Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Massenentlassungsanzeige trotz fehlender Sollangaben. Geltung des KSchG für ausländisches Unternehmen mit Standort in Deutschland. Auslegung einer Kündigung mit späterem Beendigungszeitpunkt. Übernahme stillgelegter Standorte kein Betriebsübergang. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf 4 Sa 303/21 v. 17.11.2021

 

Leitsatz (amtlich)

1. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer iSv. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.

2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.

3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten iSv. § 613a BGB bilden.

4. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.

5. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf 17.11.2021 - 4 Sa 303/21.

 

Normenkette

KSchG §§ 23-24; BGB § 613a Abs. 1; KSchG § 17 Abs. 1, 4 S. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; KSchG §§ 9-10, 15

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.04.2021; Aktenzeichen 2 Ca 5883/20)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 05.05.2021; Aktenzeichen 8 Ca 997/21)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 05.05.2021; Aktenzeichen 8 Ca 5912/20)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.05.2021 - 8 Ca 997/21 - teilweise abgeändert und die Beklagte zu 1) verurteilt,

    1. an den Kläger Annahmeverzugsvergütung für November 2020 von 751,69 Euro brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.01.2021 zu zahlen;
    2. an den Kläger Annahmeverzugsvergütung für Dezember 2020 von 473,58 Euro brutto abzüglich 43,04 Euro netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen.

    Die weitergehende Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 05.05.2021 - 8 Ca 997/21 - sowie seine Berufungen gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.04.2021 - 2 Ca 5883/20 und vom 05.05.2021 - 8 Ca 5912/20 - werden zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt. Die gerichtlichen Kosten erster Instanz des Verfahrens Arbeitsgericht Düsseldorf - 8 Ca 997/21 - werden dem Kläger zu 93% und der Beklagten zu 1) zu 7 % auferlegt. Im Übrigen bleibt es bei den erstinstanzlichen Kostenentscheidungen.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 1), einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 2), die Frage eines Betriebsübergangs von der Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2) und über die Zahlung einer sog. Sektorzulage (Sektor Pay).

Die Beklagte zu 1) war ein Flugdienstleistungsunternehmen im S.-Konzern mit Sitz in T. (P.). Zwischen ihr und dem 1985 geborenen Kläger bestand seit dem 03.09.2018 ein Arbeitsverhältnis. Grundlage war zuletzt der Arbeitsvertrag vom 29.03.2019. Der Kläger war danach zuletzt als Co-Pilot (First Officer) beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah X. als Stationierungsort sowie M. als Einsatzort vor und enthielt eine Versetzungsklausel, nach der eine Änderung des Stationierungs- und/oder Einsatzortes auch im Ausland aus betrieblichen Gründen vorbehalten war. Der Kläger verdiente im September 2020 eine Vergütung in Höhe von 4.795,33 Euro brutto.

Das für die Beklagte zu 1) von einem externen Dienstleister betriebene Operations Control Center (OCC) nebst Einsatzplanung ("Rostering") befand sich in X. (Polen), verschiedene Funktionsträger der Beklagten zu 1), etwa der Director of Operations und andere für den Flugbetrieb vorgeschriebene sog. "nominated persons", saßen in T.. Die Beklagte zu 1) betrieb mindestens 24 in P. registrierte Flugzeuge des Modells Airbus A-320 von vier Basen aus (Wien, Düsseldorf, Palma de Mallorca und Stuttgart). In M. waren sieben Flugzeuge stationiert, die zumindest wegen der in X. durchgeführten Wartung wechselten. Weiter hatte die Beklagte zu 1) in M. als Ansprechpartner für das Personal und Externe einen sog. "Base Captain" eingesetzt, dessen Befugnisse im Betriebshandbuch, Teil A, Ziffer 1.3.5 ("Operations Manual", im Folgenden OMA, Anlage K13, deren S. 37 f.) festgehalten waren, und einen "Base Supervisor". Inwieweit der Base Captain Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitern der Basis hatte, ist streitig. Wesentliche Personalentscheidungen z. B. über Einstellungen und Kündigungen traf er nicht, setzte aber...

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