Entscheidungsstichwort (Thema)

Durchgriffshaftung. Bevorrechtigte Forderung im Konkurs. Gesellschaftsrecht. Konkurs

 

Orientierungssatz

  • Auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangene Arbeitsentgeltansprüche im Konkursausfallgeldzeitraum, die gem. § 59 Abs. 2 KO von einer Masseforderung auf den Rang einer bevorrechtigten Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO herabgestuft worden sind, behalten diesen Rang nicht, wenn sie im Wege der Durchgriffshaftung gegen ein beherrschendes Unternehmen gerichtet werden und dieses ebenfalls in Konkurs fällt, weil sie nicht aus Arbeitsverhältnissen mit diesem Unternehmen stammen. Sie sind vielmehr einfache Konkursforderungen.
  • Eine analoge Anwendung des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO auf diese Fälle scheidet aus.
  • Der Durchgriffshaftungsschuldner tritt nicht deshalb in eine Arbeitgeberstellung ein, weil die Haftung auf einem Mißbrauch an sich zulässiger gesellschaftsrechtlicher Haftungsbegrenzungsmöglichkeiten beruht.
  • Die rechtlichen Folgen der Durchgriffshaftung sind nicht vergleichbar mit der Situation einer Personengesellschaft, in der der persönlich haftende Gesellschafter gleichwertig mit der Gesellschaft für dieselbe Schuld einsteht. Daher steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesarbeitsgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesfinanzhofs zur Rangerhaltung im Konkurs des Gesellschafters einer erneuten Prüfung des Rangs im Konkurs des Durchgriffhaftungschuldners nicht entgegen.
 

Normenkette

KO § 61 Abs. 1, 6, § 59 Abs. 2, 1 Nr. 3a; AFG § 141m Abs. 1; HGB § 128

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 14.03.2001; Aktenzeichen 2 Sa 1340/00)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 04.07.2000; Aktenzeichen 2 Ca 567/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den konkursrechtlichen Rang von Ansprüchen, die aus konzernrechtlicher Durchgriffshaftung erwachsen und auf die Klägerin übergegangen sind.

Durch Beschluß des Amtsgerichts G vom 31. März 1993 wurde über das Vermögen der H… GmbH & Co. KG (Vertriebsgesellschaft), der W… GmbH & Co. KG (Produktionsgesellschaft) und der H… mbH (Komplementärin beider Gesellschaften) das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter aller Gesellschaften bestellt.

Die Klägerin zahlte den ca. 300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Produktionsgesellschaft Konkursausfallgeld in Höhe von DM 2.896.945,35. Im Konkursverfahren der Produktionsgesellschaft wurde diese Forderung mit dem Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO vom Beklagten anerkannt und mit insgesamt DM 1.759.679,46 berichtigt. In Höhe von DM 1.137.265,89 fiel die Klägerin im Konkurs der Produktionsgesellschaft aus. Diesen Teilbetrag möchte sie im Konkurs der Vertriebsgesellschaft als bevorrechtigte Forderung mit dem Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO durchsetzen. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 8. September 1998 (– 3 AZR 185/97 –) für die Betriebsrenten- und Versorgungsansprüche der bei der Produktionsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entschieden, daß die Vertriebsgesellschaft nach den Grundsätzen der Durchgriffshaftung im qualifiziert faktischen Konzern für die Verbindlichkeiten der Produktionsgesellschaft haftet. Der Beklagte hat die angemeldete Forderung als sonstige Forderung im Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO anerkannt, allerdings eine Bevorrechtigung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO bestritten. Bevorrechtigte Forderungen werden zu 100 % berichtigt; die Quote für eine sonstige Konkursforderung beträgt 35 %.

