Entscheidungsstichwort (Thema)

Übertragung tariflichen Mehrurlaubs. Gleichlauf

 

Leitsatz (redaktionell)

Trifft ein Tarifvertrag entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub Unterscheidungen, ist ein Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub nicht gewollt.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 02.02.2016; Aktenzeichen 6 Sa 937/15)

ArbG Kempten (Urteil vom 24.09.2015; Aktenzeichen 5 Ca 749/15)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 2. Februar 2016 – 6 Sa 937/15 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Ersatzurlaubsanspruch des Klägers.

Der Kläger ist seit dem 3. November 1975 bei der Beklagten als Betriebsschlosser beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 1975 vereinbarten die Parteien die Anwendung des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der jeweils gültigen Fassung (MTV). § 15 MTV lautet auszugsweise wie folgt:

㤠15

Urlaub, Urlaubsgeld

I.

Allgemeine Urlaubsbestimmungen

1.

Der Arbeitnehmer hat in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Urlaub. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

7.

Der Urlaub muss im laufenden Urlaubsjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Urlaubsjahr ist nur ausnahmsweise statthaft. Urlaubsansprüche erlöschen, wenn sie nicht bis zum 31. März des folgenden Jahres geltend gemacht sind.

II.

Urlaubsdauer

1.

Der tarifliche Jahresurlaub aller Arbeitnehmer einschließlich der Jugendlichen beträgt 30 Urlaubstage.

…”

Im Jahr 2014 gewährte die Beklagte dem Kläger insgesamt 19 Urlaubstage. Der Kläger war ab dem 13. Oktober 2014 durchgehend bis einschließlich 7. April 2015 arbeitsunfähig krank. Mit seiner am 17. April 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 22. April 2015 zugestellten Klage hat er zuletzt geltend gemacht, dass ihm noch elf Urlaubstage aus dem Jahr 2014 zustehen. Mit Teilvergleich vom 24. September 2015 vereinbarten die Parteien vor dem Arbeitsgericht, dass dem Kläger noch ein Tag gesetzlichen Urlaubs aus dem Jahr 2014 zusteht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der noch offene tarifliche Mehrurlaubsanspruch von zehn Tagen aus dem Jahr 2014 sei nicht mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen. Der MTV enthalte bezüglich des Fristenregimes keine von den gesetzlichen Regelungen des BUrlG abweichenden Bestimmungen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

festzustellen, dass ihm aus dem Jahr 2014 noch ein Resturlaubsanspruch von zehn Arbeitstagen zusteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der MTV enthalte ein eigenes, vom BUrlG abweichendes Fristenregime. Die tariflichen Mehrurlaubstage des Klägers seien daher mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

A. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass ihm aus dem Jahr 2014 weitere zehn Urlaubstage zustehen.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, durch das Gericht feststellen zu lassen, dass ihm gegen die Beklagte ein aus dem Jahr 2014 resultierender Ersatzurlaubsanspruch zusteht (§ 256 Abs. 1 ZPO). Die Feststellungsklage ist nicht wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig (grdl. BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 11 bis 15, BAGE 137, 328).

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatzurlaub von zehn Tagen gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Der noch im Streit stehende tarifliche Mehrurlaub aus dem Jahr 2014 war verfallen, bevor Verzug hätte eintreten können.

1. Zu Beginn seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit am 13. Oktober 2014 standen dem Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gegenüber der Beklagten noch elf Urlaubstage zu. Nach dem gerichtlichen Teilvergleich vom 24. September 2015 wurde ein Tag gesetzlichen Urlaubs bis längstens 31. März 2016 übertragen. Die Parteien streiten damit nur noch darüber, ob dem Kläger weitere zehn Tage tariflicher Mehrurlaub aus dem Jahr 2014 zustehen.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der tarifliche Mehrurlaub gemäß § 15 Abschn. I Ziff. 7 des kraft einzelvertraglicher Bezugnahme anwendbaren MTV mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen.

