Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Der Kläger - überörtlicher Träger der Sozialhilfe - verlangt von der Beklagten als Träger der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner (KVdR) Ersatz der Aufwendungen für einen Mecalift-Krankenlifter, soweit die Beklagte nach § 48 ihrer Satzung in der bis zum 30. September 1974 gültigen Fassung zur Zahlung einer Beihilfe zu den Kosten eines Hilfsmittels verpflichtet war.

Der inzwischen verstorbene Versicherte Sch… - Mitglied der knappschaftlichen KVdR - litt an einer fortgeschrittenen Multiplen Sklerose mit vollständiger Lähmung der Beine und des rechten Armes. Der Kläger versorgte ihn im Juli 1974 gem. §§ 39, 40 bzw. 49 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) mit einem Mecalift-Krankenlifter, der zum Tragen, Heben und Transportieren von Schwerstkörperbehinderten in der Wohnung dient. Die Beklagte hatte es zuvor gegenüber dem Versicherten abgelehnt, einen Zuschuß zu einem solchen Lifter zu zahlen. Sie verneinte auch einen entsprechenden Ersatzanspruch des Klägers und verzichtete auf die Einrede der Verjährung.

Das Sozialgericht (SG) hat die auf Zahlung von 600,-- DM gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 27. Juni 1979). Entgegen der Ansicht des Klägers sei der Mecalift kein Hilfsmittel im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Da der Versicherte infolge seiner Behinderung den Lifter nicht habe selbst bedienen können, sei durch dieses Gerät die völlige Unbeweglichkeit nicht ausgeglichen worden. Es versetzte lediglich das Pflegepersonal in die Lage, die Pflege des Behinderten leichter auszuführen.

Mit Zustimmung der Beklagten hat der Kläger dieses Urteil mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision angefochten. Seiner Ansicht nach kann dem SG nicht darin gefolgt werden, daß der Mecalift weder den Funktionsausfall der Arme und Beine noch die sonstigen Behinderungen des Versicherten ausgeglichen habe. Dieser sei nicht mehr in der Lage gewesen, sich selbständig zu bewegen, um z.B. vom Bett in den Fahrstuhl oder in die Badewanne und wieder zurück zu gelangen. Er sei zum Ausgleich der fehlenden Körperfunktionen auf die Benutzung eines Lifters angewiesen gewesen. Die Tatsache, daß das Gerät nicht vom Versicherten selbst habe bedient werden können, nehme dem Lifter nicht den Charakter des Hilfsmittels.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 600,-- DM als satzungsgemäßen Zuschuß für den Mecalift des Versicherten Sch… zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne Mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Sprungrevision des Klägers ist begründet. Er hat gegen die Beklagte einen Ersatzanspruch in Höhe des satzungsgemäßen Zuschusses für Hilfsmittel.

Nach § 109 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) i.V.m. §§ 1531, 1532, 1533 Nr. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) kann der Kläger, der als Träger der Sozialhilfe nach gesetzlicher Pflicht den Versicherten unterstützt hat (§§ 39, Abs. 1, 40 Abs. 1 Nr. 2 BSHG), von der Beklagten Ersatz der Aufwendungen für den Mecalift-Krankenlifter in der Höhe verlangen, in der der Versicherte gegen die Beklagte als Träger der knappschaftlichen KVdR einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zur Anschaffung eines solchen Hilfsmittels hatte. Da der Leistungsfall vor dem 1. Oktober 1974 abgeschlossen war, ist das bis dahin geltende Recht - wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (vgl. SozR 2200 § 187 Nrn. 3 und 6) - und nicht die durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl. I 1881) geschaffene neue Regelung anzuwenden. § 20 RKG i.V.m. § 187 Nr. 3 RVO a.F. (mit Wirkung vom 1. Oktober 1974 ersetzt durch § 182b RVO) ermöglichte es der Beklagten durch die Satzung Hilfsmittel zuzubilligen, die nach beendetem Heilverfahren nötig waren, um die Arbeitsfähigkeit herzustellen oder zu erhalten. § 48 der Satzung der Beklagten in der vor dem 1. Oktober 1974 gültigen Fassung des 4. Nachtrags (Kompass 1972, 197 f.) sah vor, daß bei Hilfsmitteln die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich waren, eine Beihilfe in Höhe von 75 v.H. der entstandenen Kosten gewährt wurde, höchstens aber für das einzelne Hilfsmittel innerhalb eines Zeitraums von 24 Monaten ein Betrag von 600,-- DM.

Der 3. Senat des BSG hat mehrfach entschieden, daß die Hilfsmittel entgegen dem durch die Entwicklung der Krankenversicherung überholten Wortlaut des § 187 Nr. 3 RVO a.F. nicht mehr dazu dienen müssen, auf die Arbeitsfähigkeit günstig einzuwirken (vgl. SozR 2200 § 182b Nr. 8, § 187 Nr. 6 m.w.N.) Auch der erkennende Senat hat bereits ausgeführt (BSGE 39, 275 - SozR 2200 § 187 Nr. 4), daß nach § 187 Nr. 3 RVO a.F. Hilfemittel, die dem medizinischen Zweck dienen, eine körperliche Behinderung auszugleichen, als Hilfsmittel im krankenversicherungsrechtlichen Sinn anzusehen sind.

