Rz. 32

Arzneimittel können grundsätzlich zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur dann verordnet werden, wenn das Arzneimittel nach § 21 AMG zugelassen ist (st. Rspr. vgl. BSG, Urteil v. 19.3.2020, B 1 KR 22/18 R; BSG, Urteil v. 4.4.2006, B 1 KR 12/04 R m. w. N.). Die Kosten nicht zugelassener Arzneimittel können demzufolge nicht erstattet werden, da insoweit auch kein Sachleistungsanspruch besteht. Dies gilt, wenn die Zulassung förmlich versagt wurde aber auch dann, wenn die arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt, weil die zuständige Behörde noch gar keine Entscheidung hierüber getroffen hat, z. B., wenn das Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist oder der Hersteller die Zulassung nicht beantragt hat (BSG, Urteil v. 23.7.1998, B 1 KR 19/96 R). Schließlich kommt für zugelassene Arzneimittel grundsätzlich aber auch dann keine Kostenerstattung in Betracht, wenn es für ein Anwendungsgebiet eingesetzt wird, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (sog. Off-Label-Use).

 

Rz. 33

Die oben (vgl. Rz. 31) dargestellten Grundsätze der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts gelten grundsätzlich auch für Arzneimittel, die ohne die erforderliche Zulassung nach dem AMG insgesamt (BSG, Urteil v. 4.4.2006, B 1 KR 7/05 R) bzw. für die entsprechende Indikation (Off-Label-Use) verordnet werden (vgl. BSG, Urteil v. 27.3.2007, B 1 KR 17/06 R; Urteil v. 28.2.2008, B 1 KR 16/07 R). Außer einem Leistungsanspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen der grundrechtsorientierten Auslegung hat das BSG eine weitere Ausnahme für den Off-Label-Use – neben den Fällen des § 35c SGB V, der die zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln aufgrund von Empfehlungen des GBA und im Falle von klinischen Studien ausdrücklich regelt (vgl. Kommentierung dort) – zusätzlich für den Fall anerkannt, dass es

  • bei einer schwerwiegenden, d. h. einer lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Krankheit (letzteres ist weniger streng als bei der grundrechtsorientierten Auslegung, wo nach § 2 Abs. 1a SGB V eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder eine zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung gegeben sein muss, vgl. Rz. 31),
  • keine Behandlungsalternative gibt und
  • aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (st. Rspr. vgl. BSG, Urteil v. 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R).

Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Phase-III-Studie veröffentlicht sind, die eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. einen klinisch relevanten Nutzen belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht sind (BSG, Urteil v. 19.3.2020, B 1 KR 22/18 R; BSG, Urteil v. 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R; BSG, Urteil v. 8.11.2011, B 1 KR 19/10 R).

Ein Anspruch auf Versorgung eines Arzneimittels im Off-Label-Use ist im Übrigen sowohl nach diesen Kriterien als auch nach den Kriterien für die grundrechtsorientierte Auslegung zu prüfen (BSG, Urteil v. 13.12.2016, B 1 KR 1/16 R).

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