Rz. 7

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 sind Personen pflegebedürftig, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe anderer bedürfen. Konkret muss es sich um Personen handeln, die

  • körperliche,
  • kognitive oder
  • psychische

Beeinträchtigungen oder gesundheitliche Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können (Satz 2).

 

Rz. 8

Ob und mit welcher Schwere eine gesundheitlich bedingte Beeinträchtigung der Selbständigkeit bzw. der Fähigkeiten vorliegt, ist anhand der gesetzlich festgelegten Kriterien (vgl. § 14 Abs. 2) festzustellen. Hierbei handelt es sich um abschließend festgelegte Kriterien, andere Ursachen für den Hilfebedarf müssen bei der Bestimmung der Pflegebedürftigkeit außer Betracht bleiben. Die Beeinträchtigungen sind dabei personenbezogen und unabhängig vom jeweiligen (Wohn-)Umfeld zu ermitteln. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nur diejenigen Personen als pflegebedürftig i. d. S. anzuerkennen sein sollen, die die Beeinträchtigung(en) nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können (BT-Drs. 18/5926 S. 109).

 

Rz. 9

Dem erklärten Ziel des Gesetzgebers entsprechend ist der Begriff der Pflegebedürftigkeit damit weitergehend als zuvor. Er ist "pflegefachlich" auf dem aktuellen Stand, "berücksichtigt alle relevanten Aspekte von Pflegebedürftigkeit umfassend (z. B. neben kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen auch erstmals die Bewältigung von und den Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Belastungen und Anforderungen) und ist an den (verbliebenen) Ressourcen und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen, nicht vorrangig an seinen Defiziten orientiert" (BT-Drs. 18/5926 S. 109). Auf diese Weise werde er "Grundlage und Impuls für moderne und pflegefachlich noch besser fundierte Leistungen und eine entsprechende Leistungserbringung in der Pflegeversicherung" (BT-Drs. 18/5926 S. 109). Über das SGB XI hinaus erlangt die Begriffsdefinition jedoch allein dann Verbindlichkeit, wenn eine ausdrückliche Verweisung normiert ist (vgl. BT-Drs. 18/5926 S. 109).

 

Rz. 10

Voraussetzung für einen Leistungsanspruch ist darüber hinaus, dass die Pflegebedürftigkeit nicht nur kurzzeitig, sondern prospektiv auf Dauer, d. h. voraussichtlich für mindestens 6 Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen muss (Satz 3). Bereits in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung bildete die Dauerhaftigkeit ein wesentliches anspruchsbegründendes Merkmal. Wenngleich der Gesetzgeber § 14 Abs. 1 (auch) hinsichtlich dieses Kriteriums sprachlich verändert hat (nunmehr bezieht sich das Kriterium der Dauer sprachlich ausdrücklich auf die Pflegebedürftigkeit), bleibt die Essenz der Anforderung unverändert: Der Betroffene muss voraussichtlich für mindestens 6 Monate hinsichtlich der genannten Aspekte auf Hilfe angewiesen sein. Damit werden die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die regelmäßig bei nur vorübergehenden Krankheitsfällen eintritt, abgegrenzt. Diese Anforderung gilt – weiterhin – unabhängig davon, ob es sich um eine Erstbegutachtung handelt, d. h. die Feststellung zu treffen ist, ob der Begriff der Pflegebedürftigkeit überhaupt erfüllt ist, oder um eine Begutachtung, die im Rahmen eines Begehrens auf Einstufung in einen anderen Pflegegrad durchgeführt wird und innerhalb derer die Zuordnung zu den jeweiligen Pflegegraden fraglich ist (so BSG, Urteil v. 19.2.1998, B 3 P 7/97 R, SozR 3-3300 § 15 Nr. 1 Rz. 23 zu der seinerzeit relevanten Klassifizierung in Pflegestufen, m. w. N.).

 

Rz. 11

Die Pflegebedürftigkeit muss also nicht bereits seit mindestens 6 Monaten konkret gegeben sein. Bereits aus der gewählten Begrifflichkeit ("voraussichtlich") lässt sich vielmehr schließen, dass die Entscheidung über ihr Vorliegen auch vor Ablauf dieses Zeitraums getroffen werden kann. Maßgeblich ist allein eine prognostizierte Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine längerfristige, d. h. über den genannten Zeitraum hinausgehende Pflegebedürftigkeit zu erwarten ist (vgl. auch ausdrücklich BT-Drs. 18/5926 S. 109). Vor diesem Hintergrund konsequent ist es daher, das Kriterium der Dauerhaftigkeit grundsätzlich auch dann als erfüllt anzusehen, wenn die verbleibende Lebensspanne tatsächlich weniger als 6 Monate beträgt (vgl. BT-Drs. 18/5926 S. 109, vgl. hierzu aber auch Rz. 14). Bereits erbrachte Leistungen der Pflegeversicherung können mithin – jedenfalls auf Grundlage dieses Umstandes – nicht mehr rückgefordert werden.

 

Rz. 12

Für das anspruchsbegründende Kriterium der Dauer der Pflegebedürftigkeit ist stets die vorausschauende Sicht zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich, auch wenn der tatsächliche Geschehensablauf diese Prognose nicht bestätigt. Ein Bewilligungsbescheid ist also nicht rückblickend rechtswidrig, weil sich das der Prognoseentscheidung immanente Risiko eines abweichenden Geschehensablaufs verwirklicht hat (BSG, Urteil v. 17.3.2005, B 3 P 2/04 R, SozR 4-3300 § 1...

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