Entscheidungsstichwort (Thema)

Domino-Theorie. Punkteschema. Sozialauswahl

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es bleibt offen, ob sich die Entscheidung des BAG zur Aufgabe der Domino-Theorie (BAG vom 09.11.2006 – 2 AZR 812/05) nur auf ein soziales Auswahlverfahren unter Verwendung eines Punkteschemas bezieht.

2. Hat der Arbeitgeber seiner sozialen Auswahl kein Punkteschema zugrundegelegt, kann er einwenden, dass der gekündigte Arbeitnehmer auch bei fehlerfreier Sozialauswahl entlassen worden wäre. Der Einwand bleibt erfolglos, wenn der Arbeitgeber nicht darlegen kann, dass das Ergebnis der sozialen Auswahl unter Zugrundelegung von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht zwangsläufig zu Lasten des gekündigten Arbeitnehmers ausgefallen wäre.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3 Sätze 1-2, Abs. 5 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Herford (Urteil vom 30.07.2008; Aktenzeichen 2 Ca 434/08)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 30.07.2008 – 2 Ca 434/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

Der am 01.01.1969 geborene Kläger, der verheiratet ist und ein Kind hat, war bei der Beklagten, die Küchenmöbel herstellt und 550 Arbeitnehmer beschäftigt hat, seit dem 08.07.1991 als gewerblicher Arbeitnehmer gegen einen Stundenlohn von 14,31 EUR bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden tätig.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.03.2008 fristgemäß zum 30.09.2008 auf der Grundlage eines dem Betriebsrat am 07.03.2008 abgeschlossenen Interessenausgleichs, dem eine Liste der zu kündigenden 86 Arbeitnehmern beigefügt war, auf der sich auch der Name des Klägers befindet.

Der Kläger rügt die fehlerhafte Sozialauswahl und macht geltend, die deutlich jüngeren Mitarbeiter V3 und K2, die erst seit 2003 bzw. 2000 tätig seien, würden weiterbeschäftigt.

Die Beklagte beruft sich gemäß § 1 Abs. 5 KSchG auf die zu vermutende Betriebsbedingtheit der Kündigung. Sie meint, die getroffene soziale Auswahl könne nicht als grobfehlerhaft qualifiziert werden. Allerdings sei der sozialen Auswahl ein konkretes Punkteschema nicht zugrundegelegt worden. Wende man ein übliches Punkteschema an und vergebe für jedes über 20 hinausgehende Lebensjahr einen Punkt, für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit ebenfalls einen Punkt und für Unterhaltspflichten fünf bzw. zehn Punkte, erreiche der Kläger insgesamt 41 Sozialpunkte. Der 31-jährige Mitarbeiter V3, der seit fünf Jahren im Unternehmen tätig sei, komme auf 22 Punkte und der 34-jährige Mitarbeiter K2, seit sieben Jahren im Unternehmen tätig, auf 27 Punkte. In beiden Fällen bestünden keine Unterhaltsverpflichtungen (Steuerklasse I/0). Zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur sei es aber erforderlich gewesen, die Arbeitsplätze der Mitarbeiter V3 und K2 zu erhalten. Vor Durchführung der Personalabbaumaßnahme habe das Durchschnittsalter im Versand 44 Jahre und danach 45 Jahre betragen. Nur durch die Weiterbeschäftigung jüngerer Arbeitnehmer habe erreicht werden können, dass das Durchschnittsalter sich nicht noch weiter erhöhe. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die soziale Auswahl selbst dann nicht zu beanstanden sei, wenn man unterstelle, dass vorrangig die Mitarbeiter V3 und K2 hätten entlassen werden müssen. Aus der Vergleichsgruppe des Klägers seien nämlich insgesamt neun Mitarbeiter mit einer höheren Punktzahl als der Kläger entlassen worden. Deshalb müsse der Kläger zehn andere deutlich weniger schutzwürdige Arbeitnehmer benennen. Andernfalls hätte die behauptete Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl keine Auswirkungen auf die getroffene Kündigungsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 30.07.2008 antragsgemäß festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 27.03.2008 nicht beendet wird und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Wirksamkeit der Kündigung scheitere jedenfalls an der nicht ordnungsgemäß durchgeführten Sozialauswahl. Im Falle des Klägers sei der Beklagten bei der Sozialauswahl ein grober Fehler unterlaufen, denn der ebenfalls in der Verladung tätige Mitarbeiter V4 K2 sei in deutlich geringerem Maße sozial schutzwürdig. Dem Mitarbeiter K2 sei nämlich vier Jahre jünger als der Kläger, habe eine um zehn Jahre kürzere Betriebszugehörigkeit aufzuweisen und als Lediger keine Unterhaltsverpflichtungen zu erfüllen. Dem stehe der 38-jährige verheiratete Kläger mit einem Kind und einer Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren gegenüber. Auf eine ausgewogene Altersstruktur könne sich die Beklagte angesichts der geringen Veränderung des Durchschnittsalters nicht berufen. Da die Beklagte ihrer sozi...

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