Leitsatz (amtlich)

Zu den gem. § 540 ZPO bestehenden Mindestanforderungen an den Inhalt eines Berufungsurteils.

 

Normenkette

ZPO 2002 §§ 540, 559

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 27.10.2003; Aktenzeichen 59 S 251/03)

AG Berlin-Mitte

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der Zivilkammer 59 des LG Berlin v. 27.10.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil des Klägers ergangen ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von den Beklagten auf Grund Anspruchsübergangs Ersatz von Schäden, die der Feuerwehrbeamte L. am 15.10.1997 durch einen Verkehrsunfall erlitten hat. Die Beklagten haften dem Grunde nach voll für die Unfallfolgen. L. war zum Unfallzeitpunkt auf Grund einer Bandscheibenoperation nach ärztlicher Bescheinigung dienstunfähig. Er verrichtete allerdings nach dem so genannten Hamburger Modell im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme körperlich leichtere Tätigkeiten in der Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit. Nach dem Unfall war er v. 16.10.bis 13.11.1997 nicht in der Lage, diese Tätigkeit weiter auszuüben. Ab 14.11.1997 bis 31.12.1997 nahm er sie wieder für 50 % der Wochenarbeitszeit auf.

Der Kläger behauptet, L. habe durch den Unfall ein Halswirbelschleudertrauma erlitten und sei deshalb v. 15.10.1997 bis 31.12.1997 dienstunfähig gewesen. Er begehrt u.a. Ersatz der von ihm fortgezahlten Dienstbezüge.

Das AG hat der Klage nach Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG am Schluss der mündlichen Verhandlung durch Urteil unter Zurückweisung der Berufung und Abweisung der Klage im Übrigen das Urteil des AG zum Teil abgeändert und neu gefasst. Die Urteilsgründe, in denen die Revision zugelassen wird, hat das LG gem. § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO in das vom Vorsitzenden Richter und von der Protokollführerin unterschriebene Protokoll aufgenommen. Dort wird wegen des Sachverhalts auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Im Übrigen enthält das Berufungsurteil weder die Berufungsanträge noch eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen.

Mit der Revision begehrt der Kläger die Aufhebung des Berufungsurteils und die Wiederherstellung des Urteils des AG; hilfsweise beantragt er, die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Zur Begründung des Urteils hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die Beklagten zwar die geltend gemachten Taxi- und Heilbehandlungskosten, nicht aber den Dienstausfallschaden zu tragen hätten. Der beim Unfall unstreitig verletzte Feuerwehrbeamte sei zum Unfallzeitpunkt bereits dienstunfähig und lediglich im Rahmen des Hamburger Modells täglich vier Stunden tätig gewesen. Dass auf Grund des Unfalls ein Dienstausfallschaden entstanden und die Wiederaufnahme der vollen Tätigkeit des L. verzögert worden sei, habe der Kläger nicht substanziiert dargelegt.

II.

Die Revision hat Erfolg, da das Berufungsurteil eine Darstellung der tatsächlichen Feststellungen durch das AG und deren Änderungen durch das Berufungsgericht nicht enthält und deshalb eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht möglich ist.

1. a) Nach der Neufassung des § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 ZPO, die im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt (§ 26 Nr. 5 EGZPO), enthält das Urteil an Stelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen und eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung. Auch wenn das neue Recht die Berufungsgerichte bei der Urteilsabfassung entlasten will, sind diese Mindestvoraussetzungen für den Inhalt eines Urteils nicht entbehrlich (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216 = BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289; Urt. v. 10.2.2004 - VI ZR 94/03, MDR 2004, 826 = BGHReport 2004, 759 = VersR 2004, 881 f.; Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99 [100 f.] = MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629; Urt. v. 6.2.2004 - V ZR 249/03, MDR 2004, 827 = BGHReport 2004, 908 = NJW 2004, 1666 f.; Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290 [1291]; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 540 Rz. 8). Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch und vor allem aus seinem Sinn, trotz der Erleichterungen bei der Abfassung von Berufungsurteilen doch deren revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Deshalb müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung auch im Falle des § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO aus dem Sitzungsprotokoll einschließlich der in ihm enthaltenen Bezugnahmen so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist, denn § 559 ZPO ist der Sache nach gegenüber § 561 ZPO a.F. unverändert (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216 [218] = BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 559 Rz. 2; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 559 Rz. 13).

b) Da im vorliegenden Fall das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde, verkündet worden ist, konnten gem. § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO die nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderlichen Darlegungen zwar in das Protokoll aufgenommen werden. Die Revision rügt jedoch mit Recht, dass das Protokoll die erforderlichen Darlegungen nicht enthält.

aa) Zwar wird eingangs der im Protokoll dargestellten Gründe wegen des Sachverhalts auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, doch fehlt die nach § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO erforderliche Darstellung der auf Grund der Beweisaufnahme getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch das AG und etwaiger Änderungen oder Ergänzungen im Berufungsverfahren. Diese war auch nicht entbehrlich, da dem Tatbestand des AG neben der Darstellung des unstreitigen Parteienvortrages auch widerstreitender Sachvortrag zu entnehmen ist, weswegen auch eine Beweisaufnahme durch Einholung zweier Sachverständigengutachten stattgefunden hat.

