Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 01.07.1988)

SG Düsseldorf (Urteil vom 20.10.1987)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 1987 und des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Juli 1988 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Abänderung ihrer Bescheide vom 26. Oktober 1981 und 25. Oktober 1984 verurteilt, an den Kläger auch die zugunsten der Beigeladenen einbehaltenen Rentenbeträge von insgesamt 18.667,50 DM auszuzahlen.

Die Beklagte und die Beigeladene haben als Gesamtschuldner dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Beklagte die dem Kläger rückwirkend zugebilligte Berufsunfähigkeitsrente zu Recht insoweit zugunsten der beigeladenen Krankenkasse einbehalten hat, als diese dem Kläger für gleiche Zeiten Krankengeld gewährt hatte.

Der Kläger erkrankte am 2. Januar 1978 arbeitsunfähig. Nach Wegfall der Lohnfortzahlung seines Arbeitgebers zahlte ihm die Beigeladene vom 13. Februar bis 20. August 1978 Krankengeld, berechnet nach dem zuletzt erzielten Lohn. Während des Krankengeldbezuges, am 31. Juli 1978, wurde das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgelöst. Er meldete sich arbeitslos und erhielt vom zuständigen Arbeitsamt zwischen dem 21. August 1978 und dem 23. August 1979 Arbeitslosengeld (Alg). Zu der Vermittlung eines Arbeitsplatzes kam es jedoch nicht. Wegen Arbeitsunfähigkeit zahlte die Beigeladene ab dem 24. August 1979 wieder Krankengeld, jedoch nicht mehr auf der Grundlage des Arbeitslohnes, sondern des Alg. Da die frühere und die erneute Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach den Feststellungen der Beigeladenen auf derselben Krankheit beruhten, stellte sie die Krankengeldzahlungen nach Erschöpfung des Leistungsanspruches iS von § 183 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) am 3. Juli 1980 ein. Noch während des Leistungsbezuges, nämlich am 25. Februar 1980, trat beim Kläger der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit iS der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Dies war damals aber noch nicht bekannt. Der Kläger erhielt in der Folgezeit zunächst erneut Alg (4. Juli bis 26. August 1980), danach wegen der Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld (9. September bis 7. Oktober 1980) und ab dem 13. Oktober 1980 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Nach Einstellung der Zahlung der Alhi bezog er vom 13. Februar 1981 bis 1. Juli 1982 nochmals Krankengeld. Erst während der Zeit dieses Krankengeldbezuges, nämlich mit Bescheid vom 2. September 1981, bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente, und zwar rückwirkend ab dem 13. Oktober 1980 und befristet bis zum 30. September 1981. Nach Fristablauf stellte sie die Zahlungen wieder ein. Die beantragte Weitergewährung der Berufsunfähigkeitsrente lehnte sie zunächst ab. Mit Bescheid vom 26. Oktober 1981 entschied sie über Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger. Zugunsten der Beigeladenen behielt sie wegen deren Krankengeldzahlungen zwischen dem 13. Februar und dem 3. September 1981 6.323,20 DM ein.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 27. Oktober 1981 Klage erhoben.

Vom 2. Januar bis 31. März 1984 erhielt er von der Beigeladenen nochmals Krankengeld auf der Grundlage seines früheren Alg-Anspruchs. Während dieses Zeitraums erkannte die Beklagte seinen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente über den 30. September 1981 hinaus an (Bescheid vom 27. Februar 1984). Mit Bescheid vom 25. Oktober 1984 behielt sie zugunsten der Beigeladenen zusätzliche 12.344,30 DM ein, und zwar wegen deren Krankengeldzahlungen zwischen dem 1. Oktober 1981 und dem 31. März 1984. Dieser Bescheid wurde Gegenstand des Rechtsstreites.

