Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsberechtigung bei Pfändungsberechnung

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens sind unterhaltsberechtigte Personen nach § 850c Abs 1 Satz 2 ZPO nur dann zu berücksichtigen, wenn im konkreten Einzelfall eine gesetzliche Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung besteht. Das ist aus den Gründen des § 1603 Abs 1 BGB gegenüber einem volljährigen Kind nicht der Fall, wenn der angemessene Unterhalt des Schuldners gefährdet ist.

 

Normenkette

BGB §§ 1602-1603, 1613, 1601; ZPO § 850 c

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 09.10.1985; Aktenzeichen 12 Sa 1477/85)

ArbG Detmold (Entscheidung vom 04.06.1985; Aktenzeichen 2 Ca 357/85)

 

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Lemgo vom 14. November 1984 - 14 M 2852/84 - geltend, der der Beklagten am 22. November 1984 zugestellt wurde. Durch diesen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß sind die Lohnansprüche des Willi T - Schuldner und Streitverkündeter - gegen die Beklagte wegen einer Forderung der Klägerin in Höhe von DM 17.590,08 nebst Kosten zugunsten der Klägerin gepfändet und an die Klägerin zur Einziehung überwiesen worden. In dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß ist auf Antrag der Klägerin bestimmt, daß die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens aus der Tabelle zu § 850 c Abs. 3 ZPO wegen eigenen Einkommens unberücksichtigt bleibt.

Der Schuldner, ein gelernter Maurermeister, betrieb früher ein Bauunternehmen, das im Jahre 1979 in Konkurs geriet. Aus dieser früheren Geschäftstätigkeit des Schuldners rührt die rechtskräftig festgestellte Forderung der Klägerin in Höhe von DM 17.590,08 her. Der Schuldner ist jetzt bei der Beklagten beschäftigt, die ebenfalls ein Bauunternehmen betreibt und deren Geschäftsführerin die Ehefrau des Schuldners ist. Der Schuldner erzielt nach einer eidesstattlichen Versicherung vom 4. Juli 1984 bei der Beklagten einen monatlichen Bruttolohn von DM 1.750,-- und einen Nettolohn von DM 1.008,--. Der Schuldner und seine Ehefrau haben eine gemeinsame Tochter, die am 26. Juni 1963 geboren ist, seit 1. Oktober 1984 in einem Berufsausbildungsverhältnis zum Bürokaufmann steht und nicht mehr im elterlichen Haus wohnt. Sie erhält im ersten Ausbildungsjahr eine Bruttovergütung von DM 588,--, die einer Nettovergütung von DM 476,35 entspricht.

Die Klägerin meint, wegen des Wegfalls der Ehefrau des Schuldners als unterhaltsberechtigte Person verbleibe dem Schuldner bei einem Nettolohn von DM 1.008,-- ein pfändbarer Betrag von DM 172,20 monatlich. Dieser Betrag stehe ihr zu, da der Beschluß, daß die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens des Schuldners unberücksichtigt bleibe, allein zugunsten der Klägerin wirke. Auch die Tochter des Schuldners sei bei der Berechnung seines pfändbaren Einkommens nicht als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Denn der Schuldner sei gegenüber seiner volljährigen Tochter nicht zum Unterhalt verpflichtet. Bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen sei er außerstande, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts der Tochter Unterhalt zu gewähren.

Für die Monate November 1984 bis Januar 1985 hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid über DM 516,60 erwirkt. Für die Monate Februar bis Mai 1985 macht sie mit der Klage weitere DM 688,80 gegen die Beklagte geltend.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Vollstreckungsbescheid des Arbeits-

gerichts Detmold vom 6. März 1985 - Ba

13/85 - aufrechtzuerhalten,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klä-

