Rz. 22

Abs. 4 regelt die Zumutbarkeit von Pendelzeiten bzw. eines Umzuges zur Aufnahme einer Beschäftigung. Den Maßstab für Pendelzeiten soll das Verhältnis von Pendelzeit zu Arbeitszeit bilden. Ist die Pendelzeit danach unverhältnismäßig lang, ist die Beschäftigung unzumutbar (Abs. 4 Satz 1). Unverhältnismäßig lang ist eine Pendelzeit unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer nie, wenn sie üblich ist (Abs. 4 Satz 3). Vor allem in ländlichen, strukturschwachen Regionen können außergewöhnlich lange Pendelzeiten üblich sein. Dies mag durch die Frequenzen der verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittel zu erklären sein. Im Übrigen sind Beschäftigungen unzumutbar, wenn die täglichen Pendelzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei einer Arbeitszeit von über 6 Stunden insgesamt mehr als 2 ½ Stunden und bei einer Arbeitszeit von bis zu 6 Stunden insgesamt mehr als 2 Stunden betragen (Abs. 4 Satz 2). Der Begriff der Pendelzeit darf dabei nicht mit dem Begriff der Fahrzeit verwechselt werden. Zur Pendelzeit gehören auch Wartezeiten sowie Zu- und Abgänge. Abs. 4 Satz 2 ist als Regelfall konzipiert, so dass besondere Umstände des Einzelfalles eine abweichende Entscheidung erlauben. So ist denkbar, dass eine Pendelzeit im Rahmen des Satz 2 gleichwohl unzumutbar ist, weil ein Vergleich der Pendelzeit mit der zurückzulegenden Wegstrecke und den mit dem Pendeln verbundenen Bedingungen (Wartezeiten ohne Witterungsschutz) unverhältnismäßig erscheinen. Andererseits ist stets eine Gesamtschau erforderlich. So kann ein bei Zeitteilung an sich unzumutbarer Hinweg durch eine deutlich kürzere Zeit für den Rückweg, z. B. als Folge einer günstigeren Zugverbindung, aufgefangen werden, wenn die zumutbare Pendelzeit insgesamt eingehalten wird. Bei der Entscheidung im Einzelfall können auch weitere relevante Umstände, z. B. gesundheitliche Beeinträchtigungen, berücksichtigt werden.

 

Rz. 22a

Für das LAG Hessen macht es keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Arbeitsortes verzichtet und diese dem Arbeitgeber vorbehalten bleibt (§ 106 GewO) oder aber bei Festlegung des Arbeitsortes die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Ortes durch Tarifvertrag wieder eröffnet wird. Dafür sind die Grenzen des Abs. 4 Satz 1 und 2 unerheblich, die darin enthaltenen Wertungen können nicht auf die Ermessensausübung zur Ausfüllung des Arbeitsvertrages übertragen werden (LAG Hessen, Urteil v. 1.12.2011, 5 Sa 993/11). Abs. 4 enthält insoweit eigenständige sozialrechtliche Regelungen für die Arbeitsförderung.

 

Rz. 23

Der Arbeitslose kann nicht ohne weiteres auf die Nutzung eines privaten PKW verwiesen werden. Maßgebend sind im Regelfall öffentliche Verkehrsmittel. Das muss selbst dann gelten, wenn er in der Vergangenheit durchaus den PKW für Fahrten zur Arbeitsstätte genutzt hat. Allerdings kann er sich nicht auf unzumutbare Pendelbedingungen im Rahmen des Satzes 2 berufen, wenn er diesen durch Nutzung des PKW entgehen kann, sofern er tatsächlich über ein Kfz verfügen kann. Höheren Kosten kann ggf. mit Mobilitätshilfen begegnet werden. Ist eine Pendelzeit unzumutbar, bleibt zu prüfen, ob eine vorübergehende doppelte Haushaltsführung i. S. d. Abs. 5 angestrebt werden kann.

 

Rz. 24

Abs. 4 Sätze 4 bis 7 regeln die Zumutbarkeit eines Umzuges zur Arbeitsaufnahme. Die Vorschriften berücksichtigen, dass zu Beginn der Arbeitslosigkeit eine Wiedereingliederung in den regionalen Arbeitsmarkt chancenreich ist. Deshalb ist ein Umzug zur auswärtigen Arbeitsaufnahme außerhalb des Tagespendelbereiches in den ersten 3 Monaten der Arbeitslosigkeit nur zumutbar, wenn eine Arbeitsaufnahme in dieser Zeit auf dem ohne Umzug räumlich erreichbaren Arbeitsmarkt nicht zu erwarten ist (Abs. 4 Satz 4). Für eine solche Prognose kann nicht allein auf die allgemeine Lage auf dem Arbeitsmarkt oder die allgemeine Konjunkturlage abgestellt werden. Vielmehr hat die Arbeitsverwaltung aufgrund eines konkreten Profilings im Einzelfall unter genauer Abgrenzung der für den Arbeitslosen in Betracht kommenden und ihm zumutbaren Beschäftigungen auf dem regionalen Arbeitsmarkt darzulegen, dass praktisch keine Chancen bestehen, anderweitig eine Beschäftigung zu erlangen. Dies wird in der Regel nur bei bestimmten hochqualifizierten, spezialisierten Arbeitslosen möglich sein. Dieser Personenkreis ist aber ohnehin auf überregionale Vermittlung (mit Umzug) eingerichtet.

 

Rz. 25

Nach Ablauf von 3 Monaten ist ein Umzug zur Arbeitsaufnahme regelmäßig zumutbar. Daraus folgt insbesondere, dass die Arbeitsvermittlung spätestens ab diesem Zeitpunkt ihre Vermittlungsbemühungen auf den ihr räumlich zugänglichen Arbeitsmarkt – i. d. R. das Bundesgebiet – zu erstrecken hat. Der Passgenauigkeit einer Vermittlung kommt ab diesem Zeitpunkt ein größeres Gewicht zu als den regionalen Wünschen des Arbeitslosen. Umgekehrt ist aus Abs. 5 nicht zu folgern, der Arbeitslose müsse vorrangig überregional vermittelt werden. Die Arbeitsverwaltung wird sich im Einzelfall einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht entz...

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