Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückweisung einer Kündigungserklärung gem. § 174 BGB. Wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Entbehrlichkeit einer Abmahnung. Spesenbetrug als wichtiger Grund. Kein Verwertungsverbot im deutschen Zivilprozessrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Kündigungserklärung kann nicht zurückgewiesen werden, wenn dem Kündigungsempfänger zusammen mit der Aushändigung der fristlosen Kündigung auch eine von zwei Prokuristen unterzeichnete Vollmacht übergeben wird, die auf den die Kündigung in Vertretung des Arbeitgebers überbringenden Mitarbeiter ausgestellt ist.

2. Bei einer fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht.

3. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder dass es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist.

4. Ein Spesenbetrug kann eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Eine Abmahnung kann in Betrugsfällen entbehrlich sein.

5. Ein Verwertungsverbot von Sachvortrag kennt das deutsche Zivilprozessrecht nicht. Tatsachenvortrag kann unschlüssig oder unbewiesen sein, nicht aber unverwertbar. Ein Verwertungsverbot würde den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässig einschränken. Eine Ausnahme kann allenfalls bei einem schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht in Betracht kommen.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 2, 4, § 286 Abs. 1; BGB §§ 174, 241 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Entscheidung vom 28.08.2020; Aktenzeichen 4 Ca 2370/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 28.8.2020, Az. 4 Ca 2370/19 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens erster Instanz zu vier Fünfteln, ein Fünftel fällt der Beklagten zur Last. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger allein.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug um die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen.

Der … Kläger war bei der Beklagten seit … als Fachspezialist Produktion Kunststoff beschäftigt, wobei die Höhe des vom Kläger zuletzt erzielten Bruttomonatsgehaltes streitig geblieben ist.

Von 24.6.2019 bis 28.6.2019 besuchte der Kläger gemeinsam mit sechs Arbeitskollegen, zu denen auch der Bruder des Klägers zählte, einen Programmierkurs. Während des Kurses waren die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung in einem Hotel untergebracht und nahmen dort das Frühstück ein. Am Nachmittag des 27.6.2019 bezahlten der Bruder des Klägers und zwei seiner Kollegen die diesen ausgehändigte Hotelrechnung. Diese Hotelrechnung war auf die Beklagte ausgestellt und wies einen Gesamtpreis von 380,00 € für ein Doppelzimmer zur Einzelnutzung im Zeitraum 24.6.2019 bis 28.6.2019 aus. In einer Tabelle differenzierte die Rechnung zwischen mit 7 % MwSt ausgewiesenen Kosten für Logis und mit 19 % MwSt ausgewiesenen Kosten für „Sonstige Leistungen“. Wegen der Einzelheiten zum Inhalt der Rechnung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 3. 2. 2022 verwiesen.

Nachdem der Bruder des Klägers die Rechnung bezahlt hatte, entwickelte sich am Hotelpool ein Gespräch zwischen Teilnehmern der Fortbildungsveranstaltung darüber, ob die Kosten für das Frühstück i.H.v. 4,80 € pro Tag in den Rechnungen richtig ausgewiesen sind. Der Inhalt dieses Gesprächs, bei dem der Kläger zugegen war, ist zwischen den Parteien streitig. Der Hotelmanager bemerkte, dass über die Rechnungen gesprochen wird und bot an, diese zu ändern. Der Bruder des Klägers und seine zwei Kollegen, die ihre Rechnungen ebenfalls bereits bezahlt hatten, gaben die Rechnungen zurück. Das Hotel stellte anschließend für alle Teilnehmer auf die Beklagte lautende Rechnungen aus, die nicht mehr erkennen ließen, dass neben den Kosten der Übernachtung auch Kosten für das Frühstück enthalten sind. Wegen des Inhalts der Rechnung des Klägers wird auf Anl. B1 Bezug genommen.

Bei der Beklagten wird für Reisekostenabrechnungen ein elektronisches Abrechnungssystem genutzt. Die Bedienung dieses Systems ist im Intranet der Beklagten erläutert. Dort ist auch die Nummer einer Hotline angegeben, die in Zweifelsfragen angerufen werden kann. Zusätzlich können Mitarbeiter bei Bedienung des Systems die Hilfe des für sie zuständigen Meisters in Anspruch nehmen. Der Kläger hatte ...

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