Entscheidungsstichwort (Thema)

Auswahlrichtlinie. Altersgruppen. Punkteschema. Sozialauswahl. Treu und Glauben. Rechtsmissbräuchliche Sozialauswahl

 

Leitsatz (amtlich)

Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) kann sich der Arbeitgeber nicht auf eine Sozialauswahl nach Altersgruppen berufen, wenn er sich vorsätzlich über eine bestehende Auswahlrichtlinie hinwegsetzt und zudem die Zahl der innerhalb der einzelnen Altersgruppen zu entlassenden Arbeitnehmer überwiegend falsch berechnet.

 

Normenkette

BGB § 242; KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 19.11.2009; Aktenzeichen 2 Ca 1842/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.03.2015; Aktenzeichen 2 AZR 478/13)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 19.11.2009 - 2 Ca 1842/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Die am 25.06.1953 geborene und verheiratete Klägerin ist seit dem 27.01.1992 bei der Beklagten als mechanische Helferin in der Magnetmontage zu einem monatlichen Bruttomonatsverdienst von zuletzt ca. 2.500,00 € beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sind aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie NRW anwendbar.

Die Beklagte beschäftigte 798 Arbeitnehmer. Aufgrund eines erheblichen Auftragsrückgangs schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat am 05.03.2009 einen Interessenausgleich mit Namensliste ab, in welcher auch die Klägerin genannt ist; insoweit wird auf die Ablichtung Bezug genommen, die die Beklagte als Anlage zum Schriftsatz vom 22.03.2010 zu den Gerichtsakten gereicht hat (Blatt 77 ff. der Akten). Von der Betriebsänderung, die Gegenstand des Interessenausgleichs war, waren insgesamt 222 Arbeitnehmer betroffen. Der Sozialplan, den die Beklagte mit dem Betriebsrat am 05.03.2009 abschloss, regelt unter § 6 Auswahlrichtlinien für die soziale Auswahl hinsichtlich betriebsbedingter Kündigungen. Danach ist die Sozialauswahl im Hinblick auf den Bereich Produktion in der Vergleichsgruppe "mechanische Helfer/innen" der Lohngruppe 2 durchzuführen. Vorgesehen ist ferner die Bildung von Altersgruppen in Fünf-Jahres-Schritten sowie ein Punkteschema für die Gewichtung der Auswahlkriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung. Die endgültige soziale Auswahl soll unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles erfolgen; sofern die Betriebsparteien besondere Umstände des Einzelfalls feststellen, ist dies schriftlich zu dokumentieren. Wegen des näheren Inhalts des Sozialplans wird auf die Ablichtung verwiesen, die die Beklagte als Anlage zum Schriftsatz vom 19.09.2012 zu den Gerichtsakten gereicht hat (Blatt 141 ff. der Akten).

Die Beklagte führte die soziale Auswahl im Rahmen von Altersgruppen innerhalb der Gruppe der mechanischen Helfer durch, wobei 156 Helfer von dem Personalabbau betroffen waren.

In der Altersgruppe der 30- bis 34-jährigen Arbeitnehmer sind acht von 17 Arbeitnehmern entlassen worden. Vier der gekündigten Arbeitnehmer waren bei Anwendung des Punkteschemas entsprechend der Auswahlrichtlinie zu entlassen, da sie die geringste Punktzahl erzielten; vier Kündigungen betrafen Arbeitnehmer mit höheren Punktzahlen. Wegen der Sozialdaten der Arbeitnehmer in dieser Altersgruppe wird auf Blatt 149 der Gerichtsakten verwiesen.

In der Altersgruppe der 35- bis 39-jährigen Arbeitnehmer sind 22 von 59 Arbeitnehmern entlassen worden. Zwölf Kündigungen betrafen Arbeitnehmer, die bei Anwendung des in der Auswahlrichtlinie vorgesehenen Punkteschemas zu entlassen waren. Zehn weitere Arbeitnehmer, die von Kündigungen betroffen waren, erzielten höhere Punktzahlen. Wegen der Sozialdaten der Arbeitnehmer in dieser Altersgruppe wird auf Blatt 150 f. der Akten verwiesen.

In der Altersgruppe der 40- bis 44-jährigen Arbeitnehmer wurden 42 von 108 Arbeitnehmern entlassen. 19 der Gekündigten waren bei Anwendung des Punkteschemas entsprechend der Auswahlrichtlinie zu entlassen. Die Beklagte sprach gegenüber 23 Arbeitnehmern, die eine höhere Punktzahl erzielten, Kündigungen aus. Wegen der Sozialdaten der Arbeitnehmer in dieser Altersgruppe wird auf Blatt 152 bis 154 der Akten verwiesen.

In der Altersgruppe der 45- bis 49-jährigen Arbeitnehmer wurden 35 von 83 Arbeitnehmern entlassen. Dabei betrafen 18 Kündigungen Arbeitnehmer, die bei Anwendung der Auswahlrichtlinie zu entlassen waren. Die Beklagte entließ 17 Arbeitnehmer, die höhere Punktzahlen erzielten. Wegen der Sozialdaten der Arbeitnehmer in dieser Altersgruppe wird auf Blatt 155 f. der Akten verwiesen.

In der Altersgruppe der 50- bis 54-jährigen Arbeitnehmer sprach die Beklagte gegenüber 30 von 75 Arbeitnehmern Kündigungen aus. Die Kündigungen betrafen 12 Arbeitnehmer, die bei Anwendung des Punkteschemas entsprechend der Auswahlrichtlinie zu entlassen waren. Die Beklagte sprach gegenüber 18 Arbeitnehmern, die höhere Punktzahlen...

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