Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. freiwillig versicherte Studentin. Erlass bzw Niederschlagung von Beitragsforderungen sowie Rückzahlung geleisteter Beiträge. kein unbegrenzter Zugang zur Krankenversicherung der Studenten oder zu einer kostenfreien Krankenversicherung. Zahlung eines angemessenen Mindestbeitrags. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zum Streit um einen Anspruch einer in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versicherten Studentin auf Erlass bzw Niederschlagung von Beitragsforderungen sowie auf Rückzahlung von geleisteten Beiträgen.

2. Es gebieten weder die durch Art 12 Abs 1 S 1 GG geschützte Berufswahlfreiheit noch der Schutz der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG), einen unbegrenzten Zugang zur Krankenversicherung der Studenten oder zu einer kostenfreien Krankenversicherung zu ermöglichen (vgl BSG vom 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 R = BSGE 117, 117 = SozR 4-2500 § 5 Nr 24 RdNr 36, 37). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass freiwillig Versicherte einen den Umfang ihres Krankenversicherungsschutzes angemessenen Mindestbeitrag zu zahlen haben (vgl BVerfG vom 19.12.1994 - 1 BvR 1688/94 = SozR 3-1300 § 40 Nr 3 RdNr 5).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.03.2018; Aktenzeichen B 12 KR 12/17 C)

BSG (Beschluss vom 03.04.2017; Aktenzeichen B 12 KR 92/16 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.04.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt den Erlass, hilfsweise die unbefristete Niederschlagung von Beitragsforderungen der Beklagten sowie die Rückzahlung von geleisteten Beiträgen für die Zeit seit dem 01.08.2013.

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin legte 1990 das Abitur ab, nahm in N ab dem Wintersemester 1993/94 das Studium der Medizin auf, ohne dieses mit einem Abschluss zu beenden, und zog 2002 nach C um, wo sie seit 2006 Rechtswissenschaften studiert. Sie ist seit dem 04.09.1994 Mitglied der Beklagten, bei der sie seit dem 01.10.1999 als freiwillig Krankenversicherte geführt wird. Die Beklagte berechnete die von der Klägerin ab dem 01.08.2013 zu entrichtenden Beiträge nach der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage von 921,67 Euro. Die Klägerin kam ihren Zahlungspflichten stets nach; offene Beitragsforderungen bestehen nicht.

Mit Schreiben vom 10.11.2013 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag auf Erlass der Beitragsansprüche, hilfsweise auf unbefristete Niederschlagung sowie auf Rückzahlung bereits entrichteter Beiträge ab August 2013. Zur Begründung führte sie aus, dass sie seit August 2013 ihren Lebensunterhalt durch die Überziehung ihres Kontos und damit durch Nutzung eines Dispositionskredites sicherstelle. Seit Mai 2013 erhalte sie von ihrem Vater keinen Unterhalt mehr, bis Juli 2013 habe ihr ihre Mutter übergangsweise ausgeholfen. Die Suche nach einer Arbeitsstelle, die sie neben ihrem Studium zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes ausüben könne, habe bisher keinen Erfolg gezeigt. Seit August 2013 verfüge sie über kein Einkommen mehr. Sie bitte deshalb um Rückzahlung der seitdem gezahlten Beiträge sowie um Erlass der Beiträge mit sofortiger Wirkung und für die Zukunft, bis sich die Situation geändert habe. Jedoch werde auch mit einer Arbeitsstelle neben dem Studium kaum die Einnahmegrenze erreicht, die eine Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge ermöglichen werde. Das heiße, ihre prekäre Situation werde sich bis zum Ende des Studiums voraussichtlich nicht ändern. Die Einziehung der Beiträge sei unbillig, da zurzeit kein anrechenbares Einkommen zur Verfügung stehe. Die Bedarfsgrenze im Sinne des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für eine Alleinstehende sei bei ihr nicht gesichert. Es liege ein persönlicher Härtefall vor. Die Erfüllung der Beitragsforderungen sei unzumutbar und existenzbedrohend. Die Niederschlagung sei wegen der Erfolglosigkeit einer zwangsweisen Einziehung vorzunehmen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18.11.2013 einen Erlass der Beiträge ab. Nach dem Beitragsschuldengesetz sei dies nur möglich, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung keine andere Absicherung im Krankheitsfalle bestehe. Dies sei vorliegend nicht gegeben, denn die Klägerin sei seit dem 04.09.1994 ihr Mitglied.

Die Klägerin legte Widerspruch ein und machte geltend, eine Ermessensausübung nach Maßgabe des § 76 Abs. 2 Nr. 2 und 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sei nicht erfolgt. Die Einziehung der Forderung sei aus besonderen Gründen unbillig. Ihre persönlichen Verhältnisse erlaubten keine Erfüllung der Beitragsforderungen. Das Einkommen sei so gering, dass sie deutlich unterhalb des Betrages liege, den der Gesetzgeber für das Existenzminimum vorsehe. Die Ablehnung verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 1 GG, wie es im Urteil des Bundesverfassungsgericht...

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