Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitritt einer Person oder Stelle zum Verfahren in der Beschwerdeinstanz. Fehlerhafte Einladung zur Wahlversammlung. Pandemiebedingte Unmöglichkeit der Einladung zur Betriebsversammlung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Tritt eine in erster Instanz im Beschlussverfahren nicht beteiligte Person oder Stelle erst in der Beschwerdeinstanz dem Verfahren als weitere Antragstellerin bei, liegt darin eine subjektive Antragsänderung, die nach § 81 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 533 ZPO zulässig ist, wenn sie sachdienlich ist oder die Zustimmung der Antragsgegnerseite vorliegt.

2. Die Notwendigkeit der Einladung aller Arbeitnehmer zur Betriebsversammlung zur Bestellung eines Wahlvorstands dient dem Interesse der Förderung einer demokratischen Betriebsratslegitimation. Erreicht die Einladung etwa zehn von 186 Mitarbeitern nicht, ist sie fehlerhaft.

3. Verbietet eine Corona-Bekämpfungsverordnung eine Betriebsversammlung zwar nicht grundsätzlich, fordert sie aber ein Abstandsgebot von 1,5 m pro Teilnehmer, besteht keine geeignete Versammlungsmöglichkeit für 186 Teilnehmer. In diesem Fall kann das Arbeitsgericht in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG einen Wahlvorstand zur Betriebsratswahl bestellen. Denn anderenfalls würde die Wahl eines Betriebsrats erheblich erschwert oder sogar auf unabsehbare Zeit unmöglich gemacht.

 

Normenkette

BetrVG §§ 17-18; ZPO § 253; BetrVG § 18a; WO §§ 1-2; ZPO § 533; ArbGG § 81 Abs. 1; 26. CoBeLVO Rheinland-Pfalz § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 10.12.2020; Aktenzeichen 9 BV 25/20)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 4. bis 7. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 10.12.2020, Az. 9 BV 25/20, wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl.

Die Beteiligten zu 4) bis 7) sind Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen für medizinische Früherkennung, Diagnostik und Prognose von Autoimmunerkrankungen anbieten. Sie beschäftigen - zusammen- 186 Arbeitnehmer (davon 147 bei der Beteiligten zu 4), 26 bei der Beteiligten zu 5), 12 bei der Beteiligten zu 6) und eine Mitarbeiterin bei dem Beteiligten zu 7). Geschäftsführer der Beteiligten zu 4) bis 6), bzw. deren jeweiliger persönlich haftender Gesellschafterin, ist Herr Dr. P., der auch einer der Vorsitzenden des Vorstands des Beteiligten zu 7) ist.

Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind bei der Beteiligten zu 4) beschäftigte Arbeitnehmer. Sie gehören dem Betrieb länger als sechs Monate an, sind über 18 Jahre und alt bereit, das Amt des Wahlvorstands wahrzunehmen.

Beteiligte zu 8) ist die IG Metall, die zweitinstanzlich ihren Beitritt zum Verfahren erklärt hat.

Bislang ist bei den Beteiligten zu 4) -7) kein Betriebsrat gebildet.

Mit Schreiben vom 15.06.2020 haben die Beteiligten zu 1) bis 3) die Beschäftigten der Beteiligten zu 4) bis 7) zu einer Versammlung zur Wahl des Wahlvorstandes für den 30.06.2020 eingeladen. Sie hängten elf Exemplare des Schreibens am 15.06.2020 im Betrieb der Beteiligten zu 4) bis 7) in allen vier Gebäuden an allen schwarzen Brettern aus und versandten das Schreiben zusätzlich per E-Mail an die Arbeitnehmer der Beteiligten zu 4) bis 7). Darüber hinaus baten die Beteiligten zu 1) bis 3) auch Herrn Dr. P., das Einladungsschreiben auch denjenigen Beschäftigten zuzuleiten, die etwa im Homeoffice, im Außendienst oder wegen Mutterschutz oder Elternzeit nicht im Betrieb anwesend waren, und auch ihnen die Teilnahme an der Versammlung zu ermöglichen. Herr Dr. P. kam dieser Bitte nicht nach, so dass etwa zehn Arbeitnehmer über die für den 30.06.2020 avisierte Betriebsversammlung uninformiert blieben.

Mit Schreiben vom 24.06.2020 erklärte Herr Dr. P., die Veranstaltung am 30.06.2020 könne im Hinblick auf die geltenden Vorgaben der 10. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz nicht stattfinden.

Es kam weder am 30.06.2020 noch an einem anderen Tag zu einer Betriebsversammlung.

Die Beteiligten zu 1) bis 3) haben mit am 29.06.2020 bei dem Arbeitsgericht Mainz eingegangener Antragsschrift die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands beantragt.

Zur Begründung ihres Antrags haben sie erstinstanzlich vorgetragen, die Durchführung einer Betriebsversammlung sei nicht möglich gewesen. Alternativen zu der für den 30.06.2020 geplanten Veranstaltungen seien nicht in Betracht gekommen. Eine Veranstaltung unter freiem Himmel wäre nicht als betriebsinterne Versammlung - unter Ausschluss der Öffentlichkeit- organisierbar gewesen. Eine Veranstaltung in geschlossenen Räumen hätte bedeutet, dass man wegen des in der im Juni 2020 geltenden Corona-Bekämpfungsverordnung geregelten Abstandsgebots für 186 Teilnehmer eine Mindestgröße des Versammlungsraums von 930qm benötigt hätte. Ein solcher Raum hätte weder auf dem Betriebsgelände noch in der näheren Umgebung zur Verfügung gestanden. Auf die Ordnungsmäßigkeit der Einladung komme es nicht an,...

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