Rz. 8

Abs. 3 regelt das ansonsten über § 59 SGB X (Anpassung und Kündigung in besonderen Fällen, vgl. auch § 313 Abs. 3 BGB) greifende Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage/Störung der Geschäftsgrundlage (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 77 Rz. 2; Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 77 Rz. 49; Münder, in: HK-SGBXII, § 77 Rz. 22), das über die Regelung in Abs. 3 hinausgeht und bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Vertragsanpassung, das Recht zur Kündigung vorsieht (§ 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Abs. 3 verdrängt die ergänzende Anwendbarkeit des § 59 SGB X. Zum öffentlich-rechtlichen Rechtscharakter der Vereinbarungen vgl. die Komm. zu § 123 Rz 20.

Abs. 3 umfasst nur eine Änderung der Annahmen hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung, so dass die Sperrwirkung des Abs. 3 für die Leistungsvereinbarung entfällt und § 59 SGB X anwendbar ist (ebenso Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 77 Rz. 31).

Die Ausnahme, dass ein nachträglicher Ausgleich in den Fällen möglich ist, in denen es zu unvorhergesehenen wesentlichen Änderungen der Annahmen gekommen ist, die der Vergütungsvereinbarung oder der Entscheidung der Schiedsstelle über die Vergütung zugrunde lagen, übernimmt Abs. 3 vom Vertragsrecht der allgemeinen Sozialhilfe (§ 77 Abs. 3 SGB XII i. d. F. bis 31.12.2019).

Als Ausnahmeregelung und einer möglichen missbräuchlichen Verwendung zur Umgehung des Prinzips prospektiver Entgeltvereinbarungen gegen zu wirken, sind die Voraussetzungen eng auszulegen (explizit: LSG Potsdam, Urteil v. 5.12.2013, L 23 SO 38 /10 KL, Rz. 60, juris).

Es fehlt an einer wesentlichen Änderung der Geschäftsgrundlage, wenn die Veränderung typischerweise der Sphäre einer der Vertragsparteien zuzuordnen ist, wie etwa das allgemeine Betriebsrisiko des Leistungsträgers (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 77 Rz. 32; vgl. BSG, Urteil v. 7.10.2015, 8 SO 1/14 R, Rz. 20, SozR 4-3500 Nr. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 5.12.2013, L 23 SO 38 /10 KL, Rz. 60, juris).

 

Rz. 9

Unvorhersehbar sind wesentliche Änderungen der Annahmen nur, wenn diese zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder des Schiedsspruches nicht erkennbar waren. Dies ist der Fall, wenn die Vertragsparteien bei Vertragsschluss damit nicht rechnen mussten, und bei objektiver Betrachtung davon ausgegangen werden muss, dass die Vereinbarung unter diesen Umständen nicht mit demselben Ergebnis geschlossen worden wäre (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 5.12.2013, L 23 SO 38 /10 KL, Rz. 60, juris; Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 77 Rz. 49).

Anwendungsbeispiel ist eine nicht vorhersehbare Lohnerhöhung durch die Tarifparteien (Friedrich, NDV 1994 S. 166, 171; ablehnend: Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 77 Rz. 32), wobei an dem Tatbestandsmerkmal der Unvorhersehbarkeit strenge Maßstäbe anzulegen sind. Nach VG Sigmaringen gilt das auch für den Fall, dass sich durch eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Berechnungsgrundlagen der Vergütung Wesentliches an den Annahmen, die der Vergütungsvereinbarung zugrunde lagen, verändert hat (VG Sigmaringen, Urteil v. 26.2.2002, 4 K 1468/01, Rz. 43, RsDE (2003) Nr. 54 S. 93, 95).

 

Rz. 10

Zu beachten ist, dass für Altverträge und im Zeitraum 2018 bis 2019 auf der Basis des bis 2019 geltenden Rechts abgeschlossene Verträge die Sonderregelung des § 139 SGB XII i. d. F. des Art. 12 BTHG ab 1.1.2018 vorgeht. Dessen Abs. 2 sieht vor, dass auf Verlangen einer Vertragspartei die Vergütungen neu zu verhandeln sind.

§ 129 Abs. 3 stellt klar, dass eine Kürzung der Vergütung nicht über höhere Vergütungsforderungen refinanziert werden darf.

 

Rz. 11

Ist der Tatbestand des Abs. 3 erfüllt, hat jede Vertragspartei den Anspruch auf Neuverhandlungen über die Vergütung für den laufenden Vereinbarungszeitraum. Für eine Neuverhandlung gelten die Vorschriften zum Verfahren und Inkrafttreten (§ 126).

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