Leitsatz (amtlich)

Die Anforderungen des § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO sind für Urteile, die in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, verkündet werden, nicht herabgesetzt. § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO erlaubt es nur, die nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO für den Inhalt des Urteils unerlässlichen Darstellungen in das Protokoll zu verlagern.

 

Normenkette

ZPO § 540 i.d.F. v. 2002

 

Verfahrensgang

OLG Bamberg (Urteil vom 20.02.2003; Aktenzeichen 1 U 26/02)

LG Coburg

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Parteien wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Bamberg v. 20.2.2003 aufgehoben.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Gegen das Urteil des LG hat der Kläger Berufung eingelegt, der sich der Beklagte mit einer unselbstständigen Anschlussberufung angeschlossen hat. Das Berufungsgericht hat in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, das Berufungsurteil verkündet. Es hat das Urteil des LG abgeändert und die weiter gehende Berufung des Klägers sowie die Anschlussberufung des Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Kläger verfolgt im Wege der Anschlussrevision einen Zahlungsanspruch i. H. v. 2.179,22 EUR weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Gründe des Berufungsurteils lauten:

"Von der Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO unter Bezugnahme auf die Hinweise im Protokoll v. 20.2.2003 abgesehen".

II.

Das Berufungsurteil ist aufzuheben, da es mangels einer tatbestandlichen Darstellung und der Wiedergabe der Berufungsanträge in der Revision nicht überprüfbar ist.

1. Auf das Berufungsverfahren ist die Zivilprozessordnung in der am 1.1.2002 geltenden Fassung anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung vor dem LG am 13.8.2002 geschlossen worden ist (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Mit Recht rügt die Revision, dass das Berufungsurteil den Anforderungen des § 540 Abs. 1 ZPO nicht entspricht. Nach § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 ZPO enthält das Urteil an Stelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen und eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung. Da vorliegend das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde, verkündet worden ist, konnten gem. § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO die nach § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderlichen Darlegungen auch in das Protokoll aufgenommen werden. Die Revision rügt jedoch mit Recht, dass das Protokoll diese Darlegungen nicht enthält. Auch wenn das neue Recht die Berufungsgerichte bei der Urteilsabfassung entlasten will, sind diese Mindestvoraussetzungen für den Inhalt eines Urteils nicht entbehrlich (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = WM 2004, 50 f.; Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = VersR 2003, 1415 [1416]; und Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290 [1291]; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 540 Rz. 8). Das ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern auch und vor allem aus seinem Sinn, trotz der Erleichterungen bei der Abfassung von Berufungsurteilen doch deren revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Deshalb müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung auch im Falle des § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO aus dem Sitzungsprotokoll einschließlich der in ihm enthaltenen Bezugnahmen so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist, denn § 559 ZPO ist der Sache nach gegenüber § 561 ZPO a. F. unverändert (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = WM 2004, 50 f.; und Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290 [1291]; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 559 Rz. 2; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 559 Rz. 13).

Demgegenüber enthält das Protokoll im vorliegenden Fall weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des LG noch die nach § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO ebenfalls erforderliche Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen des Parteivorbringens im Berufungsverfahren. Bezugnahmen finden sich nur hinsichtlich einzelner Punkte, in denen das Berufungsgericht der Begründung des angefochtenen Urteils beitritt. Das reicht jedoch nicht aus, weil die Anforderungen des § 540 Abs. 1 S. 1 ZPO für Urteile dieser Art nicht herabgesetzt werden (Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 540 Rz. 8), sondern § 540 Abs. 1 S. 2 ZPO es nur erlaubt, die für den Inhalt des Urteils unerlässlichen Darstellungen in das Protokoll zu verlagern.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung werden diese Darlegungen nicht durch die rechtlichen Hinweise im Protokoll ersetzt, weil zu deren Verständnis die Kenntnis des erstinstanzlichen Urteils und des Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren erforderlich wären und eine wirksame Bezugnahme hierauf fehlt.

