Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Jahressonderzahlung – Mutterschutz

 

Leitsatz (amtlich)

Sieht ein Tarifvertrag eine Minderung des Anspruchs auf eine Jahressonderzahlung für Monate vor, in denen kein Anspruch auf „Gehalt” oder „Gehaltsfortzahlung” besteht, so rechtfertigt dies keine Minderung für Zeiten der Beschäftigungsverbote nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG, in denen ein Anspruch auf einen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MuSchG gegeben ist.

 

Normenkette

Rahmentarifvertrag für die kaufmännischen und technischen Angestellten im privaten Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1994 § 11; MuSchG § 14

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 09.01.1998; Aktenzeichen 10 Sa 1577/97)

ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 14.05.1997; Aktenzeichen 4 Ca 381/97)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 9. Januar 1998 – 10 Sa 1577/97 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 14. Mai 1997 – 4 Ca 381/97 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 301,35 DM brutto zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 1/7 und die Beklagte zu 6/7 zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine anteilige tarifliche Jahressonderzahlung.

Die Klägerin, im Jahre 1966 geboren, ist seit dem 1. August 1991 bei der Beklagten zu einem monatlichen Gesamtgehalt von zuletzt 3.900,00 DM brutto beschäftigt. Das monatliche Tarifgehalt betrug zuletzt 3.444,00 DM brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Vereinbarung der Rahmentarifvertrag für die kaufmännischen und technischen Angestellten im privaten Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1994 Anwendung (RTV).

Die Klägerin wurde am 30. Dezember 1995 von einem Kind entbunden. Es handelte sich um eine Frühgeburt. Danach befand sich die Klägerin in den Monaten Januar bis März 1996 in Mutterschutz und erhielt von der Beklagten einen Zuschuß zum Mutterschaftsgeld gem. § 14 MuSchG. Für diesen Zeitraum begehrt die Klägerin eine anteilige tarifliche Jahressonderzahlung.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 341,25 DM brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzahlung sei für den Zeitraum der Mutterschutzfristen nicht begründet, weil der Klägerin während dieser Zeit kein Anspruch auf Gehalt oder Gehaltsfortzahlung zugestanden habe. Gehaltsfortzahlung im tariflichen Sinne sei nur die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, nicht jedoch die Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist im wesentlichen begründet. Sie führt unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Stattgabe der Klage in Höhe von 301,35 DM brutto. Hinsichtlich des weiteren Betrags in Höhe von 39,90 DM brutto ist die Revision unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe keinen tariflichen Anspruch auf eine anteilige Jahressonderzahlung für die Zeit der Beschäftigungsverbote des MuSchG in den Monaten Januar bis März 1996, weil sie in dieser Zeit, nicht wie es tariflich gefordert werde, einen Anspruch auf Gehalt oder Gehaltsfortzahlung gehabt habe. Die Tarifbegriffe Gehalt oder Gehaltsfortzahlung umfaßten nicht den vom Arbeitgeber zu zahlenden Zuschuß zum Mutterschaftsgeld. Der Begriff Gehalt sei nicht erfüllt, weil der Zuschuß keine Gegenleistung für geleistete Arbeit sei. Unter Gehaltsfortzahlung sei tariflich ausschließlich die Gehaltsersatzleistung im Krankheitsfalle zu verstehen.

Dies ist rechtlich nicht zutreffend.

II. Die Klage ist teilweise begründet.

1. Die Klägerin hat für die Zeit der Beschäftigungsverbote nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG in den Monaten Januar bis März 1996, also innerhalb der Schutzfrist von 12 Wochen nach der Frühgeburt, einen anteiligen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 301,35 DM. Dies folgt aus § 11 RTV, der wie folgt lautet:

„I. Voraussetzungen, Höhe und Fälligkeit

  1. Die Angestellten erhalten eine Jahressonderzahlung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.
  2. Der Anspruch auf eine Jahressonderzahlung setzt voraus, daß der Angestellte am Auszahlungstag in einem unbefristeten ungekündigten Beschäftigungsverhältnis steht und dem Betrieb mindestens seit dem 1. Juni des betreffenden Kalenderjahres ununterbrochen angehört.
  3. Die Jahressonderzahlung beträgt ab 1994 für Angestellte mit mindestens… dreijähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit 35 % … eines tariflichen Monatsverdienstes.

