Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung. unversorgtes Ausscheiden eines satzungsmäßigen Mitglieds einer geistlichen Genossenschaft oder einer ähnlichen Gemeinschaft. 30-jährige Verjährungsfrist bei unterbliebener Nachversicherung. rechtsmissbräuchliche Erhebung der Verjährungseinrede

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Nachversicherung eines ehemaligen Mitglieds einer Religionsgemeinschaft und zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Erhebung der Verjährungseinrede (Bestätigung von LSG Stuttgart vom 17.2.2020 - L 9 BA 1892/18 und Abweichung von BSG vom 27.6.2012 - B 5 R 88/11 R = BSGE 111, 107 = SozR 4-2600 § 233 Nr 2 und vom 2.11.2015 - B 13 R 35/14 R).

 

Orientierungssatz

1. Zum Begriff der geistlichen Genossenschaft oder der ähnlichen Gemeinschaft iS des § 9 Abs 5 AVG (vgl LSG Stuttgart vom 17.2.2020 - L 9 BA 1892/18).

2. Zur Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist nach § 25 Abs 1 S 2 SGB 4 (vgl BSG vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R = BSGE 120, 209 = SozR 4-2400 § 28p Nr 6 sowie LSG Stuttgart vom 17.2.2020 - L 9 BA 1892/18).

3. Bei der Prüfung, ob die Verjährungseinrede nach § 25 SGB 4 rechtsmissbräuchlich erhoben worden ist, muss dahingehend differenziert werden, ob der Beitragsschuldner eine Behörde oder eine juristische Person des Privatrechts ist, von der nicht dieselben juristischen Kenntnisse erwartet werden können wie von einem öffentlich-rechtlichen Träger.

4. Jedenfalls in Fällen, in denen der Nachversicherungsschuldner keine öffentlich-rechtliche Behörde ist, ist die Auffassung, die eine Treuwidrigkeit allein mit Blick auf eine objektive Pflichtwidrigkeit unabhängig von subjektivem Verschulden annimmt, als zu weitreichend anzusehen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 05.01.2022; Aktenzeichen B 5 R 2/21 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. Oktober 2018 sowie die Bescheide der Beklagten vom 15. Januar 2016 und 11. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2016 aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 12.501,91 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die die Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen für die Zeiträume vom 01.09.1973 bis 15.08.1974 und vom 01.10.1974 bis 31.07.1979.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, religiöse und mildtätige Zwecke in Form der Unterstützung hilfsbedürftiger Personen und der Förderung der Religion des christlichen Glaubens verfolgt (§ 2 Nr. 1 der Satzung i. d. F. vom 27.06.1999). Bei der Mitgliedschaft wird zwischen aktiven (Ordensmitgliedern) und passiven Mitgliedern unterschieden. Aktives Mitglied kann werden, wer nach loser Zugehörigkeit die Aufgaben und Ziele des Vereins bejaht und bereit ist, sie zu verwirklichen. Grundlage hierfür sind die Ordensregeln. Eine Ordensmitgliedschaft beginnt mit der Einsegnung und dem Ablegen der Profess. Der Verein ist eine verbindliche, freie b. A., eine Lebensgemeinschaft mit absoluter Gütergemeinschaft. Die aktiven Mitglieder (Ordensmitglieder) widmen dem Verein während ihrer Zugehörigkeit zum Orden ihre gesamte Arbeitskraft und der Verein sorgt für seine Mitglieder während derselben Zeit in gesunden und kranken Tagen (§ 3 Nr. 1 und 2 der Satzung i. d. F. vom 27.06.1999). Der Kläger ging aus einem Zusammenschluss zweier 1972 gegründeter Vereine hervor. Am 14.01.1972 wurde der Verein B. C. D. F. e.V. (F.) gegründet. Zielsetzung war zum einen die Praktizierung der verbindlichen christlichen Nachfolge und zum anderen der Bau und die Führung des Projekts Jugend-, Freizeit- und Altenzentrum. Parallel dazu wurde der Verein F. Jugend-, Freizeit- und Altenzentrum e.V. (Freundeskreis F.) gegründet, der als gemeinnützig anerkannt war und als Freundeskreis den F. unterstützte. 1987 wurde der F. e.V. umbenannt in B. A. D. G. e.V. und mit dem Freundeskreis F. zusammengeschlossen. Die Vereinssatzung wurde dabei grundlegend geändert. Bereits in der ursprünglichen Satzung des F. vom 14.01.1972 waren vergleichbare Regelungen enthalten. Darin war laut § 1 der Verein eine Vereinigung von Menschen, die die Nachfolge Christi praktizieren wollten und es war seine Aufgabe, den Menschen mit Wort und Tat zu dienen und in verbindlicher Nachfolge zu leben. Außerdem hatte sich der Verein zur Aufgabe gestellt, ein Freizeit- und Altenzentrum aufzubauen und zu führen. Mitglied konnte nach § 4 werden, wer nach loser Zugehörigkeit die Aufgabe und Ziele des Vereins bejahte und bereit war, sie zu verwirklichen.

Der 1954 geborene und am 07.03.2018 verstorbene W. (im Folgenden: W.), der bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert war, war Gründungsmitglied des F. Im Januar 1973 zogen die ersten Brüder des F. zusammen und bildeten eine Wohngemeinschaft, darunter war auch W. Seine zu diesem Zeitpunkt noch ausgeübte Tätigkeit als Vermessungstechniker beim L B gab er am 31.08.1973 auf und...

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