gerin weitere DM 688,80 nebst 4 % Zinsen

seit dem 24. Mai 1985 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, den Vollstreckungsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Schuldner habe den pfändbaren Teil seines Arbeitsverdienstes bereits am 9. August 1979 wegen einer Darlehensforderung in Höhe von DM 300.000,-- an seine Ehefrau abgetreten. Bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners sei dessen Tochter als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Von dem Nettoeinkommen der Tochter seien berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von DM 145,-- abzusetzen. Der verbleibende Restbetrag reiche für ihren Unterhalt nicht aus, zumal die Tochter mit Zustimmung ihrer Eltern nicht mehr im elterlichen Hause wohne. Bei einem unterhaltsberechtigten Kind mit eigenem Hausstand betrage der monatliche Unterhaltsbetrag DM 800,--. Der Schuldner zahle deshalb seiner Tochter monatlichen Unterhalt in Höhe von DM 300,--, mit dem die Tochter ihre Miete bezahle.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Vollstreckungsbescheid vom 6. März 1985 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin für die Zeit von November 1984 bis Januar 1985 gemäß dem Vollstreckungsbescheid des Arbeitsgerichts Detmold vom 6. März 1985 DM 516,60 und für die Zeit von Februar bis Mai 1985 weitere DM 688,80 nebst Zinsen zu zahlen. Denn in diesem Umfang ist der Lohn des Schuldners zugunsten der Klägerin gepfändet.

Aufgrund des von der Klägerin erwirkten und der Beklagten am 22. November 1984 zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hat die Beklagte für die Zeit ab November 1984 die pfändbaren Teile des Arbeitseinkommens des Schuldners an die Klägerin abzuführen (§ 835 ZPO). Nach dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß bleibt bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens die Ehefrau des Schuldners als unterhaltsberechtigte Person unberücksichtigt, weil sie eigenes Einkommen erzielt. Danach sind, wenn keine unterhaltsberechtigten Personen vorhanden sind, von dem monatlichen Nettoeinkommen des Schuldners in Höhe von DM 1.008,-- nach der Pfändungstabelle zu § 850 c ZPO DM 172,20 pfändbar.

Die pfändbaren Lohnansprüche des Schuldners sind zwar zunächst aufgrund der Lohnabtretung vom 9. August 1979 auf seine Ehefrau übergegangen (§§ 398, 400 BGB). Gegenüber seiner Ehefrau sind aber die pfändbaren Lohnbestandteile unter Berücksichtigung von einer unterhaltsberechtigten Person zu berechnen, da der nach § 850 c Abs. 4 ZPO ergangene Beschluß, daß bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens die Ehefrau des Schuldners als unterhaltsberechtigte Person unberücksichtigt bleibt, nur für den Gläubiger, zu dessen Gunsten er ergangen ist, also vorliegend nur zugunsten der Klägerin, wirkt (BAG 46, 148 = AP Nr. 6 zu § 850 c ZPO). Gegenüber der Ehefrau des Schuldners ist zu berücksichtigen, daß der Schuldner ihr Unterhalt schuldet und auch tatsächlich gewährt. Bei Berücksichtigung einer unterhaltsberechtigten Person bleibt bei einem Nettoeinkommen von DM 1.008,-- monatlich nach der Lohnpfändungstabelle kein pfändbarer Betrag zugunsten der Ehefrau des Schuldners übrig, der Vorrang vor der Klägerin hätte.

Die Unterhaltspflicht des Schuldners gegenüber seiner Ehefrau folgt aus § 1360 Satz 1 BGB, wonach die Ehegatten einander verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Diese Verpflichtung trifft grundsätzlich jeden Ehegatten unabhängig von der Höhe seines eigenen Einkommens und unabhängig von der Höhe des Einkommens des Ehegatten. Demgemäß ist vorliegend auch der Schuldner verpflichtet, mit seinem Arbeitseinkommen von DM 1.008,-- netto monatlich zum Unterhalt der Familie beizutragen. Durch seinen Beitrag zum Familienunterhalt erfüllt er die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber seinem Ehegatten. Er erweitert damit die Lebensgrundlage der Familie und steuert auf diese Weise auch zum Unterhalt seiner Ehefrau bei. Dies gilt auch, wenn er für seinen eigenen Unterhalt mehr benötigt, als er selbst für den Unterhalt der Familie aufbringen kann. Denn dies ändert nichts daran, daß er mit seinem eigenen Beitrag zum angemessenen Familienunterhalt eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Ehefrau erfüllt (vgl. BAG 42, 54, 59 f. = AP Nr. 4 zu § 850 c ZPO).

Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht zwar keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, daß der Schuldner mit seinem bei der Beklagten erzielten Nettolohn zum gemeinsamen Familienunterhalt beiträgt. Der Schuldner lebt jedoch mit seiner Ehefrau in einem gemeinsamen Haushalt. Nach der Zeugenaussage der Tochter des Schuldners tragen sowohl der Schuldner als auch seine Ehefrau mit ihrem eigenen Einkommen zum Unterhalt der Tochter bei. Mangels anderweiter Anhaltspunkte ist daher davon auszugehen, daß der Schuldner und seine Ehefrau ihr eigenes Einkommen zum gemeinsamen Familienunterhalt beisteuern. Demgemäß ist bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens zugunsten der Ehefrau des Schuldners eine unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen.

Bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens des Schuldners ist entgegen der Auffassung der Beklagten seine volljährige Tochter nicht als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zahlt der Schuldner an seine Tochter monatlich DM 300,-- für deren Unterhalt. Dies genügt jedoch noch nicht, um bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens des Schuldners von einer unterhaltsberechtigten Person auszugehen. Erforderlich ist vielmehr insoweit auch, daß der Schuldner den Unterhalt "aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung" gewährt (§ 850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dies ist vorliegend zu verneinen.

Der Beklagten ist einzuräumen, daß die volljährige Tochter des Schuldners unterhaltsberechtigt ist, weil sie außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Sie hat ein eigenes Arbeitseinkommen von DM 476,35 netto und muß davon ihren Lebensunterhalt, zu dem auch die Aufwendungen für eine eigene Wohnung gehören, bestreiten. Wenn das Landesarbeitsgericht daraus schließt, daß die Tochter des Schuldners mit ihrem Arbeitseinkommen nicht ihren gesamten Lebensbedarf decken kann, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Schuldner ist gegenüber seiner Tochter als Verwandter in gerader Linie auch grundsätzlich zur Unterhaltsgewährung verpflichtet (§ 1601 BGB). Die Unterhaltspflicht entfällt jedoch für denjenigen, der "bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren" (§ 1603 Abs. 1 BGB). Insoweit braucht der Unterhaltsverpflichtete - anders als bei minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 BGB) - nicht alle verfügbaren Mittel zum Unterhalt des Unterhaltsberechtigten einzusetzen. Als angemessener Unterhalt im Sinne von § 1613 Abs. 1 BGB wird von den Familiengerichten ein Betrag von mindestens DM 1.300,-- monatlich angesehen (vgl. NJW 1984, 2330, 2332). Entgegen der Auffassung der Beklagten haben der Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht Hamm unter besonderen Voraussetzungen keinen niedrigeren Betrag als angemessenen Unterhalt angesehen und festgesetzt. Vielmehr betreffen die von der Beklagten angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Oberlandesgerichts Hamm nur Unterhaltspflichten gegenüber minderjährigen Kindern, die sich nach § 1603 Abs. 2 BGB richten und nicht nach dem vorliegend zur Anwendung kommenden § 1603 Abs. 1 BGB. Da das Nettoeinkommen des Schuldners weit unter dem Betrag von DM 1.300,-- monatlich liegt, benötigt er somit sein gesamtes Arbeitseinkommen für den eigenen angemessenen Unterhalt. Damit entfällt eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber seiner volljährigen Tochter. Daran ändert nichts, daß er ihr tatsächlich monatlich DM 300,-- zahlt. Diese freiwillige Leistung kann eine gesetzliche Unterhaltspflicht nicht begründen. Da keine gesetzliche Unterhaltspflicht des Schuldners gegenüber seiner volljährigen Tochter besteht, ist diese bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners nicht als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Andere unterhaltsberechtigte Personen, denen der Schuldner Unterhalt gewährt, sind nicht vorhanden. Daher sind von seinem Arbeitseinkommen monatlich DM 172,20 zugunsten der Klägerin pfändbar.

Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, es komme allein auf die grundsätzliche Anspruchsberechtigung der bedürftigen Person und auf die tatsächliche Unterhaltszahlung des Verwandten an, damit bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Unterhaltsleistenden eine unterhaltsberechtigte Person berücksichtigt werden könne, teilt der Senat nicht. Es gibt keine Anspruchsberechtigung ohne Schuldner. Schuldet aber nach dem Gesetz jemand einer anderen Person keinen Unterhalt, hat diese auch keine entsprechende Anspruchsberechtigung. Danach besteht keine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des Schuldners gegenüber seiner volljährigen Tochter. Das ist aber nach § 850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO für die Berücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens entscheidend. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß § 850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO mit dem Begriff der "gesetzlichen Verpflichtung" nur den Personenkreis umschreiben will, der nach den §§ 1601 ff. BGB als Unterhaltsverpflichteter in Betracht kommen kann. Der Begriff der Verpflichtung ist vielmehr eindeutig. Er setzt voraus, daß im konkreten Fall eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Das ist vorliegend für den Schuldner gegenüber seiner volljährigen Tochter zu verneinen.

Diese Auslegung widerspricht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch nicht dem Sinn und Zweck des § 850 c ZPO. Dieser Vorschrift läßt sich keineswegs entnehmen, daß Unterhaltszahlungen an bedürftige Angehörige der Vorrang vor Gläubigerinteressen einzuräumen ist. Ein solcher Vorrang wird von dem Gesetz vielmehr nur dann eingeräumt, wenn der Unterhalt aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung geleistet wird. Das wird vom Landesarbeitsgericht verkannt. Insoweit läßt sich sogar sagen, daß das Gesetz bei freiwilligen Unterhaltszahlungen den Gläubigerinteressen Vorrang vor den Interessen des bedürftigen Angehörigen einräumt.

Damit wird das Interesse des bedürftigen Angehörigen an seinem eigenen notwendigen Unterhalt nicht den Interessen fremder Gläubiger, deren Unterhalt auf andere Weise sichergestellt sein mag, geopfert. Der bedürftige Angehörige behält einen Unterhaltsanspruch. Der Anspruch richtet sich nur nicht gegen denjenigen, der sein Einkommen für seinen eigenen angemessenen Unterhalt benötigt, sondern gegen den nach ihm haftenden Verwandten (§ 1607 Abs. 1 BGB). Im vorliegenden Fall bedeutet dies z. B., daß sich die volljährige Tochter wegen ihres notwendigen Unterhalts nicht an den Schuldner halten kann, sondern dessen Ehefrau in Anspruch nehmen muß, die als Mutter Unterhalt schuldet und ihn aus den Einnahmen ihres Geschäftsbetriebs bestreiten kann.

