Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Doppelzuständigkeit von DGB-Gewerkschaften

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft bestimmt sich grundsätzlich nach ihrer Satzung. Überschneiden sich jedoch die Organisationsbereiche zweier DGB-Gewerkschaften, ist eine Doppelzuständigkeit nach der von den Gewerkschaften durch ihre Mitgliedschaft anerkannten Satzung des DGB im Zweifel auszuschließen. Insoweit gilt der übergeordnete Grundsatz der DGB-Satzung: Ein Betrieb, eine Gewerkschaft.

2. Solange das zur verbindlichen Klärung einer solchen Zuständigkeitsüberschneidung vorgesehene Schiedsverfahren nach § 16 DGB-Satzung nicht durchgeführt ist, bleibt es zunächst bei der Alleinzuständigkeit derjenigen Gewerkschaft, die vor Entstehen der Konkurrenzsituation als zuständig angesehen worden war, so daß sich alle Beteiligten (Verbände, Arbeitgeber und Arbeitnehmer) darauf einstellen konnten.

 

Orientierungssatz

Auslegung der Satzungen der IG Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst und der IG Chemie-Papier-Keramik.

 

Normenkette

TVG § 2; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Beschluss vom 01.03.1996; Aktenzeichen 9 TaBV 78/95)

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 26.07.1995; Aktenzeichen 5 BV 8/95)

 

Gründe

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die IG Medien, Druck und Papier, Publizistik und Kunst (Beteiligte zu 1) oder die IG Chemie-Papier-Keramik (Beteiligte zu 3) für einen Betrieb der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) in Neuss tarifzuständig ist.

Die Arbeitgeberin unterhält insgesamt vier Betriebe, und zwar in H mit 820, in O mit 110, in Ob mit 510 und in Neuss mit 180 Arbeitnehmern. In den Betrieben H und Ob werden Papiererzeugnisse produziert, in Neuss und O werden Papiererzeugnisse verarbeitet. Die Arbeitgeberin stellt in Neuss u.a. Steigen für Gemüse und Obst, Joghurtbecher, Verpackungen für Puddingpulver, Waschpulver, Seife und Kleber her. Die dazu benötigten Kartonbögen stammen zu 90 % aus den papiererzeugenden Betrieben der Arbeitgeberin. Die Bögen werden gedruckt, gestanzt und geklebt. Ca. 40 Beschäftigte in Neuss gehören der IG Medien an, ca. 15 bis 20 sind Mitglieder der IG Chemie.

Die Arbeitgeberin war bis zum 31. Dezember 1994 hinsichtlich ihres Neusser Betriebes Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und wandte die von diesem mit der IG Medien abgeschlossenen Tarifverträge an. Aus diesem Verband ist die Arbeitgeberin ausgetreten und seit dem 1. Januar 1995 Mitglied des Arbeitgeberverbandes der rheinisch-westfälischen papiererzeugenden Industrie e.V. (Beteiligter zu 4). Dieser Verband wiederum ist Mitglied der Vereinigung der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie e.V. (Beteiligter zu 5). Die Arbeitgeberin wendet seither in Neuss wie auch sonst unternehmensweit die von diesen Verbänden mit der IG Chemie abgeschlossenen Tarifverträge an.

Die IG Medien machte unter dem 13. Februar 1995 gegenüber der Arbeitgeberin geltend, ihre Zuständigkeit für den Betrieb in Neuss bestehe fort. Sie verlangte den Abschluß eines Firmentarifvertrages und wies darauf hin, daß sie die tarifliche Friedenspflicht nicht anerkennen könne, solange ein solcher Vertrag nicht bestehe. Am 10. April 1995 kam es zu einem Gespräch, bei dem eine Einigung aber nicht erzielt wurde. Die Arbeitgeberin bestritt die Tarifzuständigkeit der IG Medien.

Die Satzung der IG Medien regelt in der ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung den Organisationsbereich wie folgt:

3. Beruflicher Organisationsbereich

1 Der Organisationsbereich der IG Medien umfaßt

alle Beschäftigten gemäß Ziffer 3.2 in den Wirt-

schaftszweigen Druck, Verlage, Nachrichtenagentu-

ren, Werbeagenturen, Papierverarbeitung, Hörfunk,

Fernsehen, rundfunkähnliche Dienste, Landesmedi-

enanstalten, Film und sonstige audiovisuelle Me-

dien, Publizistik, Literatur, bildende und dar-

stellende Kunst, Musik und Unterhaltung (siehe

Anhang).

...