Bei dem Mecalift-Krankenlifter handelt es sich um ein Gerät, das es auf mechanischem Wege ermöglicht, den Erkrankten bzw. Behinderten z.B. aus dem Bett zu heben, zu transportieren und in einen Rollstuhl zu setzen oder in die Badewanne zu legen. Ohne einen solchen Lifter konnten die bei der Pflege behilfliche Gemeindeschwester und die Ehefrau des Versicherten diesen nicht aus dem Bett heben. Er selbst war infolge seiner fortgeschrittenen Multiplen Sklerose nahezu unbeweglich, auch konnte er den Urin nicht halten und es kam nicht mehr zu spontanem Stuhlabgang.

Der 3. Senat des BSG unterscheidet bei Hilfsmitteln danach, ob sie nur mittelbar oder ob sie unmittelbar auf den Ausgleich der Behinderung gerichtet sind (vgl. SozR 2200 § 182b Nr. 17 m.w.N.). Nur letztere Hilfsmittel seien von der Krankenkasse aufzubringen. Es kann hier dahingestellt bleiben, inwieweit das Hilfsmittel Funktionen oder Funktionsbereiche unmittelbar oder mittelbar ersetzt. Auch wenn man die Abgrenzungsmerkmale des 3. Senats maßgebend sein läßt, ist der Mecalift zu den Hilfsmitteln zu rechnen, die dem medizinischen Zweck eines unmittelbaren Ausgleichs von Funktionen dienen, die ersetzt, erleichtert oder ergänzt werden sollen (vgl. SozR 2200 § 182b, Nrn. 12, 13, 17; Urteil des erkennenden Senats vom 25. Februar 1981 - 5a/5 RKn 35/78 -). Es genügt ein teilweiser Funktionsausgleich der unmittelbar die Behinderung betrifft und nicht erst bei ihren Folgen in bestimmten Lebensbereichen einsetzt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 25. Februar 1981, a.a.O. m.w.N.).

Die mangelnde Beweglichkeit des Versicherten hatte zur Folge, daß er sich weder im Bett aufrichten noch aufstehen oder gehen konnte. Diese Funktionen wurden - wenn auch nur teilweise - durch den Mecalift ersetzt. Zwar kann infolge der schweren Erkrankung des Versicherten nur von einem eng begrenzten Funktionsausgleich die Rede sein, das genügt aber, um hier den Hilfsmittelcharakter zu bejahen. In etwa ausgeglichen werden die Funktionen, die erforderlich, sind, um sich im Bett aufzurichten sowie um aus dem Bett in den Rollstuhl und in die Badewanne zu gelangen. Damit dient der Mecalift dazu, lebensnotwendige Grundbedürfnisse des Menschen zu erfüllen. Unter diesem Aspekt hat die Rechtsprechung Geräten die Hilfsmitteleigenschaft zugesprochen, die für die elementare Körperpflege erforderlich sind (vgl. SozR 2200 § 187 Nr. 3 - Bad-helfer/Bade-lifter - § 182b Nr. 10 und Urteil des Senats vom 16. Januar 1979 - 5 RKn 20/77 - Clos-o-mat/WC-Automatic -) und die dem Behinderten die Nahrungsaufnahme ermöglichen (Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 2/78 - KVRS 2240/29).

Der 3. Senat hat bei einem an Multipler Sklerose Erkrankten mit weitgehender Lähmung der Gliedmaßen ein Blattwendegerät als Hilfsmittel bejaht (Urteil vom 26. März 1980 - 3 RK 61/79 - in SozR 2200 § 182b Nr. 17), weil es ebenfalls zu den Grundbedürfnissen gehöre, sich geistig zu betätigen, weshalb die zum Lesen erforderlichen körperlichen Fähigkeiten ersetzt werden müßten (vgl. auch SozR 2200 § 182b Nr. 12). Um so mehr war es Aufgabe der Beklagten, als Krankenkasse die Versorgung des Versicherten mit einem Mecalift zu ermöglichen, weil damit Grundbedürfnisse befriedigt werden konnten, die noch in stärkerem Maße dem Lebensnotwendigen zuzurechnen sind. Ohne dieses Gerät hätte der Versicherte nicht im häuslichen Bereich bleiben können, in dem für seine Wege nur seine Ehefrau und die Gemeindeschwester zur Verfügung standen, die ihn ohne Mecalift nicht heben konnten. Da es für die Beurteilung der Frage nach der Hilfsmitteleigenschaft im Sinne des Rechts der Krankenversicherung wesentlich auf die subjektiven Verhältnisse des Behinderten ankommt (vgl. SozR 2200 § 182b Nr. 17), ist hier auch wieder von Bedeutung, daß sein Freiheitsraum durch das Hilfsmittel erweitert wird (Urteil des erkennenden Senats vom 24. August 1978 - 5 RKn 19/77 - in SozR 2= § 182b Nr. 9). Beim Mecalift gilt dieses Argument in doppelter Hinsicht: Einmal ermöglicht er das Bett zu verlassen, zum anderen schafft das Gerät überhaupt erst die Voraussetzung zur Wahl zwischen der häuslichen Wege und der stationären Behandlung bzw. Pflege in einem Krankenhaus oder Pflegeheim. Dieser Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Berechtigten und seiner angemessenen individuellen Wünsche hat § 33 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) nun für die Zeit ab 1. Januar 1976 Rechnung getragen. Der Grundgedanke dieser Vorschrift läßt sich aber auch auf die Zeit vorher bei der Versorgung mit Hilfsmitteln durch die Krankenkasse anwenden.

