In der Praxis zunehmend relevant sind Meinungsäußerungen von Arbeitnehmern in den sozialen Medien.

 
Praxis-Beispiel

Liken von Posts vor dem EGMR

Der EGMR entschied im Jahr 2021 einen Fall einer Angestellten im türkischen Bildungsministerium, deren Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber kündigte, weil sie verschiedene Posts "geliked" hatte, die eine kritische Meinung über das Bildungsministerium wiedergaben.[1] Der EGMR urteilte, dass die türkischen Gerichte das Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK dadurch verletzt hätten, dass sie diese Praxis billigten, obwohl die Kündigung für die Likes tarifvertraglich gedeckt war. Die Entscheidung beleuchtet viele Aspekte, die eine Rolle bei der Bewertung von Likes spielen. Der EGMR misst der Freiheit, Posts mit einem "Like" zu markieren, eine hohe Bedeutung zu.

Dies ließe sich damit begründen, dass jemand, der einen Beitrag "liked", sich die Meinung nicht notwendigerweise zu eigen macht und sich eher passiv verhält. Insofern ist einem mehrdeutigen Verhalten nicht ohne Weiteres die inkriminierende Deutung zu wählen.

 
Praxis-Beispiel

Kündigung wegen "Gefällt mir"-Angabe

Ähnlich entschied bereits im März 2012 das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau einen Fall.[2] Bei diesem ging es um eine Arbeitnehmerin, die einen Post mit einem "Gefällt mir" versah. Der Beitrag rückte ihren Arbeitgeber in ein schlechtes Licht. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis. Das Gericht entschied, dass die "Gefällt mir"-Angabe keinen wichtigen Grund für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB bilde.

Indes lässt sich auch die gegenteilige Ansicht gut begründen. Denn durch ein "Like" verbreitet eine Person einen Beitrag. Dies wirkt sich entsprechend nachhaltiger aus, da der entsprechende Beitrag auf diese Weise dauerhaft im "Feed" von anderen angezeigt wird und (bis zur Löschung) dem privaten Profil desjenigen zuzuordnen ist, der den Beitrag "geliked" hat. Insofern besteht ein relevanter Unterschied zu der Situation, in der jemand der Äußerung eines persönlich Anwesenden zustimmt.

 
Wichtig

Öffentliche Posts mit Bezug zu Arbeitgeber vs. Meinungsäußerungen (bspw. zu politischen Ereignissen)

Bei öffentlichen Posts ist grundsätzlich zwischen solchen zu unterscheiden, die sich auf den Arbeitgeber beziehen, und Meinungsäußerungen, die den Arbeitgeber nicht betreffen.[3] Aus dem Rücksichtnahmegebot ergibt sich jedoch stets, dass Arbeitnehmer Grenzen zu achten haben und auch dann nicht jede Meinung äußern dürfen, wenn sie sich bspw. auf aktuelle politische Ereignisse bezieht.[4] Stört die öffentliche Meinungsäußerung den Betriebsfrieden, kann das ähnlich wie im Fall der "Strauß-Plakette" eine Kündigung rechtfertigen. Äußert sich der Arbeitnehmer rassistisch auf sozialen Medien, muss der Arbeitgeber das nicht hinnehmen, wenn aus dem privaten Konto des Arbeitnehmers ersichtlich ist, wer sein Arbeitgeber ist.[5]

 
Praxis-Beispiel

Kündigung wegen antisemitischer und israelfeindlicher Artikel vor Beginn des Arbeitsverhältnisses

Im Juni 2023 entschied des LAG Berlin-Brandenburg zu der Frage, ob der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigen darf, wenn die Arbeitnehmerin vor Beginn des Arbeitsverhältnisses antisemitische und israelfeindliche Artikel veröffentlichte.[6] Der Arbeitgeber war ein größeres Medienunternehmen, dessen Geschäft unter anderem die Berichterstattung über politische und gesellschaftliche Themen ist. Die Arbeitnehmerin war als Journalistin ("Middle-East Redakteurin") angestellt und im Zeitpunkt der in Rede stehenden Äußerungen als "freie Mitarbeiterin" für den späteren Arbeitgeber tätig. Sie stellte insbesondere das Existenzrecht des Staates Israel in Frage und befürwortete Verbrechen an Menschen jüdischen Glaubens.

Das LAG Berlin-Brandenburg gab der Kündigungsschutzklage statt. Zur Begründung führte es aus, dass zwar die Äußerungen "an sich" einen wichtigen Grund für eine Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB bildeten, es dem Arbeitgeber indes zumutbar sei, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Das Gericht berücksichtigte maßgeblich, dass die Arbeitnehmerin die Artikel vor Beginn des Arbeitsverhältnisses veröffentlichte. Es sei dann entscheidend, ob durch das vorvertragliche Fehlverhalten das berechtigte Vertrauen des Arbeitgebers in die Zuverlässigkeit und Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört ist. Dies verneinte das LAG Berlin-Brandenburg. Darüber hinaus waren die Artikel in arabischer Sprache verfasst und auf dem Twitter (heute "X")-Account der Arbeitnehmerin war kein Bezug zu den früheren Artikeln erkennbar.

Im Ergebnis überzeugt diese Begründung nicht. Angesichts der Äußerungen ist es lebensfremd anzunehmen, der Arbeitgeber könne darauf vertrauen, dass die Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit als "Middle-East-Redakteurin" fortan zuverlässig und redlich ausübt.

[1] EGMR, Urteil v. 15.6.2021, 35786/19 (Melike/Türkei).
[2] ArbG Dessau-Roßlau, Urteil v. 21.3.2012, 1 Ca 148/11.
[3] Kort, NZA 2012, 1321.
[4] Hülsmann, RdA 2022, 228.
[5] ArbG Mannheim, Urteil v. 19.2.2016, 6 Ca 190/15.
[6] LAG Berlin-...

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