Mit der am 28. Februar 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin Feststellung der Forderung zur Konkurstabelle mit dem Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Sie vertritt die Auffassung, aus dem Mißbrauch der haftungsbeschränkenden Rechtsform dürfe der Gemeinschuldnerin (Vertriebsgesellschaft) kein Vorteil erwachsen, indem ihr gegenüber Ansprüche nur als einfache Konkursforderungen zu realisieren seien. Die Vertriebsgesellschaft müsse sich wie die Produktionsgesellschaft als Arbeitgeberin behandeln lassen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Forderung der Klägerin gegenüber der Firma H… GmbH & Co. KG in Höhe von DM 1.137.265,89 zur Konkurstabelle als bevorrechtigte Forderung gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er vertritt die Auffassung, die angemeldeten Ansprüche seien einfache Konkursforderungen im Sinne von § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO. Für jedes Konkursverfahren sei der Rang einer Forderung eigenständig zu beurteilen. Arbeitgeberin sei ausschließlich die Produktionsgesellschaft gewesen; nur ihr gegenüber bestünden im Konkurs privilegierte Arbeitsentgeltansprüche. Die aus dem Mißbrauch der Leitungsmacht abgeleitete Haftung des herrschenden Unternehmens habe demgegenüber den Charakter eines Schadensersatzanspruches, der grundsätzlich in der Rangklasse des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO berichtigt würde. Die Haftungskonstellation im qualifiziert faktischen Konzern könne auch mit der Haftung des Bürgen verglichen werden. Eine Gläubigerforderung habe im Konkurs des Hauptschuldners nicht zwangsläufig den gleichen Rang wie im Konkurs des Bürgen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Auf die begründete Revision des Beklagten war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, das Urteil des Arbeitsgericht abzuändern und die Klage abzuweisen. Die angemeldeten Ansprüche sind einfache Konkursforderungen.

  • Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, daß die Grundsätze der Durchgriffshaftung keine Schadensersatz-, sondern unmittelbare Haftungsansprüche gegen das herrschende Unternehmen eröffnen; das herrschende Unternehmen müsse für die auf die Klägerin übergegangenen Ansprüche wie für eine eigene Schuld einstehen. Konkursrechtliche Besonderheiten stünden der Einordnung des Haftungsanspruchs als Erfüllungsanspruch nicht entgegen. Die Bevorzugung der Erfüllung der Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis sei gesetzlich gewollt. Die Vertriebsgesellschaft müsse sich als Arbeitgeberin behandeln lassen, weil sie tatsächlich die Geschicke der Produktionsgesellschaft und der dort tätigen Arbeitnehmer gesteuert habe. Die übrigen Gläubiger würden dadurch nicht schlechter gestellt. Wenn die Ansprüche der Klägerin nur nachrangig berichtigt würden, würden sie hingegen ungerechtfertigt besser gestellt.
  • Dem folgt der Senat nicht.

    • Die auf Feststellung der Forderung zur Konkurstabelle in der Rangklasse des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO gerichtete Klage ist nach § 146 KO zulässig. Die Klägerin hat die Forderung nach § 139 KO zur Konkurstabelle angemeldet. Der Beklagte hat sie zwar als sonstige Forderung iSd. § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO anerkannt, das beanspruchte Vorrecht der Rangklasse des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO ist jedoch streitig geblieben. Auch auf Feststellung eines im Prüfungstermin streitig gebliebenen Vorrechtes kann Klage geführt werden (Kuhn/Uhlenbruck KO 10. Aufl. § 146 Rn. 25).
    • Die Klage ist unbegründet.

      • Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Die Arbeitsentgeltforderungen der Arbeitnehmer der Produktionsgesellschaft sind für den Konkursausfallgeldzeitraum nach § 141m Abs. 1 AFG auf die Klägerin übergegangen. Diese Forderungen sind nach § 59 Abs. 2 KO von einer Masseforderung nach § 59 Abs. 1 Nr. 3a KO im Konkursverfahren der Produktionsgesellschaft auf den Rang einer bevorrechtigten Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO herabgestuft worden.
      • Unerheblich ist, daß der Beklagte in der Revisionsinstanz die Ansicht vertreten hat, im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern lägen die Voraussetzungen der nunmehr vom Bundesgerichtshof vertretenen Ausfallhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs nicht vor (BGH 17. September 2001 – II ZR 178/99 – BGHZ 149, 10; 25. Februar 2002 – II ZR 196/00 – BGHZ 150, 61). Mit dem Anerkenntnis gilt die Forderung dem Grunde nach als festgestellt (Kuhn/Uhlenbruck aaO § 144 Rn. 3). Gegen den Bestand der Forderung gerichtete Einwendungen sind dem Beklagten wegen der Rechtskraftwirkung des Feststellungsvermerks abgeschnitten (§ 144 Abs. 1, § 145 Abs. 2 KO Kuhn/Uhlenbruck aaO § 146 Rn. 1; BAG 5. Juli 1967 – 4 AZR 338/66 – BAGE 20, 1, 4).
      • Die Forderung der Klägerin ist im Konkurs der Vertriebsgesellschaft nicht mit dem Vorrecht des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO, sondern als sonstige Konkursforderung nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO zu berichtigen.

        In der Rangklasse des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO werden die Forderungen der Arbeitnehmer auf die Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis mit dem Gemeinschuldner für das letzte Jahr vor der Eröffnung des Verfahrens berichtigt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

        • Ob es sich bei den hier streitigen Durchgriffshaftungsansprüchen überhaupt noch um “Forderungen auf Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis” handelt, ist umstritten.

