen anfallen (BT-Drs. 12/5262 S. 95). Die Formulierung "im wöchentlichen Tagesdurchschnitt" in § 15 Abs. 3 ist zu so verstehen, dass nur solche Hilfen bei den Verrichtungen berücksichtigt werden können, die mit gewisser Regelmäßigkeit mindestens einmal pro Woche anfallen (BSG, Urteil v. 17.6.1999, B 3 P 10/98 R; BSG, Urteile v. 29.4.1999, B 3 P 7/98 R und B 3 P 12/98 R).

 

Rz. 175

Der in Abs. 1 genannte Zeitraum von mindestens 6 Monaten ist nicht dahingehend zu verstehen, dass die Pflegebedürftigkeit über diesen Zeitraum angedauert haben muss, bevor Leistungen der Pflegeversicherung in Betracht kommen. Vielmehr ist die individuelle Betrachtung und objektive Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend. Oftmals liegt eine im Nachhinein widerlegbare Prognoseentscheidung vor, die sich folglich als unzutreffend erweisen kann. Dieses führt dann häufig bei der Beurteilung der Frage, ob geänderte Verhältnisse vorliegen, und bei der Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 48 SGB X) zu Problemen, wenn objektiv keine Änderung des Pflegezustandes eingetreten ist. Die Aufhebung der einmal getroffenen Leistungsentscheidung wird regelmäßig deshalb erschwert, weil eben der Verwaltungsakt durch die Pflegekasse gesetzt wird, ohne dass diese an die Begutachtung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) rechtlich gebunden ist. Der Bewilligungsbescheid über Leistungen nach dem SGB XI in der jeweiligen Pflegestufe kann nur dann nach § 48 SGB X aufgehoben werden, wenn die Pflegekasse anhand konkreter Tatsachen das Vorliegen einer wesentlichen Änderung schlüssig darlegen kann, sie trägt im Zweifel die Beweislast.

 

Rz. 176

Kann aber auch vor Ablauf von 6 Monaten festgestellt werden, dass Pflegebedürftigkeit länger als 6 Monate bestehen wird, gilt der Tatbestand als erfüllt. Die Pflegekassen nehmen auch dann eine Pflegebedürftigkeit auf Dauer an, wenn der Hilfebedarf nur deshalb nicht über 6 Monate hinausgeht, weil die zu erwartende Lebensspanne voraussichtlich weniger als 6 Monate beträgt (Pflegebedürftigkeits-Richtlinien – PflRi i. d. F. v. 11.5.2006, Pkt. 3.2; Gemeinsames Rundschreiben der Pflegekassen zu den leistungsrechtlichen Vorschriften v. 17.4.2013, § 14 Ziff. 2). Für die anspruchsbegründende Dauer (6 Monate) der Pflegebedürftigkeit ist folglich stets die vorausschauende Sicht zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich, auch wenn der tatsächliche Geschehensablauf diese Prognose nicht bestätigt. Eine Leistungsgewährung ist auch für weniger als 6 Monate möglich, wenn nach der Prognose ein Pflegebedarf von mindestens 6 Monaten zu erwarten war, dieser aber zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits durch ein bei der Antragstellung nicht voraussehbares Ereignis vorzeitig entfallen ist (BSG, Urteil v. 17.3.2005, B 3 P 2/04 R, Breithaupt 2006 S. 295).

 

Rz. 177

Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist auch dann vor Ablauf von 6 Monaten als leistungsauslösend anzusehen, wenn zum Zeitpunkt der Feststellung eine Besserung des Zustands absehbar ist, dieser Zustand jedoch auch nach Ablauf von 6 Monaten den Merkmalen und dem Grad der Hilfebedürftigkeit einer der in § 15 genannten Pflegestufen entspricht. Bei der Beurteilung der in Betracht kommenden Pflegestufe hat in solchen Fällen der Medizinische Dienst von dem nach 6 Monaten voraussichtlich vorliegenden Grad der Pflegebedürftigkeit auszugehen. Sind die Voraussetzungen für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nach § 15 für mindestens 6 Monate erfüllt und ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich der Hilfebedarf z. B. durch therapeutische oder rehabilitative Maßnahmen pflegest...

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