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Düsseldorf vom 20. Oktober 1987 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Juli 1988). Das LSG hat ausgeführt, die jeweils rückwirkend bewilligte Berufsunfähigkeitsrente sei gemäß § 103 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) iVm § 183 Abs 5 Satz 1 RVO insoweit auf die Beigeladene übergegangen, als diese für gleiche Zeiträume Krankengeld gezahlt habe. Der Rentenanspruch des Klägers gelte daher nach § 107 SGB X in der streitigen Höhe als erfüllt. Zwar sei davon auszugehen, daß die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers auf derselben Krankheit iS von § 183 Abs 2 RVO beruht hätten, der Krankengeldanspruch am 3. Juli 1980 erschöpft gewesen sei und am 2. Januar 1981 eine zweite Blockfrist begonnen habe; jedoch sei § 183 Abs 5 Satz 1 RVO zur Vermeidung von Doppelleistungen in jeder Blockfrist anzuwenden. Daß der Beginn des Rentenanspruches (13. Oktober 1980) in eine Zeit gefallen sei, in der das Krankengeld wegen der Erschöpfung des Leistungsanspruchs nicht weitergezahlt worden sei, ändere nichts am „Bezug” des Krankengeldes iS dieser Vorschrift.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision vertritt der Kläger die Auffassung, das LSG habe die Absätze 2 und 5 des § 183 RVO unrichtig angewandt. Die Berufsunfähigkeitsrente sei ihm nicht „während des Bezuges von Krankengeld” zuerkannt worden. Rentenbeginn sei der 13. Oktober 1980, der Krankengeldanspruch habe aber erst am 13. Februar 1981 begonnen. Der Umstand, daß er zuvor schon einmal Krankengeld wegen derselben Krankheit bezogen habe, führe zu keiner anderen Betrachtungsweise. Zwischen den beiden Bezugszeiten sei er nämlich arbeitsfähig gewesen und habe Alg bezogen. Dieser Sachverhalt sei genauso zu behandeln, wie der Fall, daß ein Versicherter in der leistungsfreien Zeit eine andere Beschäftigung gefunden habe und dann arbeitsunfähig erkranke. Sein weiterer Krankengeldbezug habe auch keinen echten Lohnersatz mehr dargestellt, weil diese Leistung auf der Grundlage des wesentlich geringeren Alg berechnet worden sei.

Der Kläger beantragt,

die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 26. Oktober 1981 und 25. Oktober 1984 zu verurteilen, die zugunsten der Beigeladenen einbehaltenen 18.667,50 DM an ihn auszuzahlen.

Die Beigeladene beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des § 183 Abs 5 Satz 1 RVO. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung auch der streitgegenständlichen 18.667,50 DM, denn sein Rentenanspruch gilt nicht durch die Krankengeldzahlungen der Beigeladenen als erfüllt.

Gemäß § 107 Abs 1 SGB X gilt der Anspruch eines Sozialleistungsberechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger insoweit als erfüllt, als ein Erstattungs-anspruch eines anderen Leistungsträgers besteht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Beigeladene hat wegen ihrer Krankengeldzahlungen keinen Erstattungsan-spruch. Die Voraussetzungen des insoweit allein in Betracht kommenden § 103 SGB X sind nicht erfüllt, weil der zu einer Kürzung des Krankengeldes führende § 183 Abs 5 RVO nicht eingreift. Diese Vorschrift regelt das Zusammentreffen des Krankengeldes mit einer Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wie folgt: Wird dem Versicherten „während des Bezuges von Krankengeld” eine Berufsunfähigkeitsrente zugebilligt, so wird das Krankengeld um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt. Zweck der Kürzung ist die Vermeidung eines Doppelbezuges zweier Lohnersatzleistungen. Der Zeitpunkt der Zubilligung im Sinne von § 183 Abs 5 Satz 1 RVO ist der Rentenbeginn (BSGE 19, 28 = SozR Nr 6 zu § 183 RVO; BSGE 20, 135 = SozR Nr 8 zu § 183 RVO; BSGE 28, 117 = SozR Nr 30 zu § 183 RVO).

Die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers hat am 13. Oktober 1980 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt erhielt er von der Beigeladenen kein Krankengeld, sondern vom zuständigen Arbeitsamt Alhi. Der Senat hat zwar entschieden, daß die aufgrund von § 183 Abs 2 RVO eintretenden Unterbrechungen der tatsächlichen Auszahlung nichts am Vorliegen des „Bezuges” von Krankengeld iS des Abs 5 der Vorschrift ändern (Urteil vom 13. Februar 1975 in SozR 2200 § 183 RVO Nr 5). Er hat dabei aber auch zum Ausdruck gebracht, daß in der zahlungsfreien Zeit Ereignisse eintreten können, die dazu führen, daß Krankengeld und Rente ungekürzt nebeneinander zu zahlen sind. Ein solcher Fall liegt zB dann vor, wenn der Versicherte in der zahlungsfreien Zeit trotz seiner Berufsunfähigkeit wieder eine entgeltliche Beschäftigung aufgenommen hat.