Im Anhang zu Nr. 3.1 der Satzung heißt es:

...

Die Fachgruppe Papier- und Kunststoffverarbeitung

umfaßt alle Beschäftigten in und für Unternehmun-

gen folgender Industrie- und Gewerbezweige:

1. Buchbindereien;

2. Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende

Betriebe sowie Abteilungen der Papiererzeugung;

3. Betriebe der Papierveredelung;

4. Tapetenindustrie;

5. Wohnraumleuchten-, Lampenschirm- und Zubehör--

Industrie;

6. Fotoateliers und fotoverarbeitende Betriebe;

7. Nebenbetriebe dieser Bereiche, insbesondere

Auslieferungs-, Zustell- und andere Servicebe-

triebe.

...

Gemäß § 1 der Satzung der IG Chemie erstreckt sich deren Organisationsbereich u.a. auf "die Beschäftigten und Auszubildenden in Betrieben, Unternehmen und Konzernen folgender Industriebereiche ... ":

...

II. Papierindustrie

Erzeugung, Verarbeitung und Veredelung von:

...

5. Karton und Pappe

z.B.:

Karton (gestrichen und ungestrichen): Faltschach-

tel-Karton, Maschinen-Karton, Maschinenpappe

(Strohpappe, Steinpappe und ähnliches), Wickel-

und Handpappe, Wellpappe, Wellen- und Deckenstof-

fe, Wellpappekartonagen

Technische Spezialpappen:

Rohpappe, Feinpappe,

Faserstoffplatten

...

Beide Gewerkschaften sind Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund. In der Satzung der IG Chemie heißt es dazu:

§ 59

Die IG Chemie-Papier-Keramik ist Mitglied des

Deutschen Gewerkschaftsbundes und hat dessen Sat-

zung einzuhalten und die Beschlüsse durchzufüh-

ren. Der Austritt aus dem DGB kann nur erfolgen,

wenn er mit den Stimmen von Zweidritteln der nach

§ 49 Ziffer 4 ermittelten Delegierten auf einem

Gewerkschaftstag beschlossen wird. Bei Beratung

des Gewerkschaftstages über den Austritt sind

Vertreter des Bundesvorstandes des DGB zur Bera-

tung hinzuzuziehen.

Die Satzung der IG Medien enthält folgende Regelung:

34. Mitgliedschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund

Die IG Medien ist Mitglied des Deutschen Gewerk-

schaftsbundes. Der Austritt kann nur mit Zustim-

mung von mindestens drei Vierteln der Delegierten

eines Gewerkschaftstages erfolgen. Zu den Mit-

glieder- bzw. Delegiertenversammlungen des Orts-

vereins, zum Bezirkstag, Landesbezirkstag und Ge-

werkschaftstag sind Vertreter des Deutschen Ge-

werkschaftsbundes teilnahmeberechtigt. Sie nehmen

mit beratender Stimme teil.

Die IG Medien hat geltend gemacht, sie sei nach wie vor für den Betrieb Neuss tarifzuständig. Dessen ausschließlicher Betriebszweck sei Papierverarbeitung im Sinne ihrer Satzung. Ihre Tarifzuständigkeit erstrecke sich auf Betriebe branchenfremder Unternehmen und gelte auch für den Abschluß eines Firmentarifvertrages.

Die IG Medien hat beantragt

festzustellen, daß die IG Medien, Druck und Pa-

pier, Publizistik und Kunst die zuständige Tarif-

vertragspartei für die Beteiligte zu 2) (Arbeit-

geberin) ist.

Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß nicht die IG Medien für das

Werk Neuss der Arbeitgeberin tarifzuständig ist,

sondern die IG Chemie-Papier-Keramik.

Sie hat die Auffassung vertreten, die alleinige Tarifzuständigkeit der IG Chemie ergebe sich schon daraus, daß Schwerpunkt ihres Unternehmens die Papiererzeugung sei. Dieser Wirtschaftsbereich werde allein von der Satzung der IG Chemie, nicht aber von derjenigen der IG Medien erfaßt. Bei dem Werk Neuss handele es sich auch gar nicht um einen Betrieb, sondern um einen unselbständigen Betriebsteil in einer zusammenhängenden Fertigungskette, die insgesamt der Papiererzeugung diene. Neuss verfüge nur über den allernotwendigsten Verwaltungsapparat, der im wesentlichen der Zentrale H zugeordnet sei.

