Leitsatz (amtlich)

a) Findet gegen ein Berufungsurteil die Nichtzulassungsbeschwerde statt, muss aus dem Urteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zu Grunde liegen.

b) Ist der Parteivortrag im Berufungsverfahren ergänzt worden und hielt das Berufungsgericht eine weitere Beweisaufnahme für erforderlich, muss es im Urteil eine kurze Begründung dafür geben, weshalb es dem erstinstanzlichen Urteil in vollem Umfang folgt.

 

Normenkette

ZPO §§ 540, 559

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 30.10.2002)

LG Detmold

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Hamm v. 30.10.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin war bei der Beklagten von 1985 bis April 1999 in ärztlicher Behandlung. Mit ihrer Klage verlangt sie Schmerzensgeld und die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für weitere Schäden wegen einer Hepatitis C, die bei ihr 1999 festgestellt worden ist.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nach Durchführung einer Beweisaufnahme zurückgewiesen. Die Gründe des Berufungsurteils lauten:

"Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sowie auf die ergänzenden Ausführungen der Parteien in dieser Instanz wird Bezug genommen.

In der Sache wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Die Beweisaufnahme vor dem Senat gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage."

Mit der vom erk. Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

1. Über die Revision war, da die Beklagte im Revisionstermin trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war, auf Antrag der Klägerin durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79 [81]).

2. Auf das Berufungsverfahren ist die Zivilprozessordnung in der am 1.1.2002 geltenden Fassung anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung vor dem LG am 1.2.2002 geschlossen worden ist (§ 26 Nr. 5 EGZPO). Demgemäß reichte für die Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes die nach der Neufassung des § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO mögliche Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil an Stelle des Tatbestandes aus.

3. Die Revision rügt jedoch mit Recht, dass das Berufungsurteil die Anträge, auf deren Grundlage es ergangen ist, nicht erkennen lässt. Die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils kann sich nicht auf den Berufungsantrag erstrecken; dieser ist auch nach neuem Recht in das Berufungsurteil aufzunehmen. Das Berufungsurteil muss deshalb, wenn es auf die wörtliche Wiedergabe des Antrages verzichtet, wenigstens erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Auch wenn das neue Recht eine weit gehende Entlastung der Berufungsurteile bei der Urteilsabfassung bezweckt, ist diese Mindestvoraussetzung nicht entbehrlich (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = FamRZ 2003, 1273).

Im vorliegenden Fall wird das Berufungsbegehren der Klägerin aus den äußerst knapp abgefassten Urteilsgründen nicht erkennbar. Schon deshalb kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen), wie dies auch der bisherigen Rechtslage entspricht (hierzu BGH, Beschl. v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHReport 2003, 1298, Umdr. Bl. 5, vorgesehen zur Veröffentlichung in BGHZ).

4. Darüber hinaus genügt die Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen in den vorliegenden Gründen nicht den Anforderungen an ein Berufungsurteil, gegen das die Nichtzulassungsbeschwerde stattfindet, von deren Erfolg die Statthaftigkeit der Revision abhängt (§ 543 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO). In einem solchen Fall muss aus dem Urteil zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zu Grunde liegen. Hingegen kann dem Revisionsgericht nicht angesonnen werden, den Sachverhalt selbst zu ermitteln und festzustellen, um abschließend beurteilen zu können, ob die Nichtzulassungsbeschwerde begründet ist. Dies war bisher nicht Aufgabe des Revisionsgerichts (vgl. BGH v. 30.1.1979 - VI ZR 154/78, BGHZ 73, 248 [252]) und kann es nach neuem Recht nicht sein. Deshalb müssen auch nach dem ab 1.1.2002 geltenden Verfahrensrecht die tatsächlichen Grundlagen, von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist, aus dem Berufungsurteil ersichtlich sein, um dem Revisionsgericht im Falle der Nichtzulassung der Revision die Überprüfung auf die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO zu erlauben (vgl. BGH, Beschl. v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHReport 2003, 1298, Umdr. Bl. 5, vorgesehen zur Veröffentlichung in BGHZ; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl. § 540 Rz. 6). Denn gem. § 559 ZPO ist auch nach neuem Recht Grundlage der Prüfung des Revisionsgerichts prinzipiell nur der Tatsachenstoff, der sich aus dem Berufungsurteil, einschließlich der in ihm enthaltenen Bezugnahmen, sowie aus dem Sitzungsprotokoll erschließt (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.2003 -V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = FamRZ 2003, 1273; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 559 Rz. 2 f.; Musielak-Ball, ZPO, 3. Aufl., § 559 Rz. 13).

