Leitsatz (amtlich)

Ein Träger der Krankenversicherung, der aus übergegangenem Recht einen Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber geltend macht, kann sich für die Voraussetzung seines Anspruchs darauf berufen, daß das Arbeitsverhältnis seines Versicherten durch eine fristlose Kündigung des Arbeitgebers nicht beendet worden ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet.

 

Normenkette

LohnFG § 6 Abs. 2, § 1; KSchG §§ 4, 7, 13 Abs. 1 S. 2; RVO § 182 Abs. 10; BGB §§ 242, 626

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 28.03.1977; Aktenzeichen 1 Sa 74/77)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. März 1977 – 1 Sa 74/77 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Beklagte, eine Bauunternehmung, stellte den bei der Klägerin versicherten Herrn M. für die Zeit vom 19. August bis zum 16. September 1976 als Aushilfskraft mit einem Stundenlohn von 8,70 DM ein. Mit Schreiben vom 26. August 1976 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung, da sich Herr M. für seine Tätigkeit als Aushilfskraftfahrer nicht geeignet habe. Das Kündigungsschreiben ging Herrn M. am 27. August 1976 zu. Er hat gegen die Kündigung keine Klage erhoben.

Vom 27. August bis 3. September 1976 war Herr M. arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin zahlte ihm Krankengeld und forderte die Beklagte unter dem 7. September 1976 auf, diesen Betrag an sie zu erstatten. Die Beklagte verweigerte dies mit Schreiben an die Klägerin vom 14. September 1976, da Herr M. während seiner Arbeitsunfähigkeit nicht mehr bei ihr beschäftigt gewesen sei. Er sei nur als Aushilfe eingestellt worden, da ein anderer Fahrer Urlaub gehabt habe. Als dieser zurückgekommen sei, wäre Herr M. nicht mehr benötigt worden.

Mit ihrer am 2. November 1976 beim Arbeitsgericht Limburg eingereichten Klage macht die Klägerin den auf sie gemäß § 182 Abs. 10 RVO übergegangenen Anspruch des Herrn M. auf Lohnfortzahlung für die Zeit vom 27. August bis 3. September 1976 in Höhe des von ihr gezahlten Krankengeldes von 304,96 DM (8 × 38,12) geltend. Sie ist der Ansicht, das Lohnfortzahlungsgesetz komme zur Anwendung, da Herr M. einen Tag länger als die in § 1 Abs. 3 Nr. 1 LohnFG bestimmte Mindestfrist von vier Wochen eingestellt worden sei. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung werde auch nicht durch die ausgesprochene fristlose Kündigung berührt, da diese unwirksam sei; ein wichtiger Grund habe nicht vorgelegen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Klägerin dürfe die Unwirksamkeit der Kündigung nicht geltend machen, da Herr M. selbst die Kündigung nicht angegriffen habe. Die Arbeitsgerichte seien daher an die rechtsgestaltende Wirkung der Kündigung gebunden. Außerdem sei die fristlose Kündigung deswegen begründet, weil Herr M. das Fahrzeug nicht richtig habe fahren können. Er sei nicht in der Lage gewesen, den Lkw ordnungsgemäß auf dem Lagerplatz zu wenden.

Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG in Verb, mit § 182 Abs. 10 RVO zu.

Der Anspruch setzt voraus, daß das Arbeitsverhältnis des Versicherten während seiner Arbeitsunfähigkeit fortbestanden hat (§§ 1 und 6 Abs. 2 LohnFG). Dies war der Fall. Die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung hat – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt – nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt. Das Arbeitsverhältnis des Versicherten hat vielmehr mindestens bis zum Ende seiner Arbeitsunfähigkeit (3. September 1976) fortbestanden.

1. a) Zu Unrecht ist die Revision der Ansicht, die Klägerin könne sich auf eine Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung nicht berufen, weil dies ein höchstpersönliches Recht des Arbeitnehmers sei, das in Anbetracht des personenrechtlichen Charakters des Arbeitsverhältnisses und mit Rücksicht auf den grundsätzlichen Schutz der Menschenwürde nicht in Verbindung mit dem Übergang des Lohnfortzahlungsanspruches akzessorisch auf die Klägerin übergegangen sein könne.