    Stichtag für die Berechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit ist der 15. Dezember des laufenden Kalenderjahres.

  4. Tariflicher Monatsverdienst im Sinne der Ziffer 3 ist das Tarifgehalt, das dem Angestellten nach seiner Tätigkeit, seinem Lebensalter und/oder seiner Tätigkeit in der jeweiligen Gehaltsgruppe zusteht. Maßgebend ist die Höhe des Tarifgehalts gem. § 3 Abs. 1 des Gehaltstarifvertrages in der am Auszahlungstag gültigen Fassung.

  5. Der Anspruch auf die Jahressonderzahlung mindert sich um 1/12 für jeden Kalendermonat, in dem der Angestellte nicht für mindestens 14 Kalendertage Anspruch auf Gehalt oder Gehaltsfortzahlung hat. Bei längerer Arbeitsunfähigkeit des Angestellten infolge eines Betriebsunfalls gilt dies mit der Einschränkung, daß die Minderung der Jahressonderzahlung noch insoweit erfolgen darf, als die Arbeitsunfähigkeit die Dauer von sechs Monaten übersteigt.
  6. Die Jahressonderzahlung ist … spätestens am 15. Dezember auszuzahlen.”

Die Klägerin stand am Auszahlungstag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Sie gehörte dem Betrieb der Beklagten seit dem 1. August 1991 an und hat deshalb einen Anspruch in Höhe von 35% des tariflichen Monatsverdienstes (§ 11 Abs. I Ziff. 1 bis 3 RTV).

2. Dieser Anspruch ist nicht gemäß § 11 Abs. I Ziff. 8 Satz 1 RTV für die Kalendermonate Januar bis März 1996, der Zeit der Beschäftigungsverbote nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG, entfallen, weil die Klägerin in dieser Zeit Anspruch auf Gehaltsfortzahlung hatte. Dies ergibt die Auslegung dieser Tarifnorm.

a) Bereits vom Wortlaut her unterfallen dieser Regelung alle gesetzlichen, tariflichen oder arbeitsvertraglichen Gehaltsfortzahlungen, die ohne eine entsprechende Arbeitsleistung gewährt werden. Eine Einschränkung auf bestimmte Tatbestände sieht diese Regelung nicht vor. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ist vielmehr ersichtlich, daß darunter auch die in § 8 RTV geregelte Weiterzahlung des Gehaltes bei sonstigen Arbeitssäumnissen, der Urlaub (§ 10 RTV) und die Weiterzahlung des Gehalts in Krankheitsfällen (§ 7 RTV) fällt.

Bei dieser tariflichen Gesamtregelung kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts aus § 11 Abs. I Ziff. 8 Satz 2 RTV nicht geschlossen werden, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff der „Gehaltsfortzahlung” auf die Fälle der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle beschränken wollten. Diese Regelung stellt vielmehr eine Ausnahmeregelung für den Wegfall der Jahressonderzahlung bei längerer Arbeitsunfähigkeit infolge eines Betriebsunfalls dar, sofern die Arbeitsunfähigkeit eine Dauer von sechs Monaten übersteigt. Inhaltlich bedeutet dies nur, daß der Anspruch auf die Jahressonderzahlung bei Arbeitsunfähigkeit infolge eines Betriebsunfalls in den ersten sechs Monaten uneingeschränkt besteht.