Im vorliegenden Fall macht es die die Darstellung des entsprechenden Tatsachenstoffes ersetzende pauschale Bezugnahme auf die ergänzenden Ausführungen der Parteien in der Berufungsinstanz dem erkennenden Senat nicht möglich, das Berufungsurteil und das ihm zu Grunde liegende Verfahren in der im Revisionsverfahren gebotenen Weise zu überprüfen. Daraus allein lässt sich nicht entnehmen, was das Berufungsgericht für erheblich gehalten und seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Auch deshalb ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = FamRZ 2003, 1273; Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 559 Rz. 4; Musielak-Ball, ZPO, 3. Aufl., § 559 Rz. 18).

5. Schließlich durfte sich das Berufungsgericht unter den gegebenen Umständen nicht damit begnügen, zur Begründung seiner Sachentscheidung lediglich auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des LG Bezug zu nehmen. Die Revision verweist in diesem Zusammenhang mit Recht auf den Wortlaut des § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO, wonach das Berufungsgericht eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung zu geben hat. Nachdem im Berufungsverfahren der Parteivortrag ergänzt worden ist und das Berufungsgericht eine weitere Beweisaufnahme für erforderlich hielt, musste es im Urteil eine kurze Begründung dafür geben, warum es dem erstinstanzlichen Urteil in vollem Umfang folgt (vgl. BGH, Urt. v. 17.1.1985 - VII ZR 257/83, MDR 1985, 570 = NJW 1985, 1784 [1785]; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, § 540 Rz. 8; Musielak-Ball, ZPO, 3. Aufl., § 540 Rz. 3, 4; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 540 Rz. 13).

II.

Da das Berufungsurteil eine der Vorschrift des § 540 ZPO entsprechende Darstellung nicht enthält, leidet es an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 1743, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen). Es ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

In der neuen Berufungsverhandlung wird die Klägerin Gelegenheit haben, zu dem im Termin v. 30.10.2002 erstatteten mündlichen Sachverständigengutachten ergänzend Stellung zu nehmen. Im Hinblick auf das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass bei Unterlassung der gebotenen Befunderhebung regelmäßig ein Behandlungsfehler vorliegt (vgl. BGH, Urt. v. 4.10.1994 - VI ZR 205/93, MDR 1994, 1187 = VersR 1995, 46). Über etwaige Risiken, die mit der Erhebung des Befundes verbunden sind, hat der behandelnde Arzt den Patienten aufzuklären und ihn an der für die Wahl der Diagnostik bzw. Therapie erforderlichen Güterabwägung zwischen Risiken und Nutzen des Eingriffs zu beteiligen (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1995 - VI ZR 95/94, MDR 1995, 908 = VersR 1995, 1055; v. 15.5.1979 - VI ZR 70/77, VersR 1979, 720). Er darf aber nicht, ohne den Patienten am Entscheidungsprozess zu beteiligen, von gebotenen Befunderhebungen eigenmächtig absehen. Das Berufungsgericht wird sich in diesem Zusammenhang mit der Rüge der Revision auseinander zu setzen haben, dass sich entgegen den Feststellungen des LG, auf die das Berufungsgericht Bezug nimmt, aus den Eintragungen unter dem 13.3.1989 in der Patientenkartei nichts für die Behauptung der Beklagten herleiten lasse, dass die Klägerin nach gebotener Aufklärung weitere diagnostische Maßnahmen abgelehnt habe. Entgegen der Ansicht der Revision hat der Patient auch dann, wenn ihm gegenüber ein Arzt seine Pflicht zur therapeutischen Beratung verletzt, wie bei jedem anderen Behandlungsfehler, grundsätzlich den Beweis der Ursächlichkeit der unterlassenen Aufklärung für seinen Schaden zu führen, es sei denn, der in der unterlassenen Befunderhebung liegende Behandlungsfehler ist als "grob" zu qualifizieren (vgl. BGH, Urt. v. 16.6.1981 - VI ZR 38/80, MDR 1982, 132 = VersR 1981, 954 [956]; v. 24.6.1986 - VI ZR 21/85, MDR 1987, 43 = VersR 1986, 1121 [1122]). Die Beurteilung der Frage, ob ein solcher Fehler vorliegt, richtet sich stets nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls und ist dem Tatrichter vorbehalten. Erwiese sich das Verhalten der Beklagten - entgegen der bisherigen Beurteilung durch das LG und ihm folgend durch das Berufungsgericht - als behandlungsfehlerhaft, wenn die Beklagte, ohne die eigene Willensentschließung der Klägerin nach entsprechender Aufklärung eingeholt zu haben, auf die weitere Befunderhebung verzichtet hätte, wäre vom Berufungsgericht allerdings im Hinblick auf die damit verbundenen Beweiserleichterungen auch die Schwere eines solchen ärztlichen Fehlers zu prüfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1087052

BGHZ 2004, 216

BB 2004, 182

NJW 2004, 293

BGHR 2004, 272

FamRZ 2004, 265

JurBüro 2004, 399

WM 2004, 50

MDR 2004, 289

NZV 2004, 139

VersR 2004, 259

KammerForum 2004, 140

Mitt. 2004, 93

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