Andererseits wird ein Schuldner, der nach § 1603 Abs. 1 BGB nicht zum Unterhalt verpflichtet ist, nicht daran gehindert, Unterhaltsleistungen zu erbringen. Er kann diese Unterhaltszahlungen nur nicht zu Lasten seiner Gläubiger erbringen. Die Regelung des § 1603 Abs. 1 BGB bedeutet, daß das Gesetz hier den Gläubigerinteressen den Vorrang vor den Interessen des bedürftigen nahen Angehörigen einräumt. Denn die Gläubiger können mit einem vollstreckbaren Titel auf den angemessenen Unterhalt bis zur Höhe des notwendigen Unterhalts gemäß der Lohnpfändungstabelle Zugriff nehmen; den bedürftigen nahen Angehörigen außerhalb des § 1603 Abs. 2 BGB ist hingegen der Zugriff auf den angemessenen Unterhalt zur Deckung ihres eigenen Unterhalts verwehrt. Diese Wertung des Gesetzgebers haben die Gerichte zu respektieren, auch wenn sie im Einzelfall zu Härten für den Unterhaltsberechtigten führen kann. Solchen Härten durch eine Härteklausel Rechnung zu tragen, ist allein Sache des Gesetzgebers.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann auch aus den Regelungen in der Tabelle zu § 850 c Abs. 3 ZPO nicht entnommen werden, daß bereits tatsächliche Unterhaltszahlungen an bedürftige nahe Angehörige zur Berücksichtigung dieser Personen bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens führen müßten. Die Ausführung des Landesarbeitsgerichts, daß Unterhaltsleistungen an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person bereits ab einem monatlichen Nettoeinkommen von DM 760,-- für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens relevant würden, ist unzutreffend. Vielmehr ist bei einem Nettoeinkommen bis zu DM 759,99 der gesamte Lohn unpfändbar. Sind k e i n e unterhaltsberechtigten Personen vorhanden, ist der Lohn ab einem monatlichen Nettobetrag von DM 760,-- in bestimmtem Umfang pfändbar. Unterhaltsberechtigte Personen wirken sich bei der Berechnung des pfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens erst ab einem monatlichen Nettoeinkommen von DM 1.100,-- aus. Auch dies spricht für die hier vertretene Auslegung zu § 850 c ZPO. Im übrigen ist zu bedenken, daß die gesetzlichen Unterhaltspflichten vorzugsweise gegenüber dem Ehegatten und den minderjährigen unverheirateten Kindern bestehen. Diesem Personenkreis schuldet ein Arbeitnehmer daher bei noch so geringem Arbeitseinkommen Unterhalt (§ 1360, § 1603 Abs. 2 BGB). Nur bei volljährigen oder verheirateten Kindern oder sonstigen Verwandten setzt die Unterhaltspflicht erst ein, wenn die Unterhaltsleistung ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts möglich ist (§ 1603 Abs. 1 BGB).

Diese Auslegung steht in Einklang mit den im Lohnpfändungsrecht besonders wichtigen Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktikabilität (vgl. BAG 42, 54, 61 = AP Nr. 4 zu § 850 c ZPO). Der Arbeitgeber, dem von seinem Arbeitnehmer mitgeteilt wird, daß er verheiratet ist und eine bestimmte Zahl minderjähriger Kinder zu unterhalten hat, kann im Falle von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen bei der Berechnung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens von einer entsprechenden Zahl unterhaltsberechtigter Personen ausgehen, ohne irgendwelche Nachforschungen anstellen zu müssen. Nur wenn der Arbeitnehmer volljährige oder verheiratete Kinder oder sonstige Angehörige als unterhaltsberechtigte Personen berücksichtigt wissen will, muß der Arbeitgeber nachprüfen, ob entsprechende Unterhaltsansprüche bestehen, d. h. nach dem Arbeitseinkommen der betreffenden Personen fragen und prüfen, ob das Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers ausreicht, ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts die Unterhaltsleistungen zu erbringen. Für den Betrag des angemessenen Unterhalts gibt es zwar keine gesetzliche Tabelle, wohl aber hat die Praxis solche Tabellen entwickelt, an die sich die Gerichte im allgemeinen halten. Die Nachforschung nach solchen Tabellen muß der Arbeitgeber auf sich nehmen. Das ist ihm zumutbar. Jedenfalls kann nicht wegen der damit verbundenen Last des Arbeitgebers die Vorschrift des § 850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Berücksichtigung bleiben.

Der Zinsanspruch beruht auf § 291, § 288 Abs. 1 BGB.

Die Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO auch die Kosten der Rechtsmittelinstanzen zu tragen.

Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel

Polcyn Dr. Koffka

 

Fundstellen

Haufe-Index 439635

BAGE 53, 359-366 (LT1)

BAGE, 359

BB 1987, 550

BB 1987, 550-551 (LT)

DB 1987, 794-795 (LT)

NJW 1987, 1573

NJW 1987, 1573-1574 (LT)

ARST 1987, 108-108 (LT)

JR 1987, 220

RdA 1987, 64

AP § 850c ZPO (LT), Nr 8

AR-Blattei, ES 1130 Nr 62 (LT)

AR-Blattei, Lohnpfändung Entsch 62 (LT)

EzA § 850c ZPO, Nr 5 (LT)

MDR 1987, 524-525 (LT1)

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