Das SG hat die Hilfsmitteleigenschaft des Mecalifters verneint, weil durch ihn lediglich das Pflegepersonal in die Lage versetzt worden sei, die notwendige Pflege des Versicherten leichter auszuführen. Zwar hat der Senat in seinen Urteilen vom 24. August 1978 (a.a.O.) und 16. Januar 1979 a.a.O. ausgeführt, Hilfsmittel seien dazu bestimmt, den Behinderten von der Hilfe anderer weitgehend unabhängig zu machen; das bedeutet aber nicht, nur dann könne von einem Hilfsmittel im krankenversicherungsrechtlichen Sinne die Rede sein, wenn dieses vom. Behinderten selbst zu bedienen ist. Die eigene Fähigkeit, das Gerät selbständig und ohne Hilfe anderer Personen benutzen zu können, ist kein Abgrenzungskriterium für die positive oder negative Entscheidung über ein Hilfsmittel. So gehört ein nichtmotorisiertes Krankenfahrzeug, das nicht mittels Handbetrieb betätigt wird, sondern überwiegend zum Schieben durch Hilfepersonen geeignet ist, zu den in den Leistungsbereich der Krankenkasse fallenden Hilfsmitteln. Ebenso haben die Spitzenverbände der Krankenkassen in ihrem Hilfsmittelkatalog im Rundschreiben vom 27. Juni 1978 (S. 40) ein Hilfsmittel bei einem Tragegurtsitz angenommen, der dem vorübergehenden Transport von schwer Gehbehinderten dient. Auch dieses Gerät, das einen Teilbereich der Funktionen des Mecaliftes erfüllt, kann nicht vom Behinderten ohne die Hilfe anderer Personen, die ihn damit tragen, genutzt werden. Wollte man die Bedienung durch den Versicherten zur Voraussetzung machen, so wäre u.U. die Hilfsmitteleigenschaft von Ausmaß und Schwere der Funktionsausfälle abhängig. Gerade diejenigen, die besonders hart betroffen sind und die Hilfsmittel nie mehr selbst bedienen könne, müßten darauf verzichten. Das wiederum würde dem Gedanken zuwiderlaufen, den Freiheitsraum Behinderter zu erweitern, was umso bedeutsamer ist, je enger bereits Grenzen durch körperliche Beeinträchtigungen gesetzt sind (vgl. Urteil des Senats vom 24. August 1978 a.a.O.). Die Zielsetzung der Hilfsmittel soll dahin gehen, im medizinischen Bereich den Behinderten, soweit es geht, und das Maß des Notwendigen es zuläßt, an die Nichtbehinderten heranzuführen (vgl. Mengert, Anm. zum Urteil des BSG vom 18. Mai 1978 - 3 RK 70/77 - in SGb 79, 157). Erfolgt die Abgrenzung über die Bedienung des Geräts durch den Versicherten, so wäre die Konsequenz, daß der Schwerstbehinderte möglicherweise nur Anspruch auf motorisierte und hochtechnisierte Hilfsmittel hätte, weil ggf. nur diese von ihm selbst bedient werden können. Derartige Geräte sind naturgemäß aufwendiger und mit höheren Kosten verbunden, was angesichts der zumutbaren Hilfe von Angehörigen die Frage stellen läßt, ob nicht einfachere Mittel ausreichend und zweckmäßig sind (§ 182 Abs. 2 RVO).

Der Senat hat bereits entschieden, daß die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht entfällt, wenn das Hilfsmittel gleichzeitig die Pflege erleichtert (Urteil vom 24. August 1978 a.a.O.). Auch die Spitzenverbände der Krankenkassen sehen in ihrem Hilfsmittelkatalog vom 27. Juni 1978 u.a. Bettgalgen, Bettstützen und das behinderungsgerechte Bett als Hilfsmittel an, die gleichzeitig die Pflege erleichtern.

Die Anschaffung des Mecaliftes überschritt im Falle des Versicherten und nicht im Falle des § 182b RVO das Maß des Notwendigen, weil er bei seinen subjektiven Verhältnissen anders nicht in die Lage versetzt werden konnte, die oben erwähnten Grundbedürfnisse des Lebens zu erfüllen.

Hatte der Versicherte demnach gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe in Höhe von 600,-- DM zu den Anschaffungskosten des Mecaliftes, so kam der Kläger insoweit von der Beklagten Ersatz seiner Aufwendungen verlangen.

Auf die begründete Leistungsklage des Klägers hin war die Beklagte entsprechend zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 268

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