          Welche Rechtsnatur Durchgriffshaftungsansprüche haben, ist nicht eindeutig geklärt. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht die Haftungsgrundlage entsprechend §§ 302, 303 AktG in dem objektiven Mißbrauch der beherrschenden Stellung des Unternehmens oder des Unternehmensgesellschafters (BGH 29. März 1993 – II ZR 265/91 – BGHZ 122, 123; BAG 3. September 1998 – 8 AZR 189/97 – BAGE 89, 349 mwN). Nach der nunmehr geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt im faktischen GmbH-Konzern die Haftung des Alleingesellschafters nicht allein dem Haftungssystem des Konzernrechts im Aktienrecht, vielmehr ist der Schutz der abhängigen GmbH auf die Erhaltung des Stammkapitals und die Gewährleistung ihres Bestandsschutzes beschränkt, der eine angemessene Rücksichtnahme auf die Eigenbelange der GmbH erfordert. Daraus folgt eine Beschränkung der Ansprüche der Gesellschaft nach § 31 Abs. 3 GmbHG grundsätzlich auf den Betrag der Stammkapitalziffer (BGH 17. September 2001 – II ZR 178/99 – aaO; 25. Februar 2002 – II ZR 196/00 – aaO). Eine darüber hinausgehende Ausfallhaftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft kommt in Betracht, wenn beim Abzug von Vermögen der Gesellschaft nicht die gebotene angemessene Rücksicht auf die Erhaltung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten genommen und damit die Insolvenz der Gesellschaft herbeigeführt wird.

          Unabhängig von der Charakterisierung der Haftungsgrundlage können Ansprüche aus Durchgriffshaftung oder ein Anspruch aus Ausfallhaftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs sowohl erfüllungs-, schadenersatz- oder bürgschaftsähnlichen Charakter haben (vgl. Karsten Schmidt NJW 2001, 3577, 3579).

        • Die Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Selbst wenn der Charakter der übergegangenen Ansprüche als Arbeitsentgeltansprüche in der Durchgriffshaftung erhalten bliebe, wofür spricht, daß der Beklagte sie als solche anerkannt hat, stammen sie dennoch nicht aus Arbeitsverhältnissen mit der Gemeinschuldnerin.

          Zwischen den Arbeitnehmern der Produktionsgesellschaft und der Gemeinschuldnerin, der Vertriebsgesellschaft, bestand kein Arbeitsverhältnis. Vertragspartner der Arbeitnehmer war ausschließlich die Produktionsgesellschaft (so ausdrücklich im Vorverfahren BAG 8. September 1998 – 3 AZR 185/97 – AP AktG § 303 Nr. 12 = EzA AktG § 303 Nr. 8). Auch in einem Konzern behalten die einzelnen Konzernunternehmen grundsätzlich ihre rechtliche Selbständigkeit. Das herrschende Unternehmen wird nicht Vertragspartner der Verträge zwischen abhängigen Unternehmen und Dritten (BAG 15. Januar 1991 – 1 AZR 94/90 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 21 = EzA AktG § 303 Nr. 1).

      • Die Gemeinschuldnerin ist auch nicht analog § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO so zu behandeln, als wäre sie Arbeitgeberin der bei der Produktionsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmer. Sie rückt nicht wegen des Charakters der Durchgriffshaftungsansprüche in die Arbeitgeberstellung ein.

