0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist mit dem SGB I durch Gesetz v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015) mit Wirkung zum 1.1.1976 in Kraft getreten und seither nicht geändert worden.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift, zu der es keine Vorläuferregelungen gab, knüpft an § 38 und die dort genannten Ermessensleistungen an und bestimmt die Grenzen des Ermessens bei der Entscheidung über Sozialleistungen. Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens wird dabei ein Rechtsanspruch eingeräumt (Abs. 1). Auch für Ermessensleistungen sind jedoch, wenn sie bewilligt sind, die Vorschriften für Anspruchsleistungen anwendbar (Abs. 2).

 

Rz. 3

Zur Begründung ist (BT-Drs. 7/868 S. 29) ausgeführt: Abs. 1 ergänzt § 38 dahingehend, dass dem Einzelnen auch bei Sozialleistungen, auf die er keinen Anspruch hat (Kann- und Sollvorschriften), eine rechtlich geschützte Sphäre zuerkannt wird. Abs. 2 enthält eine notwendige Klarstellung, indem er bestimmt, dass die Vorschriften über Leistungen, auf die ein Anspruch besteht, für Ermessensleistungen entsprechend gelten, soweit sich aus dem Gesetz nicht ausdrücklich oder aufgrund der Besonderheiten einer Ermessensleistung etwas anderes ergibt.

 

Rz. 4

Nach der systematischen Stellung und der Begründung sollte die Vorschrift an sich ergänzend zu § 38 und § 40 Abs. 2 Regelungen über das Entstehen und die Behandlung von Sozialleistungen als Ermessensleistungen (als Ansprüche/Forderungsrechte) treten. In der Praxis wird § 39 jedoch eher als eine verwaltungsverfahrensrechtliche allgemeine Regelung für die Ermessensausübung und deren Grenzen angesehen, so dass die in Abs. 1 genannten Grundsätze der Ermessensausübung auch für andere als Sozialleistungen und auch in anderen Bereichen verwaltungsrechtlichen Handelns angewandt werden (so Mrozynski, SGB I 5. Aufl., § 39 Rz. 1; Groth, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 39 Rz. 3, Stand: 15.3.2018; Merten/Dahm, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB I, 2. Aufl., § 39 Rz. 1; Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 39 Rz. 2, Stand: März 2005; Just, in: Hauck/Noftz SGB I, § 39 Rz. 3, Stand: August 2006; z. B. im Rahmen von § 45 SGB X; vgl. auch § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).

2 Rechtspraxis

2.1 Anwendungsbereich

 

Rz. 5

Die Regelung findet nur Anwendung, wenn auf eine konkrete Sozialleistung (§ 11) kein unmittelbarer Rechtsanspruch besteht, sondern die Behörde eine bestimmte Leistung (nur) gewähren kann. Sie setzt daher ein dem Sozialleistungsträger eingeräumtes Ermessen zur Gewährung und Erbringung einer Sozialleistung nach § 11 als Sach-, Dienst oder Geldleistung voraus. Eine Ermessensleistung liegt dann vor, wenn eine Sozialleistung als "Kann- oder Soll-Leistung" (so BT-Drs. 7/868 S. 29) vorgesehen ist (z. B. § 9 SGB VI; vgl. dazu Komm. zu § 38). Eine Sozialleistung liegt auch dann vor, wenn im Rahmen eines Sozialleistungsverhältnisses nur eine von mehreren möglichen Leistungen als Ermessensleistung ausgestaltet ist. Eine Sozialleistung kann jedoch auch dahingehend relativiert sein, dass unter bestimmten Umständen diese oder Teile davon versagt werden können (z. B. Krankenversicherungsleistungen nach § 52 Abs. 1 SGB V, Unfallversicherungsleistungen gemäß § 101 SGB VII). Auch hierauf ist § 39 Abs. 1 anwendbar (vgl. BSG, Urteil v. 18.3.2008, B 2 U 1/07 R).

 

Rz. 6

Von der Ermessensleistung ist das Handlungsermessen (wie es z. B. § 45 SGB X zugrunde liegt) abzugrenzen, das in Rechtsvorschriften ebenfalls durch das "Kann" gekennzeichnet ist. Während die Ermessensleistung dadurch bestimmt ist, dass eine bestimmte konkrete Sach-, Dienst- oder Geldleistung erbracht werden kann, eröffnet das Handlungsermessen nur ein mögliches Tätigwerden der Behörde oder aber ein Ermächtigungs-Kann auch gegenüber Dritten auch i. S. einer Eingriffsermächtigung.

 

Rz. 7

Die Vorschrift lässt offen, in welcher Form die Ermessensentscheidung zu treffen ist. Dies ist daher auch durch die tatsächliche Erfüllung (Leistungserbringung) einer beantragten Ermessensleistung möglich. Der tatsächlichen Erfüllung kann jedoch auch ein bewilligender Verwaltungsakt vorausgehen, was der Regelfall sein dürfte und immer dann angezeigt ist, wenn daran Bedingungen (Nebenbestimmungen, vgl. Komm. zu § 32 SGB X) geknüpft sind oder die Dauer oder der Umfang der Leistung zu konkretisieren ist. Über das Entstehen einer Ermessensleistung als im Sinne eines durchsetzbaren Rechtsanspruchs knüpft § 40 Abs. 2 an, wonach diese Ansprüche erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung über diesen Anspruch entstehen. Wird eine beantragte Ermessensleistung abgelehnt, ist wohl immer ein zu begründender Verwaltungsakt (§ 35 SGB X) zu erlassen, der dann der Überprüfung im Widerspruchs- und Klageverfahren unterliegt. Im Klageverfahren führt der Ermessensfehlgebrauch zur Rechtswidrigkeit des (im Regelfall) Verwaltungsaktes und dessen Aufhebung (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).

2.2 Ermessen (Abs. 1 Satz 1)

2.2.1 Gesetzliche Grenzen der Ermessensbetätigung

 

Rz. 8

Auch für Ermessensleistungen über Sozialleistungen i. S. d. § 11 und darüber zu treffende Entscheidungen müssen auf jeden Fall die dafür erforderlichen gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein, damit überhaupt eine Ermessensentscheid...

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