bb) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ersetzen die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts im Protokoll nicht die Darstellung der tatsächlichen Urteilsgrundlagen. Zu deren Verständnis ist gerade die Kenntnis davon erforderlich, welche tatsächlichen Feststellungen das AG auf Grund der Beweisaufnahme getroffen hat, was die Parteien im Berufungsverfahren vorgetragen haben und welche abweichenden tatsächlichen Feststellungen das Berufungsgericht seinem abändernden Urteil zu Grunde gelegt hat. Im vorliegenden Fall lässt sich den Urteilsgründen des Berufungsgerichts in keiner Weise entnehmen, in welchen Punkten das LG anders als das AG, das die Klage in vollem Umfang zugesprochen hat, den Tatsachenvortrag des Klägers für unzureichend hält.

c) Da bereits deswegen das Berufungsurteil aufzuheben ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob es bei einem Protokollurteil - wie im vorliegenden Fall - ausreicht, dass sich die Berufungsanträge aus dem übrigen Inhalt des Protokolls ergeben (vgl. BGH, Urt. v. 6.2.2004 - V ZR 249/03, MDR 2004, 827 = BGHReport 2004, 908 = NJW 2004, 1666 [1667]; Urt. v. 10.2.2004 - VI ZR 94/03, MDR 2004, 826 = BGHReport 2004, 759 = VersR 2004, 881 f.; v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99 [100 f.] = MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629; Urt. v. 13.1.2004 - XI ZR 5/03, BGHReport 2004, 548 = MDR 2004, 704).

d) Schließlich spielt auch keine Rolle mehr, dass - was die Revision rügt - das Urteil von den Richtern der Kammer nicht ordnungsgemäß unterschrieben worden ist (§ 315 Abs. 1 S. 1 ZPO). Im vorliegenden Fall fehlt jedenfalls die Verbindung zwischen Protokoll und der von den erkennenden Richtern vor Verkündung unterzeichneten Urteilsformel. Diese ist unverzichtbar, weil auch die in das Protokoll aufgenommenen Darlegungen nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO Inhalt des Urteils sind (vgl. BGH, Urt. v. 6.2.2004 - V ZR 249/03, MDR 2004, 827 = BGHReport 2004, 908 = NJW 2004, 1666 [1667]; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl. § 540 Rz. 4). Selbst wenn das Original der unterzeichneten Urteilsformel nur nicht zu den Akten, in denen sich lediglich eine beglaubigte Abschrift befindet, genommen worden wäre, ist die Unterschrift der Kammermitglieder auf dem neben den Angaben gem. § 313 Abs. 1 Nr. 1 - 3 ZPO die Urteilsformel wiedergebenden Schriftstück, ohne dessen Verbindung mit dem Protokoll, unzureichend.

2. Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 S. 1 ZPO).

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach den Gründen des Berufungsurteils ist das Berufungsgericht der Auffassung, dass der Kläger einen unfallbedingten Dienstausfallschaden bzw. eine unfallbedingte tatsächliche Verzögerung der Wiederaufnahme der Diensttätigkeit durch L. nicht substanziiert dargelegt habe. Hierzu steht in Widerspruch, dass L. ab 1.10.1997 bis zum Zeitpunkt des Unfalls am 15.10.1997 unstreitig vier Stunden täglich im Rahmen eines so genannten Hamburger Modells dienstlich tätig war, nach dem Unfall aber bis 13.11.1997 diese Tätigkeit nicht mehr verrichten konnte. Ob das Berufungsgericht seiner tatrichterlichen Aufgabe, auf der Grundlage des § 252 BGB und des § 287 ZPO eine Schadensermittlung vorzunehmen, hinreichend nachgekommen ist und wie das sog. Hamburger Modell zu werten ist, kann der erk. Senat anhand des Berufungsurteils nicht überprüfen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.2.1998 - VI ZR 342/96, MDR 1998, 534 = VersR 1998, 770 [771 f.]). Soweit es für die Schadensermittlung auf eine Prognose ankommt, dürfen an die Darlegungspflicht des Klägers jedenfalls keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (st.Rspr., vgl. z.B. BGH, Urt. v. 31.3.1992 - VI ZR 143/91, VersR 1992, 973; Urt. v. 6.7.1993 - VI ZR 228/92, MDR 1994, 43 = VersR 1993, 1284 [1285]; Urt. v. 17.1.1995 - VI ZR 62/94, MDR 1995, 358 = VersR 1995, 422 [424]; Urt. v. 24.1.1995 - VI ZR 354/93, MDR 1995, 693 = VersR 1995, 469 [470]; Urt. v. 20.4.1999 - VI ZR 65/98, VersR 2000, 233 [234]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1261809

NJW 2005, 830

BGHR 2005, 190

MDR 2005, 346

VersR 2005, 958

JWO-VerkehrsR 2004, 393

ProzRB 2005, 96

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