Die Kürzung setzt nach der genannten Norm voraus, daß dem Versicherten während des „Bezuges” von Krankengeld Rente wegen Berufsunfähigkeit zugebilligt wird. Diese Voraussetzung ist aber nur erfüllt, wenn das Krankengeld schon an dem Tage läuft, von dem an die Rente zugebilligt worden ist (vgl BSG, Urteil vom 30. Mai 1967 – 3 RK 29/67 – BKK 1967, 345; BSG SozR Nr 38 zu § 183 RVO). Zeitpunkt der Zubilligung der Rente ist nicht erst der Zeitpunkt des Erlasses des Rentenfeststellungsbescheides, also nicht der Tag, an dem die Zubilligung erfolgt, und auch nicht der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles, sondern im allgemeinen der Beginn der Rente, dh der Zeitpunkt, von dem an die Rente dem Versicherten – auch rückwirkend – zusteht (BSGE 19, 28, 29 = SozR Nr 6 zu § 183 RVO; BSGE 20, 135, 136 = SozR Nr 8 zu § 183 RVO; BSGE 28, 117, 118 = SozR Nr 30 zu § 183 RVO). Das ergibt sich aus dem Sinn des § 183 Abs 5 RVO. Die Vorschrift will einerseits verhindern, daß ein Versicherter neben der Berufsunfähigkeitsrente das volle Krankengeld erhält, das sich aus seinem vor Eintritt der Berufsunfähigkeit bezogenen und damit typischerweise höheren Arbeitsverdienst errechnet. Andererseits soll derjenige Versicherte neben dem Anspruch auf die Berufsunfähigkeitsrente einen Anspruch auf das volle Krankengeld haben, dessen Krankengeld typischerweise geringer ist, weil es sich aus einem Entgelt errechnet, das der Versicherte im Zustand der Berufsunfähigkeit erzielt hat. Die Kürzungsvorschrift des § 183 Abs 5 RVO greift also grundsätzlich dann nicht ein, wenn das Krankengeld erst nach dem Beginn der Rente einsetzt (Urteil des 1. Senats des BSG vom 17. April 1991, Az 1/3 RK 42/89). Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß der Berufsunfähigkeitsrentner mit der ihm verbliebenen Erwerbsfähigkeit nur eine Beschäftigung ausüben kann, die ihm ein entsprechend geringeres Arbeitsentgelt ermöglicht. Das daraus resultierende Krankengeld überschreitet in Fällen dieser Art zwar unter Umständen zusammen mit der Berufsunfähigkeitsrente den zuvor erzielten Arbeitslohn. Dies ist nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch hinzunehmen. Die Berufsunfähigkeitsrente des Klägers begann zwar nicht vor der ersten, die Blockfristen bestimmenden Arbeitsunfähigkeit, und der Kläger ging in der zahlungsfreien Zeit auch keiner neuen Beschäftigung nach. Entscheidend ist jedoch, daß das später gewährte, nach Meinung der Beklagten zu kürzende Krankengeld nicht mehr „das” zuerst gezahlte Krankengeld war. Die neuen Krankengeldbezüge stellten keinen Ersatz für den in der Zeit der ersten Arbeitsunfähigkeit vom 13. Februar bis zum 20. August 1978 entgangenen Lohn dar. Sie orientierten sich nicht mehr an dem vor dem 13. Februar 1978 erzielten Arbeitsentgelt, sondern am späteren Alg. In dem hier streitigen Zeitraum konnte es deshalb nicht mehr zu dem nach Sinn und Zweck des § 183 Abs 5 Satz 1 RVO zu vermeidenden echten Doppelbezug zweier Lohnersatzleistungen kommen.

Der Einwand der Beigeladenen, der Kläger sei entgegen den Feststellungen des Arbeitsamtes durchgehend arbeitsunfähig gewesen, führt – unabhängig von der Frage, ob dieser Vortrag im Revisionsverfahren berücksichtigt werden kann – zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Der bindend gewordenen Feststellung durch das Arbeitsamt kommt nämlich eine Tatbestandswirkung zu, die auch von der Beklagten und der Beigeladenen zu beachten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 194 Sozialgerichtsgesetz, § 100 Zivilprozeßordnung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173677

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