Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsverfassungsrechtliche "Abmahnung". Abmahnung und Personalakte. Differenzierung zwischen individualarbeitsrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Verhaltensrügen. Wesensmerkmale und Funktion der Personalakte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rügt der Arbeitgeber Verhaltensweisen eines Betriebsratsmitglieds, die er als Verstoß gegen die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit bezeichnet, bei deren Wiederholung er ein Ausschlussverfahren aus dem Betriebsrat androht, handelt es sich um eine "betriebsverfassungsrechtliche" Abmahnung.

2. Ein solches "Abmahnungsschreiben" darf - unabhängig von der Berechtigung der Vorwürfe - nicht zur Personalakte des Betriebsratsmitglieds genommen werden.

3. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber Vorhaltungen macht, die auf das Individualarbeitsverhältnis durchschlagen (hier: Nötigung, Datenschutzverstöße). In einem solchen Fall muss er diese als Verstöße gegen den Arbeitsvertrag bezeichnen und darf diese Rüge nicht mit anderweitigen Vorhaltungen, die sich auf die Betriebsratstätigkeit beziehen, vermengen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Abmahnung wird dadurch gekennzeichnet, dass sie eine individualarbeitsrechtliche Verfehlung als Pflichtverletzung des Arbeitnehmers aufzeigt und Konsequenzen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall androht. Wird in einer "Abmahnung" für den Wiederholungsfall der Antrag auf Entfernung des Arbeitsnehmers aus dem Betriebsrat angedroht, liegt keine Abmahnung im Rechtssinn vor, sondern eine betriebsverfassungsrechtliche Rüge, die nicht in die Personalakte aufgenommen werden darf.

2. Bei der Personalakte handelt es sich um eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbeiters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Sie sollen ein möglichst vollständiges, wahrheitsgemäßes und sorgfältiges Bild über diese Verhältnisse geben.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 1004; BetrVG § 23 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 25.06.2020; Aktenzeichen 10 BV 125/19)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 25.06.2020, Az. 10 BV 125/19, wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Pflicht des Arbeitgebers, zwei Schreiben aus der Personalakte eines Betriebsratsmitglieds zu entfernen.

Der Antragsteller und Beteiligte zu 1.) ist Mitglied des Betriebsrats im von der Beteiligten zu 2.) geführten Betrieb.

Am 24.06.2019 fanden vormittags und nachmittags zwei Teilbetriebsversammlungen statt. Auf beiden Versammlungen hielt der Beteiligte zu 1.) in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied eine Rede. Der genaue Wortlaut der beiden Beiträge ist zwischen den Beteiligten streitig.

In der Folge nahm die Beteiligte zu 2.) ein mit "Abmahnung" bezeichnetes Schreiben vom 25.07.2019 und ein weiteres nicht näher bezeichnetes Schreiben vom 12.08.2019 zu den Personalakten des Beteiligten zu 1.).

Das Schreiben vom 25.07.2019 hat, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut (Anlage AS 1 zur Antragsschrift, Bl. 37 ff. d.A.):

Ihr nachfolgend geschildertes Verhalten veranlasst uns, Sie auf die Einhaltung Ihrer Pflichten als Mitglied des Betriebsrats aufmerksam zu machen.

Am 03.06.2019 kam Frau G... aufgrund einer von Ihnen gestellten Terminanfrage in Ihr Büro.

Sie thematisierten sofort die Abmahnungen, die Frau G... als Führungskraft veranlasst hatte und wollten von ihr wissen, ob diese bereits zugestellt seien. Anschließend redeten Sie ca. 30 Minuten auf sie ein, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, auf Ihre Vorwürfe zu reagieren. Sie beendeten das Gespräch mit der Aussage, Frau G... solle die Abmahnungen zurücknehmen, sonst würde Sie den Sachverhalt auf der Betriebsversammlung darstellen und Frau G... dabei namentlich erwähnen.

Dieses Verhalten stellt eine Nötigung dar, zu der Sie unter keinem Gesichtspunkt berechtigt sind.

Am 21.06.2019 riefen Sie Frau K... an und äußerten auch ihr gegenüber, dass Sie die Abmahnungen auf der Betriebsversammlung thematisieren würden, wenn Frau K... sie nicht zurücknehme.

Auf der Betriebsversammlung vom 24.06.2019 morgens in D... IV führten Sie dann im Rahmen einer Wortmeldung aus, dass eine E-Führungskraft drei Abmahnungen ausgesprochen habe. Ein Mitarbeiter wurde wegen verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit, der zweite wegen unentschuldigten Fehlens abgemahnt. Sie schilderten Ihre eigene Einschätzung dazu, dass dies aufgrund des agilen Arbeitens und der Kultur im Unternehmen nicht verwerflich sei und an dem Tag sowieso keine Arbeit angefallen wäre.

Darüber hinaus stellten Sie dar, dass ein Auszubildender abgemahnt wurde, weil er laut Ihren Ausführungen einmal länger als zehn Stunden im Unternehmen anwesend war.

Dabei haben Sie den Eindruck erweckt, dass es sich bei den abgemahnten Verfehlungen jeweils um Einzelfälle gehandelt habe und es im Vorfeld keinerlei kritische Kommunikation mit den ...

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