Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Datenschutz. Entfernung einer ärztlichen Äußerung aus der Gerichtsakte. Einholung eines weiteren Gutachtens. effektiver Rechtsschutz. Vorbeugung einer möglichen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots. Abgrenzung: Gutachten. beratende ärztliche Stellungnahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Steht in einem unfallversicherungsrechtlichen Streitverfahren die Einholung eines weiteren Gutachtens an, so ist aus Gründen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes über einen Antrag auf Entfernung einer ärztlichen Äußerung vor der Versendung der Gerichtsakten an den Sachverständigen zu entscheiden.

2. Die Abgrenzung zwischen Gutachten und beratender ärztlicher Stellungnahme bemisst sich nach deren Inhalt (Anschluss an BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R = SozR 4-2700 § 200 Nr 1).

 

Tenor

Der Antrag des Klägers das „Gutachten“ des Prof. Dr. N. vom 21.2.2007 sowie dessen Stellungnahmen vom 22.05. und 24.09.2007 aus der Gerichtsakte zu entfernen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Der Kläger erstrebt im vorliegenden Rechtsstreit die Anerkennung und Entschädigung der bei ihm gegebenen Erkrankungen als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zu Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Nachdem das Landessozialgericht im Verlauf des Berufungsverfahrens ein orthopädisches Sachverständigengutachten bei Dr. P. vom 07.02.2006 eingeholt hat, der die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 2108 bejahte, hat die Beklagte angekündigt, hierzu eine „ergänzende Stellungnahme“ des Prof. Dr. N. , Berufsgenossenschaftliche Kliniken B. , B. , vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 12.03.2007 hat sie eine schriftliche Äußerung des Prof. Dr. N. vom 21.02.2007 übersandt, die mit „fachradiologisches Gutachten“ überschrieben war. In der Folge hat die Beklagte noch zwei weitere schriftliche Äußerungen des Vorgenannten vom 22.05.2007 und 24.09.2007 vorgelegt, die jeweils mit „fachradiologische Stellungnahme“ überschrieben waren.

Mit seinem Antrag vom 19.12.2008 begehrt der Kläger die Entfernung des bei Prof. Dr. N. eingeholten „fachradiologischen Gutachtens“ vom 21.02.2007 sowie der beiden fachradiologischen Stellungnahmen vom 22.05. und 24.09.2007.

Zur Begründung führt er aus, die Äußerung des Prof. Dr. N. vom 21.02.2007 stelle ein Gutachten dar, hinsichtlich dessen die Beklagte die Bestimmung des § 200 Abs. 2 SGB VII nicht beachtet habe. So seien dem Kläger weder mehrere Gutachter benannt worden, noch habe ihn die Beklagte über sein Widerspruchsrecht informiert.

Die Beklagte ist dem Antrag entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, Prof. Dr. N. sei als Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Nuklearmedizin zwar kein unmittelbarer Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft, aufgrund seiner hohen Qualifikation berate er diese jedoch seit vielen Jahren. Dementsprechend habe sich durch langjährige Übung und schlüssiges Verhalten eine Rechtsbeziehung ausgestaltet, die einem Dienst- bzw. Beratungsvertrag entspreche, auch wenn ein solcher bislang noch nicht schriftlich fixiert worden sei. Prof. Dr. N. sei aufgrund seiner Integration wie ein interner Arzt der Beklagten tätig und als solcher auch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die von ihm gefertigten Äußerungen seien im Übrigen auch keine Gutachten, sondern Stellungnahmen. Schließlich habe sie von Prof. Dr. N. auch nur Stellungnahmen und keine Gutachten erbeten, sodass die von diesem gewählte Bezeichnung der schriftlichen Äußerung vom 21.02.2007 als „fachradiologisches Gutachten“ bereits deshalb im Hinblick auf § 200 Abs. 2 SGB VII nicht von Relevanz sei.

II.

Der Antrag ist zulässig.

Der Senat hat über diesen Antrag bereits im jetzigen Verfahrenstadium zu entscheiden.

Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Adressat eines aus einer eventuellen Verletzung des § 200 Abs. 2 Halbs. 2 SGB VII i.V.m. § 76 Abs. 2 SGB X resultierenden Beweisverwertungsverbots (vgl. dazu BSG, Urt. vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - SGb 2009, 40 ff) das erkennende Gericht ist.

Diesem Beweisverwertungsverbot kann je nach Verfahrenstadium in unterschiedlicher Weise Rechnung getragen werden. Steht - was vorliegend jedoch nicht der Fall ist - eine Entscheidung über das klägerische Begehren durch Urteil an, so kann dem Beweisverwertungsverbot dergestalt Rechnung getragen werden, dass eine gegen § 200 Abs. 2 SGB VII verstoßende gutachterliche Stellungnahme, die Bestandteil der Gerichtsakte geworden ist, inhaltlich vom Gericht bei der Entscheidungsfindung nicht zur Kenntnis genommen werden darf, ohne dass diese aus den Gerichtsakten zu entfernen ist.

Steht hingegen die Einholung eines weiteren Gutachtens, sei es von Amts wegen oder - wie vorliegend - nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an, so ist das Gericht aus Gründen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) gehalten, einer möglichen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbotes vorzubeugen. Eine derartige Fernwirkung kann beispielsweise dann eintreten, wenn das zweite Be...

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