Unabhängig davon sei die IG Chemie satzungsgemäß auch für Papierverarbeitung zuständig. Aus der irrigen Anwendung von Tarifverträgen, die mit der IG Medien abgeschlossen wurden, könne eine satzungsmäßig unbegründete Tarifzuständigkeit nicht abgeleitet werden. Es entspreche auch dem Willen der Arbeitnehmer in Neuss, einen Wechsel zur IG Chemie vorzunehmen, damit in allen Tariffragen einheitliches Recht gelte.

Die IG Chemie hat sich zweitinstanzlich dem Antrag der Arbeitgeberin angeschlossen und beantragt

festzustellen, daß die IG Chemie zuständige Ta-

rifvertragspartei für das Werk Neuss der Arbeit-

geberin ist.

Die IG Medien hat die Zurückweisung der Anträge der Arbeitgeberin und der IG Chemie beantragt, diese umgekehrt die Zurückweisung des Antrags der IG Medien.

Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag der IG Medien stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Antrag auf die Beschwerde der Arbeitgeberin und der IG Chemie abgewiesen. Es hat aber ebenso auch die Anträge der IG Chemie und der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt, die Beteiligten hätten in der mündlichen Anhörung vor der Beschwerdekammer klargestellt, daß es ihnen um die Feststellung gehe, ob alternativ die IG Medien oder die IG Chemie für den Neusser Betrieb ausschließlich tarifzuständig sei. Eine solche Alleinzuständigkeit könne aber nicht festgestellt werden, da sowohl die IG Chemie als auch die IG Medien nach ihren Satzungen für den Betrieb in Neuss Tarifzuständigkeit beanspruchten.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihre Anträge weiter, die Zuständigkeit der IG Chemie und die Unzuständigkeit der IG Medien festzustellen.

B. Beteiligt auf der Seite der IG Medien ist nicht der Landesbezirk Nordrhein-Westfalen als Unterorganisation, sondern die IG Medien als Gesamtorganisation, vertreten durch den Hauptvorstand, dieser vertreten durch den Landesbezirksvorstand. Dies hat die IG Medien durch ihren Verfahrensbevollmächtigten in der mündlichen Anhörung vor dem Senat unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht des Hauptvorstandes klargestellt. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - der Landesbezirk überhaupt beteiligtenfähig ist. Gegen diese Annahme bestehen Bedenken, weil die Regelung in Nr. 29 der Satzung der IG Medien nicht für eine eigenständige, sondern nur für eine abgeleitete Tariffähigkeit des Landesbezirks spricht (vgl. im übrigen auch Senatsbeschluß vom 12. Dezember 1995 - 1 ABR 27/95 -, NZA 1996, 1042).

Der Senat hat darüber hinaus in der Rechtsbeschwerdeinstanz die Beteiligung derjenigen Arbeitgeberverbände nachgeholt, deren Mitglied die Arbeitgeberin am 1. Januar 1995 geworden ist. Diese Beteiligung war geboten, weil die Verbände materiell betroffen sind. Eine Verneinung der Tarifzuständigkeit der IG Chemie hat unmittelbare Auswirkung auf die Frage, ob die von ihnen mit der IG Chemie abgeschlossenen Tarifverträge den Betrieb Neuss der Arbeitgeberin erfassen.

C. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Sie greift die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insgesamt an. In diesem Umfang ist die Arbeitgeberin durch die Entscheidung auch beschwert.

Die IG Medien und die IG Chemie hatten jeweils die Feststellung der eigenen Zuständigkeit beantragt, die Arbeitgeberin Feststellung der Zuständigkeit der IG Chemie und Feststellung der Unzuständigkeit der IG Medien. Das Landesarbeitsgericht hat zwar alle Anträge abgewiesen. Damit wollte es jedoch nicht negativ festgestellt wissen, daß keine der Gewerkschaften zuständig ist.

Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge dahin ausgelegt, daß die Beteiligten jeweils alternativ die "Alleinzuständigkeit" der einen bzw. der anderen Gewerkschaft festgestellt wissen wollten. Die Behauptung der Alleinzuständigkeit enthält ein leugnendes Element, nämlich die Verneinung einer Doppelzuständigkeit. Diese Feststellung ist das vorrangige Anliegen der die Rechtsbeschwerde führenden Arbeitgeberin. Ihr geht es darum, die Gefahr einer Inanspruchnahme durch zwei Gewerkschaften auszuschließen. Daneben tritt als positives Element die Frage, welche Gewerkschaft - bei Verneinung der Doppelzuständigkeit - letztlich tarifzuständig ist. Mit der Abweisung der Anträge hat das Landesarbeitsgericht bereits das vorrangige Begehren auf Feststellung der Alleinzuständigkeit (im Sinne der Verneinung einer Doppelzuständigkeit) zurückgewiesen.

