Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 30.08.1989; Aktenzeichen L 11 Kr 51/86)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. August 1989 – L 11 Kr 51/86 – wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die beklagte Ersatzkasse hat es abgelehnt, der bei ihr versicherten Klägerin, die an einer schweren Multiplen Sklerose leidet, allein in einer behindertengerecht eingerichteten Wohnung lebt und im Falle eines Sturzes sich nicht mehr aus eigener Kraft aufrichten kann, die Teilnahmekosten an einem Haus-Notrufsystem zu zahlen; insoweit handele es sich nicht um ein gesetzliches Hilfsmittel (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1986). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die laufenden Teilnehmergebühren für die Haus-Notrufanlage zu übernehmen. Diese Anlage stelle ein Hilfsmittel dar; die Klägerin könne den ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellten Turnbarren auch gar nicht benutzen, wenn sie nicht die Möglichkeit habe, nach einem Sturz Hilfe herbeizurufen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit dem Begriff des Hilfsmittels seien sächliche Mittel gemeint, nicht aber laufende Zahlungen. Die Rufanlage sei untrennbar mit Dienstleistungen verknüpft; Dienstleistungen von Personen seien aber als Hilfsmittel ausgeschlossen. Es sei nicht die Aufgabe der Krankenkassen dafür zu sorgen, daß Behinderte Hilfe herbeirufen könnten. Hier komme eine Eingliederungshilfe nach § 39 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Betracht.

Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie beantragt,

das Urteil das Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. August 1989 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. Mai 1986 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet.

Der Versicherte hat Anspruch auf Hilfsmittel iS der früheren §§ 182 Abs 1 Nr 1c, 182b Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw des jetzigen § 33 Abs 1 Sozialgesetzbuch/Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), soweit das Mittel nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen oder gesetzlich ausgeschlossen ist (§ 33f SGB V). Hilfsmittel ist jede bewegliche Sache, die geeignet und erforderlich ist, den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen.

Soweit die Klägerin Ersatz der Beiträge in Höhe von monatlich 25,– DM begehrt, die ihr durch den telefonischen Anschluß an ein Haus-Notrufsystem des Arbeiter-Samariter-Bundes entstehen, ist ein Anspruch deshalb nicht gegeben, weil es sich bei dem Telefonanschluß als solchem um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, bei dem damit nutzbaren Hilfssystem aber nicht um ein sächliches Mittel, sondern um ein (personales) Dienstleistungssystem handelt. Mit dem Begriff des Hilfsmittels hat der Gesetzgeber in den genannten Bestimmungen aber keine persönlichen Dienstleistungen, sondern ausschließlich sächliche Mittel gemeint (Urteil vom 27. Juni 1985, 8 RK 30/84, betr Blindenführer, SozR 2200 § 182b RVO Nr 31 und Urteil vom 18. Mai 1978, 3 RK 70/77, SozR aa0 Nr 8). Das ergibt sich nicht nur aus der allgemeinen Bedeutung, die dem Wort „Mittel” beigegeben wird, sondern auch aus den der Wendung „und anderen Hilfsmitteln” vorangestellten Begriffen der Körperersatzstücke, der orthopädischen Hilfsmittel und der Seh- und Hörhilfen, ferner aus dem ausdrücklichen Ausschluß der allgemeinen „Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens” und schließlich aus der Formulierung des § 182b Satz 2 RVO/§ 33 Abs 1 Satz 2 SGB V: „Der Anspruch umfaßt auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln sowie die Ausbildung in ihrem Gebrauch.” Zwar können krankhafte Funktionseinbußen auch durch persönliche Dienstleistungen zu einem gewissen Ausgleich gebracht werden. Solche Hilfen gehören jedoch entweder nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl etwa die Pflegehilfe nach § 68 BSHG) oder bedürfen als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung jedenfalls der ausdrücklichen gesetzlichen Erwähnung (vgl die Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff SGB V).

Soweit die Klägerin aber Mietbeiträge für ein am Körper zu tragendes Gerät verlangt, durch das der Arbeiter-Samariter-Bund unmittelbar – ohne Fernsprecher – zu Hilfe gerufen werden kann, besteht ebenfalls kein Anspruch. Bei diesem Rufgerät handelt es sich zwar nicht um ein als Gegenstand des täglichen Lebens anzusehendes Mittel, und entgegen der Ansicht des LSG steht seiner Qualifizierung als Hilfsmittel auch nicht entgegen, daß es nicht als Eigentum oder leihweise, sondern gegen eine Mietzahlung zur Verfügung gestellt wird. Dieses Rufgerät ist jedoch deswegen kein gesetzliches Hilfsmittel, weil sein eigentlicher Zweck, in dem die vom Hilfsmittel zu fordernde Ausgleichsfunktion liegt, nämlich die Klägerin aus einer hilflosen Lage zu befreien, nicht ohne fremde Dienstleistung erfüllt werden kann.

Zwar steht der Hilfsmitteleigenschaft nicht entgegen, daß das Mittel nur einen beschränkten Funktionsausgleich erbringt (BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr 29, S 74; Treppenrampe), daß hier also der Bewegungsunfähigkeit nur in einer Augenblickslage abgeholfen wird, wenn es sich nur, wie hier, um einen wesentlichen Ausgleich handelt. Ein Mittel hat auch nicht deshalb als Hilfsmittel auszuscheiden, weil es vom Versicherten nicht ohne Hilfe anderer Personen benutzt werden kann (vgl BSG, Urteil vom 1. April 1981, 5a/5 RKn 12/79, SozR 2200 § 182b RVO Nr 20, S 56/57; Krankenlifter). Hier ist es aber so, daß die Klägerin zum Gebrauch des Rufgeräts nicht der Hilfe anderer Personen bedarf, sondern der mit dem Gerät verfolgte weitere Zweck der Hilfeleistung und damit die eigentliche Ausgleichsleistung erst durch fremde Dienstleistungen erfolgen kann. Dem Gerät kommt daher in diesem Sinne keine selbständige Erfüllung des auf einen Funktionsausgleich gerichteten Hilfsmittelzweckes zu. Es ist kein gesetzliches Hilfsmittel, da es als solches nicht geeignet ist, die krankhafte Funktionseinbuße der Klägerin auszugleichen und weil der über das Gerät hinausweisende Zweck auf eine pflegerische Leistung zielt, wobei es denn auch in erster Linie diese Leistung ist, die mit den eingeklagten Teilnehmergebühren abgegolten werden soll. Solche Dienstleistungskosten zu erbringen ist die Beklagte nach § 182b RVO, § 33 SGB V nicht verpflichtet, auch nicht deshalb, weil sie der Klägerin ein Turngerät zur Verfügung stellt, dessen Benutzung die Gefahr eines Sturzes mit sich bringt.

Nach den §§ 53 ff SGB V erhalten Schwerpflegebedürftige, bei denen die (weiteren) Anspruchsvoraussetzungen des § 54 SGB V gegeben sind, häusliche Pflegehilfe bzw ein Pflegegeld ab 1. Januar 1991. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Beklagte aufgrund dieser Vorschriften ab 1. Januar 1991 verpflichtet sein könnte, der Klägerin die begehrte Leistung zu erbringen. Dies ist jedenfalls nicht der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Die Revision der Klägerin konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

BSGE, 97

NJW 1991, 775

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