Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmissbräuchlichkeit einer AGG-Entschädigung. Kein Entschädigungsanspruch bei bloß formellem Bewerberstatus. Kein Entschädigungsanspruch nach AGG bei fehlendem Bewerbungswillen. Einbringung gerichtsbekannter Tatsachen in den Prozess. Geltung des Beibringungsgrundsatzes im Prozess bei Einbringung gerichtsbekannter Tatsachen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Entschädigungsverlangen eines/einer erfolglosen Bewerbers/Bewerberin nach § 15 Absatz 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein.

2. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (im Anschluss an BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21 - Randnummer 43 BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 37; BAG 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - Randnummer 46 fortfolgende; BAG 26. Januar 2017 - 8 AZR 848/13 - Randnummer 123 fortfolgend mit weiteren Nachweisen).

3. Gerichtsbekannte Tatsachen dürfen im Einklang mit dem Beibringungsgrundsatz jedenfalls bei hinreichend substantiiertem Parteivortrag in den Prozess eingebracht werden.

 

Normenkette

AGG § 15 Abs. 2; BGB § 242; AGG § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 1; ArbGG § 69 Abs. 2, § 97 Abs. 1; ZPO § 115 Abs. 4, § 138 Abs. 1, § 291

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 23.06.2022; Aktenzeichen 42 Ca 716/22)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 25.01.2024; Aktenzeichen 8 AS 17/23)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.06.2022 - 42 Ca 716/22 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) wegen einer Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Die Beklagte betreibt oder betrieb ein Umzugsunternehmen in Form einer UG mit einem Stammkapital von 1.000 EUR in Berlin. Über einen Account mit Bezug zur Beklagten wurde auf dem Portal eBay-Kleinanzeigen eine Stellenanzeige veröffentlicht, wonach die Beklagte eine Sekretärin sucht. Der 1994 geborene Kläger, der in Lohne bei Oldenburg wohnte und wohnt, bewarb sich mit Nachricht vom 25.11.2021 bei der Beklagten auf diese Stelle. Die vom Kläger mit der Klageschrift als Kopie eingereichte Nachricht vom 25.11.2022 (Bl. 12 d. A.) hatte folgenden Inhalt:

"Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die Sie fordern.

Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.

Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben.

Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann und suche derzeit eine neue Herausforderung.

Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.

Ich wäre ab sofort verfügbar.

Mit freundlichen Grüßen Herr A."

Mit E-Mail vom 26.11.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit:

"Leider brauchen wir eine weibliche Sekretärin"

Der Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 24.12.2021 mit, dass sie ihn diskriminiert habe und machte Schadensersatz in Höhe von 3.000,00 EUR geltend. In dem Schreiben heißt es ua.:

"Der Schadensersatz in einem gerichtlichen Verfahren beträgt damit etwa 5.400 EUR. (...) Zusätzlich werde ich noch in einem gerichtlichen Verfahren meine notwendigen Auslagen und Kosten meiner Aufwendungen einklagen.

Nur weil ein gerichtliches Verfahren für mich mit einem enormen zeitlichen Aufwand verbunden ist, schlage ich ihnen diesen gütlichen und für Sie günstigen Vergleich vor. Bitte beachten Sie, dass eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2, wie in diesem Fall nicht lohnsteuerpflichtig ist und auch sonst keine typischen steuerlichen Abgaben anfallen. (...)

Nach Ablauf der Frist oder Ablehnung des Vergleichs werde ich das Arbeitsgericht Berlin einschalten und meine Schadensersatzansprüche dort höher beziffern. Bitte beachten Sie, dass dann neben dem Schadensersatzanspruch von etwa 5400 EUR, auch Schaden für meine Aufwendungen zu leisten sind und Sie die Gerichtskosten des Verfahrens zu tragen haben (§ 91 ZP0). Ihre notwendigen Auslagen für ihren Rechtsbeistand tragen Sie in jedem Fall selbst, weshalb Ihnen in jedem Fall Kosten entstehen werden, die Sie zu tragen haben. Dies ist auch unabhängig, ob Sie das Gerichtsverfahren gewinnen oder verlieren sollten. Vor den Arbeitsgerichten trägt jeder seine Kosten in 1. Instanz selbst (vgl. § 12a ArbGG). Alleine aus Kostengründen sollte daher einem außergerichtlichen ...

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