Zusammenfassung

 
Überblick

Der Begriff Präventionsparadox wurde erstmals im Bereich der öffentlichen Gesundheit diskutiert und findet vorrangig auf gesamtgesellschaftlicher Ebene statt. Das Präventionsparadox lässt sich allerdings auch auf andere Bereiche, wie z. B. die Arbeitssicherheit, übertragen, da die Systematik der gleichen Denklogik folgt – allerdings einer falschen. Nach einem Überblick über die das Präventionsparadox im Allgemeinen und der Erörterung der dahinter liegenden Logik, sollen relevante Punkte auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz übertragen werden. Die wichtigsten Einflussgrößen werden genannt und Handlungsmöglichkeiten aufgelistet.

1 Das Präventionsparadox

Der Begriff des Präventionsparadox wurde vom britischen Sozialmediziner und Epidemiologe Geoffrey Rose Anfang der 1980er-Jahre geprägt. Am Beispiel der koronaren Herzkrankheit stellte er fest, dass es Präventionsstrategien gibt, die in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich wirksam sind und von der Bevölkerung auch unterschiedlich wahrgenommen werden. Er fand heraus, dass

  • eine präventive Maßnahme, die für die Allgemeinbevölkerung einen hohen Nutzen bringt, dem einzelnen Menschen oft nicht oder nur wenig hilft, und manchmal sogar negative Auswirkungen hat und
  • umgekehrt bringen spezielle präventive Maßnahmen, die für Hochrisikogruppen Wirkung zeigen, der Allgemeinbevölkerung nicht viel, mit der Konsequenz, dass die Maßnahmen von ihr als ungerechtfertigt oder überflüssig eingeschätzt werden.
 
Praxis-Beispiel

Impfungen

Mit einer in der Bevölkerung akzeptierten Impfung gegen eine Infektionskrankheit sinkt die Inzidenz (Erkrankungsrate von neu auftretenden Krankheitsfällen in einer Population innerhalb einer bestimmten Zeitspanne). Dadurch verschwindet das Krankheitsbild und wird von der Bevölkerung als nicht mehr relevant wahrgenommen. Gleichzeitig werden Nebenwirkungen der Impfung oder Impfschäden wahrgenommen. Diese treten zwar weitaus seltener auf als die Infektionskrankheit selbst, werden aber als gravierender eingeschätzt.

Hinzu kommt die Herdenimmunität: Nicht-Geimpfte werden durch Geimpfte geschützt. Ungeimpfte erklären sich ihre Nicht-Ansteckung aber nicht mit der Impfung, sondern der Überflüssigkeit der Impfung. Das Präventionsparadox war auch in der Diskussion um Schutzimpfungen gegen das SARS-CoV-2-Virus relevant[1].

Der Soziologe Armin Nassehi beschreibt das Präventionsparadox treffend: "Man sieht die Schäden nicht, die ausgeblieben sind".

In der Denklogik sieht das folgendermaßen aus:

  • Zum Teil unpopuläre Maßnahmen werden ergriffen, um ein unerwünschtes Ergebnis zu verhindern.
  • Die unerwünschten Ergebnisse bleiben aus.
  • Da die unerwünschten Entwicklungen ausbleiben, werden die Maßnahmen infrage gestellt und als unnötig wahrgenommen.

Das Schwierige an dieser Denklogik ist die unbewiesene Kausalität. Interventionen sollen wirken, das ist das Ziel von Prävention. Es ist aber nicht kausal nachweisbar, dass die Intervention der Grund für das Nichteintreten der unerwünschten Ereignisse ist.

Hemkens & Antes postulieren folgendes Gedankenexperiment: "Nach einer Intervention bleiben bestimmte Kennzahlen unverändert. Die einen argumentieren jetzt, die Intervention habe geschadet – und ohne sie wäre alles viel besser. Die anderen widersprechen und behaupten, die Intervention habe genutzt – und ohne sie wäre alles schlechter."[2]

[1] Franzkowiak, P. (2022). Präventionsparadox. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.).

2 Maßnahmen im Umgang mit dem Präventionsparadox

Um das Präventionsparadox zu entschärfen, sind Maßnahmen hilfreich, die auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen zugeschnitten sind. Die WHO empfiehlt seit Anfang der 2000er-Jahre eine Kombination aus Maßnahmen für die Allgemeinbevölkerung und Hochrisikogruppen.

Maßnahmen für die Allgemeinbevölkerung und Niedrigrisikogruppen

Bei Maßnahmen für die Allgemeinbevölkerung stehen nicht das Krankheitsrisiko des Einzelnen im Mittelpunkt. Es werden stattdessen Variablen wie Alter, Geschlecht, sozialer Status und Bildungsstatus oder das Gesundheitsverhalten betrachtet. Gleichwohl gelten die Maßnahmen für alle. Die benannte Variablen haben lediglich Einfluss auf die Art der Ansprache und die Auswahl der Präventionsangebote.

Maßnahmen für Hochrisikogruppen

Die Hoch-Risiko-Strategien richten sich an den geringen Prozentsatz der Personen der Hochrisikogruppe.

 
Praxis-Beispiel

Gesundheits- und sicherheitspräventive Maßnahmen

Gesundheits- und sicherheitspräventive Maßnahmen "für alle" wären Tragen des Sicherheitsgurts während der Autofahrt, Zahnhygiene und Schutz beim Geschlechtsverkehr. Beispiele für Maßnahmen für Risikogruppen sind Grippeimpfungen für Ältere oder Strategien zur Vermeidung von Alkohol- und Tabakkonsum bei Jugendlichen.

Es ist anzumerken, dass sich beide Strategien nicht ausschließen und es nach Bradley sinnvoll ist "die Anstrengungen auf die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu konzentrieren und gleichzeitig das Risiko für die gesamte Gemeinschaft zu verringern"[...

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