b) Umfaßt der Tarifbegriff Gehaltsfortzahlung aber alle Tatbestände, in denen das Entgelt ohne Arbeitsleistung fortzuzahlen ist, so ist auch der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld als Gehaltsfortzahlung im tariflichen Sinne anzusehen. Bei dem Anspruch auf Zuschuß zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 MuSchG handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1986 – 5 AZR 550/85 – und Urteil vom 1. November 1995 – 5 AZR 273/94 – AP Nr. 4 und 13 zu § 14 MuSchG 1968 sowie Urteile vom 19. April 1995 – 10 AZR 49/94 –, vom 10. Mai 1995 – 10 AZR 648/94 – AP Nr. 173 und 174 zu § 611 BGB Gratifikation sowie Urteil vom 25. November 1998 – 10 AZR 595/97 – zur Veröffentlichung bestimmt) um einen gesetzlich begründeten arbeitsvertraglichen Anspruch auf teilweise Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers wird während der Zeiten der Beschäftigungsverbote nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG trotz fehlender Arbeitsleistung nicht in vollem Umfange aufgehoben, sondern besteht nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 MuSchG fort. Der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld dient dem Entgeltschutz der Mutter während der Schutzfrist (BVerfGE 37, 121 = AP Nr. 1 zu § 14 MuSchG 1968) und hat damit Lohnersatzcharakter. Es handelt sich deshalb um einen Fall der „Gehaltsfortzahlung” im tariflichen Sinne.

c) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Sechsten Senates vom 14. Dezember 1995 (– 6 AZR 297/95 – AP Nr. 1 zu § 11 TV Arb Bundespost). Bei einer vergleichbaren Fallgestaltung wurde eine entsprechende Kürzungsregelung im TV Arb Bundespost als mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 119 EWG-Vertrag vereinbar erklärt. Tariflich war eine Kürzung dort allerdings nur vorgesehen, wenn kein Anspruch auf Bezüge (Vergütung bzw. Lohn, Urlaubsvergütung bzw. Urlaubslohn oder Krankenbezüge) bestand. Aus dieser enumerativen Aufzählung, die auf tariflich definierte Entgeltbestandteile Bezug nahm, folgerte der Sechste Senat, daß der Zuschuß zum Mutterschaftsgeld diesen Leistungen nicht gleichgestellt werden kann. Diese Folgerung ist vorliegend jedoch nicht geboten, da der allgemeine Tarifbegriff „Gehaltsfortzahlung”, wie ausgeführt, auch den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld umfaßt.

III. Im übrigen war die Revision in Höhe von 39,90 DM brutto zurückzuweisen. Für die Höhe der Jahressonderzahlung ist nur die Höhe des Tarifgehaltes am Auszahlungstag, dies war der 15. Dezember 1996, maßgebend (vgl. § 11 Abs. I Ziff. 4 und 9 RTV). Das Tarifgehalt betrug nach der Gehaltstabelle, gültig ab 1. Oktober 1996, Gruppe III ab vollendetem 20. Lebensjahr im siebten und achten Beschäftigungsjahr in dieser Gruppe unstreitig 3.444,00 DM. Damit ergibt sich gemäß § 11 Abs. I Ziff. 3 RTV eine Jahressonderzahlung in Höhe von 35% des tariflichen Gehaltes von 3444,00 DM = 301,35 DM. Das von der Klägerin bezogene Gehalt in Höhe von 3.900,00 DM beinhaltet eine außertarifliche Zulage, die bei der Jahressonderzahlung nicht zu berücksichtigen ist.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Dr. Jobs, Böck, Staedtler, Tirre

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 24.02.1999 durch Susdorf, Reg.-Hauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436297

BB 1999, 1763

DB 1999, 1327

NWB 1999, 2429

EBE/BAG 1999, 92

ARST 2000, 44

FA 1999, 204

NZA 1999, 772

SAE 2000, 79

AP, 0

AuA 1999, 525

AuA 2000, 89

Streit 2001, 40

RdW 1999, 537

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