Rz. 19

Wird die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten durch eine vorsätzliche Handlung (Rz. 7 f.) oder bei einem von ihm begangenen Verbrechen (Rz. 9) bzw. vorsätzlichem Vergehen (Rz. 10) verursacht (z. B. Trunkenheitsfahrt mit verschuldetem Unfallereignis), kann die Krankenkasse das Krankengeld ganz oder teilweise versagen oder zurückfordern (§ 51 Abs. 1). Die Art und Weise der strafbaren Handlung, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, ist ohne Belang. Die Möglichkeit, dass die Krankenkasse dem Versicherten das Krankengeld ganz oder teilweise versagt bzw. das Krankengeld von ihm ganz oder teilweise zurückfordert, besteht auch bei den in § 52 Abs. 2 aufgeführten Tatbeständen (vgl. hierzu Rz. 25 ff.).

 

Rz. 20

Bei der Beurteilung, in welchem Umfang das Krankengeld versagt oder zurückgefordert werden soll, hat sich die Krankenkasse daran zu orientieren, in welchem Umfang die Leistungsbeschränkung dem Versicherten zuzumuten ist. Bei der Ermessensausübung hat die Krankenkasse unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die Interessen des Versicherten mit denen der Versichertengemeinschaft abzuwägen. Dabei sind insbesondere

  • der Grad des Verschuldens (unter Berücksichtigung von Schuldminderungsgründen),
  • die Höhe des Krankengeldes,
  • die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten und seine Unterhaltsverpflichtungen zu

berücksichtigen (in Angleichung an das GR der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 9.12.1988 zu § 52 SGB V).

 

Rz. 21

Bevor die Krankenkasse im Rahmen des Ermessens Ihre Entscheidung über die Höhe der Krankengeldversagung bzw. -rückforderung trifft, hat sie den Versicherten anzuhören (§ 24 SGB X). Einzelheiten hierzu ergeben sich aus Rz. 14.

 

Rz. 22

Die Krankenkasse muss für Ihre Entscheidung alle maßgeblichen Sachverhalte und Umstände berücksichtigen (Amtsermittlungsprinzip; §§ 21, 22 SGB X). Wegen der Notwendigkeit eines fehlerfreien Ermessens müssen vergleichbare Fälle gleich und "gerecht" behandelt werden (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 37/18 R). Dabei ist die Überprüfung der ordnungsgemäßen Ermessensausübung letztlich auf Fälle erkennbarer Fehler bei der Ermessensausübung beschränkt (z. B. ob die individuellen, tatsächlichen Verhältnisse ausreichend berücksichtigt wurden).

Ob eine Krankenkasse ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, ergibt sich aus der Begründung, die in dem Bescheid über die Versagung bzw. Rückforderung des Krankengeldes beizufügen ist. § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X fordert nämlich, dass die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen muss, von denen die Krankenkasse bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Lässt der Bescheid nicht erkennen, welche Gesichtspunkte die Krankenkasse für ihre Ermessensentscheidung wie gewürdigt hat, hat die Krankenkasse ihr Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt. Der Verwaltungsakt ist dann rechtswidrig. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Komm. zu § 39 SGB I verwiesen.

 

Rz. 23

Im Rahmen ihrer Besprechung am 22./23.1.2008 (Wege zur Sozialversicherung – WzS 2008 S. 179, siehe Rz. 17) beschäftigten sich die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Höhe der Versagung bzw. Rückforderung von Krankengeld. Sie sprachen sich dafür aus, das Krankengeld in Anlehnung an § 54 Abs. 4 SGB I oberhalb der Pfändungsfreigrenze zu versagen bzw. zurückzufordern; bei im gleichen Monat bezogenen anderen Einkünften wie z. B. Arbeitsentgelt ggf. sogar in voller Höhe.

Nach § 54 Abs. 4 SGB I kann das Krankengeld wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Danach erfolgt die Pfändung nach den §§ 850 ff. ZPO. Von Bedeutung ist hier die Pfändungstabelle zu § 850c ZPO.

Nach § 850e ZPO wird als Krankengeld nur der Auszahlbetrag des Krankengeldes berücksichtigt (Nettobetrag); Beitragsanteile des Versicherten zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung mindern also den Betrag des Krankengeldes, der für die Berechnung der Versagens- bzw. Rückforderungshöhe herangezogen werden kann.

Als zu berücksichtigendes Arbeitseinkommen zählen neben dem Netto-Krankengeld alle (Netto-) Vergütungen, die der betreffende Versicherte im entsprechenden Bemessungsmonat für seine Arbeits- oder Dienstleistungen erhält – und zwar ohne Rücksicht auf ihre Benennung oder Berechnungsart (§ 850 Abs. 3 ZPO).

Der unpfändbare Grundbetrag (Pfändungsfreigrenze) beträgt ab dem 1.7.2022 monatlich 1.330,16 EUR. Dieser Grundbetrag erhöht sich, wenn der betroffene Versicherte Ehegatte oder Kinder zu unterhalten hat. Übersteigt der zu berücksichtigende Auszahlungsbetrag des Krankengeldes die Pfändungsfreigrenze, erhöht sich der unpfändbare Betrag – also der Betrag, der nicht versagt oder zurückgefordert werden kann. Einzelheiten ergeben sich aus der Komm. zu § 54 SGB I.

 
Praxis-Beispiel

Aufgrund der Folgen eines Unfalls bei einem Einbruchversuch (vorsätzliches Vergehen, vgl. Rz. 10) ist der Versicherte arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 1.9.2022 erhält der Versicherte Krankengeld, das entsprechend der Entscheidung der Krankenkasse nach den Pfändungsregelungen des § 54 Abs. 3 SG...

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