Der für die Festlegung der inneren Rechtskraft einer Entscheidung maßgebliche Entscheidungsumfang bestimmt sich grundsätzlich nach der Entscheidungsformel unter Berücksichtigung der tragenden Entscheidungsgründe (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 54. Aufl., § 322 Rz 9, m.w.N.). Bei Abweisung einer behauptenden Feststellungsklage steht das Nichtbestehen der Behauptung fest; bei Abweisung einer leugnenden Feststellungsklage entscheiden die Gründe über den Umfang des Bestehens der (geleugneten) Rechtsfolge (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 322 Rz 38 ff., m.w.N.). Aus den tragenden Entscheidungsgründen ergibt sich, daß das Landesarbeitsgericht beide Gewerkschaften für zuständig hält. Würde diese Entscheidung nicht angegriffen, wäre rechtskräftig von einer Doppelzuständigkeit auszugehen. So haben auch die Beteiligten die Entscheidung verstanden. Bei diesem Verständnis ist die Arbeitgeberin dann aber durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insgesamt beschwert und nicht nur, soweit die eigenen Anträge abgewiesen worden sind.

D. Die Rechtsbeschwerde ist aber nur teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht ist zwar zu Unrecht von einer Doppelzuständigkeit der Gewerkschaften ausgegangen. Allein tarifzuständig ist jedoch entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde nicht die IG Chemie, sondern die IG Medien. Die weitergehende Rechtsbeschwerde war daher zurückzuweisen.

1. Das Landesarbeitsgericht ist an sich zutreffend davon ausgegangen, daß beide Gewerkschaften tarifzuständig wären, wenn es allein auf die in ihren Satzungen geregelten Organisationsbereiche ankäme.

a) Die Tarifzuständigkeit eines Verbandes bestimmt den Geschäftsbereich, innerhalb dessen der Verband Tarifverträge abschließen kann. Er richtet sich grundsätzlich nach dem in der Satzung des Verbandes festgelegten Organisationsbereich. Da kein Koalitionstypenzwang besteht, steht dessen Ausgestaltung dem jeweiligen Verband frei. Jede Gewerkschaft kann also für sich entscheiden, für welche Arbeitnehmer in welchen Wirtschaftsbereichen sie tätig werden will (ständige Senatsrechtsprechung, zuletzt Senatsbeschluß vom 25. September 1996 - 1 ABR 4/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Der Betrieb Neuss der Arbeitgeberin fällt unter den satzungsgemäßen Organisationsbereich der IG Chemie. Dieser erfaßt Beschäftigte in Betrieben, Unternehmen und Konzernen u.a. der "Papierindustrie". Darunter zählt die Satzung u.a. die Erzeugung, Verarbeitung und Veredlung von Karton und Pappe. Im Betrieb Neuss werden Verpackungen aus Kartonbögen gefertigt. Es wird gedruckt, gestanzt, geklebt, also verarbeitet.

Bei dem Werk Neuss handelt es sich um einen Betrieb i.S.d. Satzung der IG Chemie. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein Betrieb liege in der Regel vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen oder immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Dieser Ausgangspunkt ist nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß diese Voraussetzungen auf das Werk Neuss zutreffen. Darin liegt die Tatsachenfeststellung, daß die genannten Kriterien erfüllt sind. An diese Feststellung ist der Senat gebunden. Für sie spricht im übrigen schon das Vorliegen eines eigenen Betriebsrats. Daß der Neusser Betrieb Teil einer Fertigungskette von der Papiererzeugung bis zum fertigen Papierprodukt ist, hat insoweit keine Bedeutung.

Der streitbefangene Betrieb wird zugleich auch als Betrieb eines Unternehmens der Papiererzeugung erfaßt. Die IG Chemie hat ihren Organisationsbereich nicht nur betriebsbezogen, sondern auch unternehmensbezogen ausgestaltet. Das Unternehmen der Arbeitgeberin ist schwerpunktmäßig ein solches der Papiererzeugung. Die Ausrichtung des Organisationsbereichs auf die Unternehmensebene führt zur Einbeziehung auch branchenfremder Betriebe des Unternehmens. Es kommt hier hinzu, daß das Werk Neuss zwar branchenfremd im Hinblick auf die Papiererzeugung ist, als papierverarbeitender Betrieb aber einer gleichfalls von der IG Chemie organisierten Branche angehört.

c) Der Betrieb Neuss unterfällt aber auch dem satzungsmäßigen Organisationsbereich der IG Medien. Diese organisiert nach Nr. 3.1 ihrer Satzung u.a. die Beschäftigten in dem Wirtschaftszweig Papierverarbeitung. Die nähere Ausgestaltung ergibt sich aus dem Anhang zu Nr. 3.1. Dieser ist kraft ausdrücklicher Verweisung in Nr. 3.1 als Bestandteil der Satzung anzusehen.