a) Der aus dem Jahr 2014 stammende Urlaub hätte – soweit es den gesetzlichen Mindesturlaub betrifft – unbeschadet des Umstands, dass der gesetzliche Übertragungszeitraum grundsätzlich am 31. März 2015 endete (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), fortbestanden. Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie, ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) ist § 7 Abs. 3 BUrlG unionsrechtskonform dahin gehend auszulegen, dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krank und deshalb arbeitsunfähig ist (grdl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 23 ff., BAGE 142, 371). Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 13. Oktober 2014 bis zum 7. April 2015 und somit über den 31. März 2015 andauerte, wäre der gesetzliche Mindesturlaub aus dem Jahr 2014 nicht mit Ablauf des 31. März 2015 untergegangen.

b) Diese Grundsätze gelten nicht für den hier streitgegenständlichen tariflichen Mehrurlaub. Die Tarifvertragsparteien haben ein vom BUrlG abweichendes, eigenständiges Fristenregime vereinbart.

Dem Untergang des Resturlaubs aus dem Jahr 2014 am 31. März 2015 steht deshalb die bis zum 7. April 2015 andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht entgegen.

aa) Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. EuGH 3. Mai 2012 – C-337/10 – [Neidel] Rn. 34 ff. mwN; BAG 12. April 2011 – 9 AZR 80/10 – Rn. 21, BAGE 137, 328).

Diese Befugnis schließt die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs ein (BAG 7. August 2012 – 9 AZR 760/10 – Rn. 18, BAGE 143, 1).

bb) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des gesetzlichen Mindesturlaubs abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Ein Gleichlauf ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben (BAG 15. Dezember 2015 – 9 AZR 747/14 – Rn. 14; 22. Mai 2012 – 9 AZR 575/10 – Rn. 12; zum Verzicht auf Übertragungsgründe vgl. BAG 14. Februar 2017 – 9 AZR 386/16 – Rn. 15).

cc) Die Tarifvertragsparteien des MTV haben den tariflichen Mehrurlaub einem eigenständigen, vom BUrlG abweichenden Fristenregime unterstellt.

Nach dem Wortlaut von § 15 Abschn. I Ziff. 7 MTV muss der Urlaub im laufenden Urlaubsjahr gewährt und genommen werden (Satz 1) und erlischt, wenn er nicht bis zum 31. März des folgenden Jahres geltend gemacht worden ist (Satz 3). Daraus wird der Wille der Tarifvertragsparteien deutlich, der Arbeitnehmer könne seinen Urlaub ohne besondere Gründe vom 1. Januar eines Kalenderjahres bis zum 31. März des Folgejahres geltend machen. Nach § 15 Abschn. I Ziff. 7 Satz 2 MTV ist eine Übertragung „auf” das Folgejahr zwar nur ausnahmsweise statthaft. Der MTV enthält aber keine Kriterien, wann ein solcher Ausnahmefall vorliegen soll. Es handelt sich daher lediglich um eine rechtsfolgenlose Aufforderung an die Tarifunterworfenen, den Urlaub im Regelfall im Bezugszeitraum zu nehmen und zu gewähren. Damit weicht der MTV vom Fristenregime des § 7 Abs. 3 Satz 1 bis Satz 3 BUrlG ab. Danach geht der nicht genommene Urlaub grundsätzlich am 31. Dezember des Kalenderjahres unter und wird nur bei Vorliegen der gesetzlichen Übertragungsgründe bis zum 31. März des Folgejahres übertragen. Die tarifliche Regelung unterscheidet sich vom BUrlG insoweit, als der Urlaubsanspruch auch ohne das Vorliegen von Übertragungsvoraussetzungen zumindest bis zum 31. März des Folgejahres besteht und bis zu diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden kann (vgl. zu einer ähnlich lautenden Tarifvorschrift BAG 17. November 2015 – 9 AZR 275/14 – Rn. 28).

c) Der Kläger machte den streitgegenständlichen Resturlaubsanspruch aus dem Jahr 2014 erst im April 2015 geltend. Zu diesem Zeitpunkt war der Urlaub gemäß § 15 Abschn. I Ziff. 7 Satz 3 MTV bereits verfallen. Ein Ersatzurlaubsanspruch aus Verzug konnte nicht entstehen.

B. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Brühler, Zimmermann, Krasshöfer, Frank, Neumann-Redlin

 

Fundstellen

Haufe-Index 10556747

DStR 2017, 12

ZTR 2017, 366

ArbR 2017, 221

SPA 2017, 75

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