2. Zudem lässt das Berufungsurteil auch unter Berücksichtigung der Bezugnahme auf die rechtlichen Hinweise im Protokoll nicht hinreichend erkennen, welches Rechtsbegehren der Klage zu Grunde liegt, da es weder die Berufungsanträge noch die Klageanträge wiedergibt. Auch nach neuem Recht kann auf die Aufnahme der Berufungsanträge in das Urteil grundsätzlich nicht verzichtet werden (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = WM 2004, 50 f.; v. 13.1.2004 - XI ZR 5/03; v. 22.12.2003 - VIII ZR 122/03, Umdr. S. 5; Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290 [1291]; und Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = VersR 2003, 1415 [1416]). Zwar ist eine wörtliche Wiedergabe nicht unbedingt erforderlich, genügend kann sein, dass aus dem Zusammenhang der Ausführungen des Berufungsgerichts zu den einzelnen angegriffenen Positionen sinngemäß deutlich wird, was beide Parteien mit ihren wechselseitig eingelegten Rechtsmitteln erstrebt haben (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = VersR 2003, 1415 [1416]; und Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290 [1291]). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die richterlichen Hinweise im Protokoll, auf die zur Begründung des Urteils Bezug genommen wird, machen nicht verständlich, welches rechtliche Begehren dem Rechtsstreit zu Grunde liegt. Sie befassen sich zwar mit den einzelnen Streitpunkten zwischen den Parteien, setzen aber zu ihrem Verständnis die Kenntnis des Tatsachenstoffes und der im bisherigen Verfahren vertretenen Rechtsauffassungen voraus, die dem Revisionsgericht hier nicht vermittelt wird und ihm deshalb eine rechtliche Nachprüfung nicht ermöglicht.

3. Aus diesen Gründen ist das Berufungsurteil von Amts wegen aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHReport 2004, 272 = MDR 2004, 289 = WM 2004, 50 f.; v. 13.2.1981 - I ZR 67/79, BGHZ 80, 64 [67] = MDR 1981, 645; Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = NJW-RR 2003, 1290 [1291; v. 22.12.2002 - VIII ZR 122/03, Umdruck S. 4, zur Veröff. vorgesehen; vgl. auch Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 559 Rz. 4; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 559 Rz. 18; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 540 Rz. 6).

III.

1. Für das weitere Verfahren weist der Senat im Hinblick auf die von der Revision vorgetragenen Sachrügen darauf hin, dass der Kläger für einen Verzugsschaden in Form entgangenen Gewinns Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen hat, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falles die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt, auch wenn § 252 BGB für den Geschädigten eine § 287 ZPO ergänzende Beweiserleichterung enthält. Erst wenn ersichtlich ist, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, wird vermutet, dass er gemacht worden wäre (vgl. BGH, Urt. v. 29.11.1982 - II ZR 80/82, AG 1983, 156 = MDR 1983, 559 = NJW 1983, 758; und v. 18.2.2002 - II ZR 355/00, BGHReport 2002, 590 = MDR 2002, 820 = AG 2002, 454 = NJW 2002, 2553). Dem Ersatzpflichtigen obliegt dann der Beweis, dass der Gewinn nach dem späteren Verlauf oder aus irgendwelchen anderen Gründen dennoch nicht gemacht worden wäre (BGH BGHZ 29, 393 [398 ff.], unter I 3.).

Schließlich wird das Berufungsgericht in der neuen Verhandlung Gelegenheit haben, auch dem Vortrag der Revision zum Fehlen eines Feststellungsinteresses für den Feststellungsantrag des Klägers trotz der Anerkennung der Ersatzpflicht durch den Beklagten in der Erklärung v. 29.1.2001 nachzugehen.

2. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 GKG werden Gerichtskosten für das Revisionsverfahren nicht erhoben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1124907

BGHZ 2004, 60

BB 2004, 687

NJW 2004, 1389

BGHR 2004, 759

EBE/BGH 2004, 2

FamRZ 2004, 869

WM 2004, 1941

ZAP 2004, 593

MDR 2004, 826

VersR 2004, 881

ProzRB 2004, 191

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