Entscheidungsstichwort (Thema)

Unionsrechtliches Gleichheitsgebot für die Entlohnung von Frauen und Männern bei Höhergruppierung. Unbegründete Feststellungsklage der Arbeitnehmerin bei unzureichenden Darlegungen zur geschlechtsbezogenen Anknüpfung der Schlechterstellung

 

Leitsatz (amtlich)

keine (Einzelfallentscheidung zur Anwendung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit: Eine geschlechtsbedingte Diskriminierung wurde im konkreten Fall verneint, weil die Klägerin keine hinreichenden Indizien dafür vorgetragen hat, dass die höhere Eingruppierung eines vergleichbaren männlichen Arbeitnehmers durch das Geschlecht motiviert war. Die höhere Eingruppierung beruhte auf einem Eingruppierungsprozess, den den der männliche Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber geführt hatte.)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf Art. 157 AEUV berufen; die Vorschrift schützt sowohl vor unmittelbarer als auch vor mittelbarer Benachteiligung.

2. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit wird in der Richtlinie 54/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.07.2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen konkretisiert.

3. Art. 157 AEUV schreibt nicht generell den Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" im Arbeitsverhältnis vor sondern verbietet "nur" die geschlechtsbedingte unterschiedliche Entlohnung; Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen verstoßen daher nur dann gegen Art. 157 AEUV, wenn sie an die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter eine nachteilige Wirkung knüpfen.

4. Eine weniger günstige Behandlung wegen des Geschlechts setzt voraus, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der weniger günstigen Behandlung und dem Geschlecht besteht; ein solcher Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Geschlecht anknüpft und dadurch motiviert ist oder das Geschlecht Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst.

5. Eine geschlechtsbezogene Benachteiligung setzt weder ein schuldhaftes Handeln noch eine Benachteiligungsabsicht voraus.

6. Allein der Umstand, dass eine Frau ein geringeres Entgelt als ein mit der gleichen oder gleichwertigen Arbeit beschäftigter Mann erhält, begründet keine widerlegbare Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 157 AEUV; das Entgeltgleichheitsgebot verbietet auch nicht jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt.

7. Im Streitfall hat die klagende Partei darzulegen, dass sie die weniger günstige Vergütung "wegen ihres Geschlechts" erhalten hat; dabei kommt ihr die Beweiserleichterung des § 22 AGG zugute, so dass die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen müssen, dass die weniger günstige Behandlung durch ein verpöntes Merkmal motiviert ist.

8. Auch wenn es für Eingruppierungsrechtstreitigkeiten ungewöhnlich erscheint, dass sich das beklagte Land bereits nach der Güteverhandlung der Rechtsauffassung des Gerichts anschließt, ergeben sich allein daraus keine Anhaltspunkte für einen "Scheinvergleich".

9. Weshalb sich ein Arbeitnehmer besser "verkaufen" kann als eine Arbeitnehmerin, kann viele Gründe haben; ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Geschlecht lässt sich in dieser Allgemeinheit jedenfalls nicht herstellen.

 

Normenkette

AEUV Art. 157 Abs. 1, 2 S. 2 Buchst. b; EGRL 54/2006 Art. 2 Fassung: 2006-07-05, Art. 4 Fassung: 2006-07-05, Art. 19 Fassung: 2006-07-05; AGG § 3 Abs. 1-2, § 22; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 27.02.2013; Aktenzeichen 22 Ca 6784/12)

 

Tenor

  1. Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 27.02.2013 - 22 Ca 6784/12 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund des Entgeltgleichheitsgebots einen Anspruch darauf hat, in gleicher Höhe wie der Arbeitnehmer M.H. vergütet zu werden.

Die am 06.11.1956 geborene Klägerin trat bei dem beklagten Land an der U.S. in ein Arbeitsverhältnis als Werkstattleiterin ein. Die Klägerin besitzt eine Ausbildung als Handwerksmeisterin. Sie wurde von der U.S. mit Arbeitsvertrag vom 28.03.1994 für Tätigkeiten der Vergütungsgruppe Vc BAT (Fallgruppe 2) eingestellt. Mit Wirkung zum 01.04.1998 wurde sie im Wege des Bewährungsaufstiegs in die Vergütungsgruppe Vb BAT (Fallgruppe 4) eingruppiert. Zum 01.11.2006 erfolgte die Überleitung in die Entgeltgruppe 9 TV-L, Stufe 4.

Der am 03.06.1950 geborene Arbeitnehmer M.H. wurde zum 01.07.1980 bei der U.S. als Werkstattleiter beim Institut für Zeichnen und Modellieren als Funktionsmeister eingestellt. Herr H. besitzt eine Ausbildung als Facharbeiter. Gemäß Arbeitsvertrag vom 04.07.1980 wurde Herr H. für Tätigkeiten der Vergütungsgruppe Vb BAT (damalige Fallgruppe...

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