        • Eine analoge Anwendung einer gesetzlichen Regelung aus einem vom Gesetz nicht geregelten, ihm ähnlichen Tatbestand setzt voraus, daß der gesetzlich geregelte und der nicht geregelte Tatbestand gerade in den für die rechtliche Bewertung maßgebenden Kriterien übereinstimmen. Dazu ist zunächst der Zweck und der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung festzustellen (BAG 30. April 1984 – 1 AZR 34/84 – BAGE 45, 357). Die Konkursordnung regelt die Gesamtvollstreckung gegen einen in Vermögensverfall geratenen Schuldner. Sie folgt dem Prinzip, daß das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners, die Konkursmasse (§ 1 Abs. 1 KO), zur gemeinschaftlichen Befriedigung aller Konkursgläubiger dient (§ 3 Abs. 1 KO). Reicht die Masse zur vollen Befriedigung aller Gläubiger nicht aus, können sie nur die anteilsmäßige Befriedigung ihrer Forderung verlangen (§ 61 Abs. 2 Satz 2 KO). Den Ausfall müssen sie anteilig tragen. § 61 KO durchbricht diesen Grundsatz, indem er bestimmten Klassen von Konkursgläubigern für bestimmte Ansprüche eine bevorzugte Befriedigung in bestimmter Rangordnung zuteil werden läßt. Jedes Konkursvorrecht bildet eine Ausnahme vom Gebot der Gleichbehandlung aller Konkursgläubiger. Soweit ein Vorrecht nicht gesetzlich begründet ist, bleibt es deshalb bei der Regel, daß Forderungen gegen den Gemeinschuldner einfache Konkursforderungen im Rahmen des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO sind (BVerfG 19. Oktober 1983 – 2 BvR 485/80 – und – 2 BvR 486/80 – BVerfGE 65, 182). Bestimmungen über die Konkursvorrechte sind im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger eng auszulegen. Den Gerichten ist es verwehrt, im Wege der Rechtsfortbildung den Kreis der bevorrechtigten Forderungen auszudehnen bzw. zu erweitern, selbst wenn ein soziales Bedürfnis hierfür besteht. Dies läßt zwar Raum für eine Analogie eines nicht geregelten Sachverhalts unter einen der privilegierten Tatbestände (so ausdrücklich BVerfG 19. Oktober 1983 aaO) zieht jedoch deren Grenzen sehr eng (BAG 30. April 1984 – 1 AZR 34/84 – aaO).
        • Die bevorrechtigten Forderungen nach § 59 Abs. 1 Nr. 3a und § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO umfassen nach diesen gesetzlichen Vorschriften das Arbeitsentgelt für die Dienstleistungen, die in die bevorrechtigte Zeit fallen. Das gesetzgeberische Motiv für die Privilegierung dieser Vergütungsansprüche ist die Sicherstellung der Bezüge für den täglichen Lebensunterhalt in der bevorrechtigten Zeit (BAG 30. April 1984 – 1 AZR 34/84 – aaO). Diese Privilegierung rührt gerade aus der Arbeitgeberstellung des Gemeinschuldners her. Nur in seinem Konkurs wird der Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Konkursgläubiger durchbrochen. Dies kann nicht auf einen weiteren Konkurs eines Haftungsschuldners übertragen werden. Grundsätzlich ist in jedem Konkurs neu zu überprüfen, welche Rangstellen die geltend gemachten Forderungen haben. Die Voraussetzungen für bevorrechtigte Forderungen sind jeweils neu festzustellen. Dies folgt aus dem Schutzbedürfnis der Gesamtheit der Gläubiger des Gemeinschuldners des neuen Konkurses.

          • Ein Einrücken der haftenden Gemeinschuldnerin in die Arbeitgeberstellung ist nicht deshalb geboten, weil mit der Unternehmensaufspaltung eine Haftungsbegrenzung verfolgt worden ist. Dies ist ein Zweck, den die Rechtsordnung nicht grundsätzlich mißbilligt (vgl. Karsten Schmidt NJW 2001, 3577, 3580).
          • Auch der Umstand, daß die Durchgriffshaftung nur dadurch begründet ist, daß mit dieser Haftungsbeschränkung Mißbrauch betrieben worden ist, begründet nicht das Bedürfnis für eine Analogie.

            Ohne den Mißbrauch wäre zwar die nach der Aufspaltung unterkapitalisierte Arbeitgeberin der Arbeitnehmer mit ausreichender Haftungsmasse versehen gewesen. Dieser Betrag hätte den Gläubigern der jetzigen Gemeinschuldnerin dann nicht zur Verfügung gestanden, so daß nicht von vornherein feststeht, daß deren Gläubiger benachteiligt würden, wären die Arbeitsentgeltforderungen in ihrem Konkurs bevorrechtigt. Auch bleibt der Zweck der Bevorrechtigung, nämlich die Sicherstellung der Arbeitseinkommen in der bevorrechtigten Zeit, weiter bestehen, wenn diese nicht als Masseforderungen im Konkurs der eigentlichen Arbeitgeberin befriedigt werden können.

            Dies alles begründet aber allenfalls ein sozial wünschenswertes Bedürfnis für eine analoge Anwendung des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Ein solches reicht aber nicht aus, um den Gesetzeszweck der Konkursordnung auch in durch diese nicht geregelten Fällen zu durchbrechen. Billigkeitserwägungen sind insoweit nicht geboten. Sogar Ansprüche, die auf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den Gemeinschuldner beruhen, wären als Schadensersatzansprüche nur einfache Konkursforderungen. Es liegt vielmehr näher, dem Rechtsgedanken des § 418 Abs. 2 BGB auch für die Durchgriffshaftung zu folgen. Danach kann im Falle einer vertraglichen Schuldübernahme ein mit der Forderung verbundenes Vorzugsrecht nicht im Konkurs des Übernehmers geltend gemacht werden.

