Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialpolitik. Vorlage zur Vorabentscheidung. Massenentlassungen. Information und Konsultation. Verpflichtung des Arbeitgebers, der eine Massenentlassung beabsichtigt, der zuständigen Behörde eine Abschrift der Auskünfte zu übermitteln, die den Arbeitnehmervertretern mitgeteilt wurden. Zweck. Folgen der Nichterfüllung dieser Verpflichtung

 

Normenkette

Richtlinie 98/59/EG Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2

 

Beteiligte

G GmbH

MO

SM als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G GmbH

 

Tenor

Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen

ist dahin auszulegen, dass

die Verpflichtung des Arbeitgebers, der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in ihrem Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. b Ziff. i bis v genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln, nicht den Zweck hat, den von Massenentlassungen betroffenen Arbeitnehmern Individualschutz zu gewähren.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-134/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Januar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 1. März 2022, in dem Verfahren

MO

gegen

SM als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von MO, vertreten durch Rechtsanwalt C. Schomaker,
  • –        von SM als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Stahn,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. März 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MO und SM als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G GmbH wegen der Wirksamkeit der Entlassung von MO im Rahmen einer Massenentlassung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 2 der Richtlinie 98/59, der zu deren Teil II („Information und Konsultation“) gehört, bestimmt in den Abs. 1 bis 3:

„(1)      Beabsichtigt ein Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so hat er die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen.

(2)      Diese Konsultationen erstrecken sich zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern.

(3)      Damit die Arbeitnehmervertreter konstruktive Vorschläge unterbreiten können, hat der Arbeitgeber ihnen rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen

a)      die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und

b)      in jedem Fall schriftlich Folgendes mitzuteilen:

i)      die Gründe der geplanten Entlassung;

ii)      die Zahl und die Kategorien der zu entlassenden Arbeitnehmer;

iii)      die Zahl und die Kategorien der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer;

iv)      den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen;

v)      die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, soweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken dem Arbeitgeber die Zuständigkeit dafür zuerkennen;

vi)      die vorgesehene Methode für die Berechnung etwaiger Abfindungen, soweit sie sich nicht aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Praktiken ergeben.

Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde eine Abschrift zumindest der in Unterabsatz 1 Buchstabe b) Ziffern i) bis v) genannten Bestandteile der schriftlichen Mitteilung zu übermitteln.“

Rz. 4

Art. 3 der Richtlinie, der zu deren Teil III („Massenentlassungsverfahren“) gehört, sieht in Abs. 1 vor:

„Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen.

Die Anzeige muss alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter gemäß Artikel 2 enthalten, insbesondere die Gründe der Entlassung, die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen.“

Rz. 5

Art. 4 der Richtlinie, der ebenfalls zu deren Teil III gehört, bestimmt in den Abs. 1 bis 3:

„(1)      Die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten Massenentlassungen werde...

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