Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Fiktion des Betriebsbegriffs in § 24 Abs. 2 KSchG. Ausübung der Leitungsmacht des Luftverkehrsunternehmens aus dem Ausland. Begrenzte Anwendung des deutschen Kündigungsrechts im Falle des § 24 Abs. 2 KSchG. Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Betriebsbegriff des § 24 Abs. 2 KSchG beruht auf einer gesetzlichen Fiktion und ist vom Betriebsbegriff des BetrVG entkoppelt. Es kommt auf eine tatsächliche betriebliche Einheit in Organisation und Verfolgung eines arbeitstechnischen Zwecks nicht an. Diese Fiktion hilft auch über die sonst geforderte Betriebsbelegenheit im Inland hinweg.

2. Ein Luftverkehrsbetrieb iSd. § 24 Abs. 2 KSchG bedarf daher auch keiner akzessorischen Anbindung an einen im deutschen Inland belegenen Bodenbetrieb. Die Leitungsmacht kann auch vom Ausland ausgeübt werden. In diesem Fall unterfallen aber nur die Mitarbeiter des Luftverkehrsbetriebs dem deutschen Kündigungsschutzrecht, deren Arbeitsverhältnisse auch dem deutschen Recht unterliegen. Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg 26. März 2015 - 26 Sa 1513/14 - Abweichung von LAG Baden-Württemberg 17. September 2021 - 7 Sa 32/21 -

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ist ein Luftfahrtunternehmen so organisiert, dass es seinen gesamten arbeitstechnischen Zweck und sein gesamtes Personal einheitlich vom Ausland steuert, kann § 24 KSchG nur so verstanden werden, dass dies auch der Luftbetrieb des § 24 Abs. 2 KSchG ist, wobei die Anwendbarkeit des KSchG wegen des Territorialgrundsatzes auf die Mitarbeiter beschränkt ist, die der deutschen Rechtsanwendung unterliegen. Der Konstruktion eines künstlichen (fiktiven) Bodenbetriebs in Deutschland, zu dem der Luftbetrieb akzessorisch wäre, bedarf es nicht.

2. Die Veräußerung des Betriebs und die Stilllegung des Betriebs schließen sich systematisch aus. Überlässt der Veräußerer die für die Fortführung des Betriebs wesentlichen Betriebsmittel einem Dritten und hält er diesen Vorgang rechtlich unzutreffend für eine Betriebsstilllegung, so ist dies unerheblich. Maßgeblich ist die objektive tatsächlich geplante oder durchgeführte Maßnahme.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2-3, § 17 Abs. 1, 3, § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1-2; BGB § 613a Abs. 4 S. 2; DSGVO Art. 12 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1, 3; Rom I-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1; BGB § 134

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 27.05.2021; Aktenzeichen 22 Ca 5112/20)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 27.05.2021 (22 Ca 5112/20) teilweise abgeändert.

    1. Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten zu 1 vom 14.07.2020 aufgelöst wurde.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

  • III.

    Von den Gerichtskosten erster Instanz hat der Kläger 70 % und die Beklagte zu 1 30 % zu tragen.

    Von den (erstattungsfähigen) außergerichtlichen Kosten erster Instanz des Klägers hat die Beklagte zu 1 30 % zu tragen. Von den (erstattungsfähigen) außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu 1 hat der Kläger 70 % zu tragen. Die (erstattungsfähigen) außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu 2 hat der Kläger in Gänze zu tragen.

    Von den Gerichtskosten der zweiten Instanz hat der Kläger 69 % und die Beklagte zu 1 31 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz des Klägers hat die Beklagte zu 1 31 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Beklagten zu 1 hat der Kläger 69 % zu tragen.

    Die außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Beklagten zu 2 hat der Kläger in Gänze zu tragen.

  • IV.

    Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit zweier von der Beklagten zu 1 ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen, über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers bei der Beklagten zu 2 wegen eines Betriebsübergangs und hilfsweise über Weiterbeschäftigung. Außerdem begehrt der Kläger Auskunft von der Beklagten zu 1 nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO, Erteilung von Kopien der verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie Schadenersatz wegen Verstößen gegen die DSGVO.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den von beiden Parteien nicht beanstandeten ausführlichen Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 27. Mai 2021 Bezug genommen.

Das angefochtene Urteil hat die Klage abgewiesen und ist der Ansicht, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 bereits durch die erste Kündigung vom 14. Juli 2020 zum 31. Oktober 2020 beendet worden sei. Der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sei gem. § 24 Abs. 1, 2 KSchG zwar nur bei inländischen Luftverkehrsbetrieben eröffnet. Ein solcher läge angesichts der von der Beklagten zu 1 maßgeblich von Österreich ausgeübten Leitungsmacht nicht vor. Dennoch seien die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes auf das Arbeitsverhältnis de...

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