          • Schließlich spricht gegen eine Analogie auch der Umstand, daß das damit bezweckte Ergebnis jedenfalls dann nicht erreicht würde, wenn der Konkurs des Durchgriffshaftungsschuldners zeitlich später läge als der Konkurs der vertraglichen Arbeitgeberin. Sind die Zeitschranken der §§ 59, 61 KO für die Bestimmung von Masseschulden und Konkursvorrechten jeweils gesondert zu bestimmen, fallen Konkursvorrechte im Konkurs der Arbeitgeberin und im Konkurs des Durchgriffshaftungsschuldners zwangsläufig auseinander. Dem kann der Zweck des Vorrechts, nämlich die Sicherung des Arbeitsentgelts im bevorrechtigten Zeitraum, ebenfalls nicht abhelfen.
      • Der Zuordnung der übergegangenen Durchgriffshaftungsansprüche als nicht bevorrechtigte Konkursforderungen steht die bisherige Rechtsprechung zum Rang von Haftungsansprüchen nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß dem Gläubiger einer Personengesellschaft ein Konkursvorrecht nicht nur im Konkurs der Gesellschaft, sondern auch im Konkurs des persönlich haftenden Gesellschafters zusteht (16. Februar 1961 – III ZR 71/60 – BGHZ 34, 293). Dem sind sowohl Bundesarbeitsgericht als auch Bundessozialgericht gefolgt (BAG 26. August 1981 – 5 AZR 398/79 – BAGE 36, 356, betreffend Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3a KO; 24. August 1993 – 9 AZR 498/91 – AP KO § 59 Nr. 36 = EzA KO § 59 Nr. 26; BSG 24. November 1983 – 10 Rar 11/82 – BSGE 56, 55).

        • Diese Entscheidungen beruhen jedoch sämtlich auf der von den Gerichten angenommenen gesellschaftsrechtlichen Besonderheit, daß im Verhältnis zwischen dem Gläubiger einerseits und der Gesellschaft und ihrer persönlich haftenden Gesellschafter andererseits nur eine einheitliche Schuld bestehe, für die zwei verschiedene Vermögensmassen hafteten. Dabei stehe es dem Gläubiger frei, ob er erst die Gesellschaft oder den Gesellschafter in Anspruch nehme, da jeder Gesellschafter zur persönlichen Erfüllung der Verbindlichkeit voll verpflichtet sei (sog. Erfüllungstheorie; dagegen die sog. Haftungstheorie Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann HGB § 124 Rn. 1; Schlegelberger/Karsten Schmidt HGB 5. Aufl. § 124 Rn. 1; Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht 3. Aufl. S 1361, 1394 f., wonach die Gesellschaft ein eigenständiger von ihren Gesellschaftern zu unterscheidender Träger von Rechten und Pflichten ist). Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Ergebnis weiterhin damit begründet, daß aus dem gläubigerschützenden Zweck der persönlichen Haftung des Gesellschafters und dem Zusammenhang von Gesellschafts- und Haftungsschuld eine Wertung folge, die auch für das Konkursrecht maßgebend sei. Die fehlende Arbeitgebereigenschaft der einzelnen Gesellschafter stehe dem wegen der unmittelbaren Haftung eines Komplementärs nicht entgegen.
        • Diese besondere Haftungssituation in einer Personengesellschaft, die nach § 128 HGB begründet ist, unterscheidet sich von der Durchgriffshaftung nach den dargelegten Haftungskonzeptionen grundlegend. Diese ist als subsidiäre Ausfallhaftung konzipiert. Ausgleichsansprüche bestehen im Verhältnis zwischen beherrschter und herrschender Gesellschaft. Ein Ausfallanspruch der Gesellschaftsgläubiger greift allenfalls dann, wenn die Gesellschaft vermögenslos ist und Sicherheitsleistung keinen Sinn mehr macht (BGH 23. September 1991 – II ZR 135/90 – BGHZ 115, 187; 29. März 1993 – II ZR 265/91 – BGHZ 122, 123).
  • Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, v. Baumgarten, Trümner

 

Fundstellen

Haufe-Index 853395

DB 2002, 2604

NJW 2003, 1340

EWiR 2003, 175

KTS 2003, 328

NZA 2003, 213

NZG 2003, 120

SAE 2003, 230

ZIP 2002, 2137

AG 2003, 322

AP, 0

EzA-SD 2002, 13

NZI 2003, 106

ZInsO 2003, 51

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