Die größten Unsicherheiten für alle Beteiligte, insbesondere aber für den Arbeitgeber, sind mit der Bedeutung des Begriffs der "unverantwortbaren Gefährdung" verbunden. Die Besonderheit der "unverantwortbaren Gefährdung" liegt dabei in der (Rechts-)Folge: das Risiko führt hier zum Handlungsbedarf und damit zwingend zu einer entsprechenden Handlungspflicht.

Nach der Gesetzesbegründung gilt eine Gefährdung dann als "unverantwortbar", wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung angesichts der zu erwartenden Schwere des möglichen Gesundheitsschadens nicht hinnehmbar ist.[1]

Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts darf umso größer sein, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie muss umso kleiner sein, je schwerer der etwaige Schaden wiegt. Bei der Gefahr besonders großer Schäden für besonders gewichtige Schutzgüter reicht für die Bejahung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts aus. Die Unverantwortbarkeit erfordert dementsprechend eine Abwägung zwischen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und der Intensität des drohenden Schadens.

 
Praxis-Beispiel

Unverantwortbare Gefährdung

Besteht die Möglichkeit, dass das Leben des ungeborenen Kindes gefährdet ist, sind auch bei geringem Eintrittsrisiko Schutzmaßnahmen zu treffen.

Gleichzeitig gilt gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG, AfMu-Regel Nr. MuSchR 10.1.23, (dort zu 2.2.) "eine unverantwortbare Gefährdung […] als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird."

Tendenziell ist die Schwere drohender Gesundheitsschäden, auf die sich das Mutterschutzgesetz als Schutzgut bezieht, als hoch anzusetzen. Es genügt daher regelmäßig bereits eine niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit, um eine unverantwortbare Gefährdung zu bejahen. Hier sollte der Arbeitgeber in der Praxis im Zweifel ein Vorsichtsprinzip walten lassen – nicht zuletzt im Hinblick auf drohende Haftungsrisiken.

Orientierungspunkte zur Beurteilung

Das Mutterschutzgesetz gibt dem Arbeitgeber in § 9 MuSchG verschiedene Leitlinien und Orientierungspunkte zur Beurteilung der unverantwortbaren Gefährdung, auf deren Einhaltung unter Haftungsgesichtspunkten unbedingt geachtet werden sollte:

  • Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 MuSchG gilt eine unverantwortbare Gefährdung als ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber alle Vorgaben einhält, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen, dass die Gesundheit einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes nicht beeinträchtigt wird.
  • Die Gefährdungsbeurteilung hat gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 MuSchG dem Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Hygiene sowie den sonstigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entsprechen.
  • Der Arbeitgeber hat gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 MuSchG bei seinen Maßnahmen die vom Ausschuss für Mutterschutz ermittelten und nach § 30 Abs. 4 MuSchG veröffentlichten Regeln und Erkenntnisse zu berücksichtigen.

Im Umkehrschluss lassen sich aus den genannten gesetzlichen Vorgaben gewisse Handlungsanweisungen ableiten. Die Einhaltung aller gesetzlichen und technischen Vorgaben allein entlastet den Arbeitgeber nicht. Solange auch nur die geringste Möglichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung erkennbar ist, ist von einer unverantwortbaren Gefährdung auszugehen.

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie ist eine Infektionsgefährdung zu vermeiden; dabei ist eine erhöhte Infektionsgefährdung insbesondere anzunehmen[2] bei:

  • direktem Kontakt zu SARS-CoV-2-infizierten Personen oder zu Personen mit Symptomen einer aerogenen Infektionserkrankung (Fieber, Husten, Krankheitsgefühl);
  • engem Kontakt (nach Definition "enge Kontaktperson" des RKI) zu anderen Menschen ohne adäquaten Atemschutz (d. h. alle tragen mindestens einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) oder die Schwangere trägt eine FFP2-Maske, wenn die Kontaktperson keinen MNS tragen kann);
  • längerem Aufenthalt (>10 min) mit mehreren Menschen in nicht ausreichend gelüfteten Räumen und ohne Tragen von adäquatem Atemschutz (z. B. Klassenzimmer, Kita-Räume, Kantinen, Großraumbüros, Räume mit Klimaanlagen mit hohem Umluftanteil ohne Hepafilter);
  • längerem Aufenthalt (> 10 min) in größeren Menschenmengen (z. B. Arbeitsplätze mit hohem Publikumsverkehr, etwa in Gastronomie, Einzelhandel oder in Behörden und Dienststellen) ohne Tragen von adäquatem Atemschutz;
  • der Ausübung von oder der Anwesenheit bei Tätigkeiten an Menschen, bei denen größere Mengen von Aerosolen aus den Atemwegen generiert werden können.

Der Arbeitgeber hat im Rahmen der anlassbezogenen Gefährdungsbeurteilung (§ 10 Abs. 2 MuSchG) die erforderlichen Schutzmaßnahmen (z. B. Tragen von Schutzmasken) hinsichtlich einer Infektionsgefährdung festzulegen und umzusetzen. Dabei sind die erforderlichen Maßnahmen unter Berücksichtigung des "STOP"-Prinzips anzuordnen.

In den §§ 11 und 12 MuSchG konkretisiert das Gesetz katalogart...

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