Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 150 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3a bis 3f SGB IV haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen i.S.v. § 175 Abs. 2 SGB VII beauftragt, als sog. Hauptunternehmer für die Erfüllung der Zahlungspflicht von Beiträgen dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge.

2. Bei der Auswahl des Nachunternehmers hat der Hauptunternehmer die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Hierzu gehört u.a. eine gewissenhafte Nachprüfung, ob die vom Nachunternehmer angebotene Leistung die Lohnkosten mit den Sozialversicherungsbeiträgen zutreffend einkalkuliert hat.

3. Bei Vorlage einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung (UB) muss der Hauptunternehmer keine tiefere Prüfung der Zuverlässigkeit des Nachunternehmers vornehmen. Er bleibt jedoch verpflichtet, eine grobe Plausibilitätsprüfung dahingehend vorzunehmen, ob mit den in der qualifizierten UB eingetragenen Unternehmensteilen der entsprechende Auftrag überhaupt ausgeführt werden kann und die darin angegebenen Arbeitsentgelte in angemessenem Verhältnis zu den voraussichtlichen Lohnnebenkosten stehen.

 

Normenkette

SGB IV § 23 Abs. 3, § 25 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 S. 1, § 28e Abs. 2 S. 2, Abs. 3a, § 28e Sätze 1, 3, § 28e Abs. 3b S. 1, Abs. 3c, § 28e 3e, § 28e 3 f., § 28p; SGB IV a.F. § 28a; SGB IV § 28b S. 2, § 28d S. 1, § 28f Sätze 1-2; SGB VII § 150 Abs. 3, § 152 Abs. 1 S. 1, § 164 Abs. 1, § 166 Abs. 2 S. 1, § 175 Abs. 2; SGB VII a.F. § 150 Abs. 3 Sätze 1-2; SGB VII § 165 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; SGB III a.F. § 101 Abs. 2; SchwarzArbG §§ 2, 6; VOB/A § 8; SGB X §§ 9, 20 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1, 3; InsO § 87; BGB §§ 242, 366 Abs. 2, § 396 Abs. 1 S. 1; GG Art. 2 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1; SGG §§ 86, 95, 197a Abs. 1 S. 1; VwGO § 154 Abs. 1; GKG § 63 Abs. 2 S. 1, § 52 Abs. 1, 3 S. 1, § 47 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.01.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 67.798,78 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Rechtmäßigkeit sogenannter Haftungsbescheide im Streit.

Die Klägerin ist im Hochbau als selbständiges Bauunternehmen (auch international) tätig. Am 01.10.2013 (Bl. 206 f. Senatsakte) beauftragte sie die Firma M Stahl und Bau GmbH (später M Immobilien und Dienstleistungen GmbH; im Folgenden einheitlich: Auftragnehmerin) mit der Durchführung von Rohbauarbeiten im Rahmen des Bauvorhabens „Campus P, E-Allee, B“ im Wert von netto (geschätzt) 1.861.069,15 €. Grundlage der Auftragsvergabe war das Verhandlungsprotokoll vom 05.09.2013 (Bl. 198 ff. Senatsakte) und die Zusatzvereinbarung vom 26.09.2013 (Bl. 205 Senatsakte), wonach die Hauptleistung am 07.10.2013 beginnen und am 30.04.2014 fertiggestellt sein sollte. Dementsprechend sollten die Arbeiten laut dem Personalorientierungsplan vom 26.09.2013 (Bl. 353 Senatsakte) in der Kalenderwoche (KW) 41 (07.10.2013 bis 13.10.2013) beginnen und in der KW 18 (28.04.2014 bis 04.05.2014) enden. Inhalt des Vertrages war - nach dem ausdrücklichen Vortrag der Klägerin - die Erbringung von „nahezu ausschließlich“ Lohnleistungen (Bl. 324 Senatsakte). Das Material wurde „bauseits“ gestellt (siehe u.a. Angebotsemail vom 06.08.2013, Bl. 325 Senatsakte). Hinsichtlich der Einzelheiten und des genauen Inhalts der Vereinbarungen und des Personalorientierungsplans wird auf die Senatsakte Bezug genommen.

Noch vor Auftragserteilung (Bl. 324 Senatsakte) legte die Auftragnehmerin der Klägerin neben weiteren Unterlagen (Bl. 440 ff. Senatsakte) u.a. eine Gewerbeanmeldung vom 01.02.2013 (gemeldete Tätigkeit: Durchführung von Stahlarmierungs-, Maurer- und Betonarbeiten; Bl. 440 Senatsakte), wonach die angemeldete Tätigkeit am 01.01.2013 begann, sowie eine Unbedenklichkeitsbescheinigung (UB) der Beklagten vom 29.07.2013 vor (Bl. 447 Senatsakte), die bis zum 28.01.2014 gültig war und in der ihr bescheinigt wurde, dass sie ihre Zahlungsverpflichtungen zur gesetzlichen Unfallversicherung bis zum „heutigen Tag“ erfüllt habe. Als Arbeitsentgelte für die aktuellen Vorschüsse im Unternehmensteil „Hochbau“ waren 360.000,- € und im Unternehmensteil „Büroteil“ 14.968,- € ausgewiesen. In der UB wurde außerdem darauf hingewiesen, dass der Auftraggeber grundsätzlich aus dem Auftragsverhältnis zum Auftragnehmer für dessen nicht gezahlte UV-Beiträge (§ 150 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB VII≫) hafte. UBen der BG BAU befreiten nach ihrem Inhalt nur dann von einer Inanspruchnahme, wenn die Gültigkeitszeiträume der Bescheinigungen den Bauzeitraum vollständig erfassten (Nr. 1), das Verhältnis der obigen Arbeitsentgelte zu der Anzahl der auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer plausibel sei (Nr. 2) und der Auftragnehmer mit den obigen Unternehmensteilen die übernommenen Arbeiten ausfü...

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