Die Klägerin muß, wenn sie den übergegangenen Lohnfortzahlungsanspruch geltend machen will, darlegen, daß das Arbeitsverhältnis des Versicherten durch die fristlose Kündigung nicht beendet worden ist. Indem die Klägerin die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung behauptet, macht sie diese nicht als selbständigen Anspruch geltend, sondern sie beruft sich nur auf eine unabhängig von ihrer Klage bestehende Rechtslage, die in ihrem Rechtsstreit als Vortrage zu prüfen ist. Dies kann ihr nicht verwehrt werden.

b) Es ist nicht ersichtlich, daß dadurch ein dem Arbeitnehmer zustehendes höchstpersönliches Recht verletzt würde. Zwar ist es herrschende Meinung im Schrifttum, daß das Recht, die Unwirksamkeit einer Kündigung im Wege der Feststellungsklage nach § 4 KSchG geltend zu machen, ausschließlich dem Arbeitnehmer zustehe, da ihm die freie Entscheidung darüber, ob es zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kommen soll, nicht genommen werden könne (A. und G. Hueck, KSchG, 9. Aufl., § 4 RdNr. 18; Herschel-Steinmann, KSchG, 5. Aufl., § 3 Anm. 3; Auffarth-Müller, KSchG, § 3 RdNr. 4; Galperin, Rd.A. 1966, 361 [363 zu II 7]). Dies trifft jedoch nur im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes zu. Die Kündigungsschutzklage enthält ein gestaltendes Element. Wird sie nicht fristgerecht erhoben, wird die Kündigung nach § 7 KSchG rechtswirksam. Das Gesetz hat es damit der Entscheidung des Arbeitnehmers überlassen, ob er Kündigungsschutzklage erheben oder es bei der Kündigung belassen will. Nur dies ist der Grund, warum das Recht, Kündigungsschutzklage zu erheben, als höchstpersönliches Recht des Arbeitnehmers anzuerkennen ist.

Diese Auffassung kann deshalb nicht gegen die Klage ins Feld geführt werden, weil das Kündigungsschutzgesetz hier keine Anwendung findet; denn der Versicherte hat dem Betrieb der Beklagten noch keine sechs Monate angehört. Die Revision kann ihre Ansicht folglich auch nicht auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 18. August 1970 (DB 1970, 2277) stützen; diesem Urteil lag ein Fall zugrunde, der – anders als der vorliegende – ein Arbeitsverhältnis betraf, auf das die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung fanden.

c) Die Revision ist der Ansicht, daß der Zweck des Kündigungsschutzgesetzes, nämlich das Streben nach Rechtssicherheit und einer möglichst baldigen Klärung der Gültigkeit der Kündigung, die Anwendung der §§ 4 und 7 KSchG auch hier gebiete. Diese Meinung widerspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 1, 272 [273 ff.] = AP Nr. 5 zu § 11 KSchG 1951 [zu II der Gründe]; BAG 2, 194 [196 f.] = AP Nr. 7 a.a.O.; BAG 24, 401 [403 f.] = AP Nr. 65 zu § 626 BGB [zu I der Gründe]).

In diesen Entscheidungen wird ausgeführt, daß Klagen, in denen die Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung geltend gemacht wird, nur dann nach § 13 Abs. 1 KSchG an die Form und Frist des § 4 KSchG gebunden sind (§ 11 Abs. 1 und § 3 KSchG 1951), wenn der Arbeitnehmer bei fristgemäßer Kündigung Kündigungsschutz hätte. Die Bestimmungen enthalten keine allgemeine Regelung für sämtliche außerordentlichen Kündigungen. Dieser von der Rechtsprechung vertretenen Ansicht hat sich die herrschende Meinung angeschlossen (vgl. die Angaben bei A. und G. Hueck, KSchG, 9. Aufl., § 13 RdNr. 19). Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

d) Die Klägerin macht auch nicht die Unwirksamkeit der Kündigung, sondern einen Zahlungsanspruch nach § 1 LohnFG geltend. Es ist nicht das gleiche, ob mit einer Klage die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht wird oder ob ein Lohnfortzahlungsanspruch erhoben wird, der die Unwirksamkeit der Kündigung lediglich zur Voraussetzung hat. Im ersten Falle wird die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angestrebt, im zweiten wird eine Zahlung beansprucht. Nur der Zahlungsanspruch kann nach § 182 Abs. 10 RVO übergehen (vgl. Tons, Die wirtschaftliche Sicherung der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit, S. C 319 zu § 6 VI). Macht der Krankenversicherungsträger diesen Anspruch geltend, hat er hinsichtlich Dauer und Beendigung des Arbeitsverhältnisses seines Versicherten die vorhandene Rechtslage hinzunehmen; er kann sich hierauf als Voraussetzung des übergegangenen Anspruchs aber auch berufen.

e) Auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Juni 1976 – 5 AZR 506/75 – ([demnächst] AP Nr. 2 zu § 9 LohnFG, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) spricht nicht für die Klägerin. Das Urteil geht davon aus, daß der Krankenversicherungsträger die durch einen Vergleich der Arbeitsvertragsparteien entstandene Rechtslage gegen sich gelten lassen müsse, jedenfalls solange der Arbeitgeber den Forderungsübergang bei Vergleichsabschluß nicht kannte. Dies ist eine aus den §§ 412, 407 Abs. 1 BGB hergeleitete Rechtsfolge des Forderungsübergangs, wonach Verfügungen des bisherigen Gläubigers unter bestimmten Voraussetzungen auch dem neuen Gläubiger gegenüber gelten. Im vorliegenden Falle hat aber der Versicherte als bisheriger Gläubiger des Lohnfortzahlungsanspruchs nicht über den Anspruch verfügt. Er hat auch, indem er die fristlose Kündigung nicht angegriffen hat, die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht verändert. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat, wird – da § 4 KSchG keine Anwendung findet – von dem passiven Verhalten des Versicherten nicht beeinflußt.

2. Das Landesarbeitsgericht hat weiter ohne Rechtsirrtum angenommen, daß ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung nicht vorgelegen hat. Die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe die Behauptung nicht berücksichtigt, daß der Versicherte nicht in der Lage war, den ihm anvertrauten Lkw ordnungsgemäß auf dem Lagerplatz zu wenden. Für diese Behauptung habe die Beklagte in der Berufungsbegründungsschrift Beweis angeboten.

Diese Rüge greift nicht durch. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, daß Ungeschick eines Kraftfahrers keinen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstelle. Diese Wertung ist aus Rechtsgründen nicht anzugreifen. Damit hat das Gericht aber auch zum Ausdruck gebracht, daß es die von der Beklagten behaupteten Schwierigkeiten, die der Versicherte beim Wendemanöver auf dem Lagerplatz gehabt habe, mit in seine Beurteilung einbezogen hat. Das Landesarbeitsgericht brauchte nicht in allen Einzelheiten den Vortrag der Beklagten zu wiederholen. Es genügt, wenn erkennbar ist, daß es das Parteivorbringen gesehen und bei seinen Überlegungen verwertet hat. Das kommt in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck.

3. Der Revision kann schließlich darin nicht gefolgt werden, daß der Mangel der außerordentlichen Kündigung durch Verwirkung geheilt sei. Die Verwirkung setzt voraus, daß der Gläubiger sich so verhält, daß er in dem Schuldner die Ansicht hervorgerufen hat und auch hervorrufen mußte, er werde die ihm zustehenden Ansprüche nicht mehr geltend machen; dem Schuldner muß ferner die nachträgliche Erfüllung unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten sein (BAG AP Nr. 4 zu § 242 BGB Verwirkung).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beklagte ist durch Schreiben der Klägerin vom 7. September 1976, also elf Tage nach dem Zugang der fristlosen Kündigung, davon verständigt worden, daß ihr früherer Arbeitnehmer Krankengeld in Höhe von 304,96 DM erhalten hat und in dieser Höhe der Lohnfortzahlungsanspruch auf die Klägerin übergegangen ist. Zugleich wurde die Beklagte aufgefordert, diesen Betrag an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte lehnte unter dem 14. September 1976 die Zahlung ab. Daraufhin hat die Klägerin unter dem 22. September 1976 unter ausführlicher Darlegung ihrer Rechtsansicht die Beklagte nochmals aufgefordert zu zahlen, und für den Fall ihrer Weigerung eine Klage beim Arbeitsgericht angekündigt. Als die Beklagte daraufhin am 5. Oktober 1976 erklärte, daß sie nicht zahlen wolle, und im Falle einer Klage einen Herrn ihres Verbandes bitten werde, sie bei der Verhandlung zu vertreten, hat die Klägerin am 2. November 1976 die Klage beim Arbeitsgericht eingereicht. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, daß die Beklagte nach dem Verhalten der Klägerin annehmen mußte, diese werde ihren Anspruch nicht mehr geltend machen. Der Anspruch ist daher nicht verwirkt. Nur hierauf kommt es im vorliegenden Rechtsstreit an.

4. Nach alledem ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung nicht beendet worden. Auf die Frage, ob im Wege der Umdeutung der außerordentlichen fristlosen in eine ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis am 3. September 1976 beendet worden ist, muß nicht eingegangen werden. Auch ohne diese vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Umdeutung kommt man zu dem Ergebnis, daß das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt fortbestanden hat und der Arbeitgeber daher verpflichtet war, für die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten, die bis dahin angedauert hatte, den Lohn fortzuzahlen.

 

Unterschriften

gez.: Dr. Hilger, Dr. Fenge, Triebfürst, Dr. Florack, Dahl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1420189

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