Gemäß der Regelung im Anhang umfaßt die Fachgruppe Papier- und Kunststoffverarbeitung "alle Beschäftigten in und für Unternehmungen folgender Industrie- und Gewerbezweige: ... Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitende Betriebe sowie Abteilungen der Papiererzeugung".

Der Organisationsbereich der IG Medien ist betriebsbezogen gestaltet. Er erfaßt damit einschlägige Betriebe auch eines branchenfremden Unternehmens. Dafür spricht schon der allgemein von den DGB-Gewerkschaften verfolgte Grundsatz des Industrieverbandsprinzips und der Grundsatz "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft", der auf die Organisationsebene Betrieb verweist. Der Wortlaut der Satzung ist zwar nicht ganz eindeutig insoweit, als im einleitenden Satz von den Beschäftigten in "Unternehmungen" die Rede ist. In der Konkretisierung dieser Unternehmungen wird dann aber ausdrücklich auf "Betriebe" abgestellt. Hieran ist als speziellere Definition anzuknüpfen.

Die Tarifzuständigkeit der IG Medien erfaßt auch den Abschluß von Firmentarifverträgen, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat. Diese Zuständigkeit setzt nicht voraus, daß die Gewerkschaft für das gesamte Unternehmen nach dessen Schwerpunkt - hier also dem der Papiererzeugung - zuständig sein muß. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 25. September 1996 klargestellt (1 ABR 4/96, zu B III 4 der Gründe).

2. Das Landesarbeitsgericht hat also zutreffend gesehen, daß der Betrieb Neuss vom Organisationsbereich sowohl der IG Medien als auch dem der IG Chemie erfaßt ist. Nicht zu folgen ist ihm jedoch in der weiteren Annahme, damit seien beide Gewerkschaften tarifzuständig. Eine Doppelzuständigkeit zweier DGB-Gewerkschaften ist nach der von beiden Gewerkschaften durch ihre Mitgliedschaft anerkannten Satzung des DGB im Zweifel auszuschließen.

a) Durch ihren Beitritt zum DGB haben sich beide Gewerkschaften in ihrer eigenen Satzungsautonomie insoweit beschränkt, als sie die aus der Satzung des DGB folgenden Grundsätze zu beachten haben. Dazu gehört der Grundsatz, daß es zwischen DGB-Gewerkschaften keine Zuständigkeitsüberschneidungen geben soll. Für jeden Betrieb soll stets nur eine bestimmte DGB-Gewerkschaft zuständig sein. Das Postulat "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft" liegt dem Gedanken des Zusammenschlusses im Deutschen Gewerkschaftsbund als ungeschriebene Leitlinie zugrunde und hat in der Satzung selbst auch unmittelbar Ausdruck gefunden.

Leitidee des Zusammenschlusses im Deutschen Gewerkschaftsbund ist die Vereinigung der Mitgliedsgewerkschaften zu einer wirkungsvollen Einheit und Vertretung der gemeinsamen Ziele (§ 2 Nr. 1 a der Satzung). Gemäß § 2 Nr. 2 c der Satzung sind die im Bund vereinigten Gewerkschaften Teile der einheitlichen Gewerkschaftsbewegung; der Organisationsaufbau, die Aufgaben und Ziele der Gewerkschaften sind in ihren Satzungen niedergelegt; diese dürfen der Bundessatzung nicht widersprechen. Zu den Organisationsaufgaben des Bundes gehört gem. § 2 Nr. 4 h der Satzung die Abgrenzung und Änderung der Organisationsgebiete der Gewerkschaft.

Gemäß § 3 Nr. 2 der Satzung des DGB kann eine Gewerkschaft in den Bund nur aufgenommen werden, wenn Übereinstimmung mit den Gewerkschaften besteht, die für ihren Organisationsbereich bereits Mitglied des Bundes sind. Nach § 15 Abs. 2 DGB-Satzung können die in den Satzungen der Mitgliedsgewerkschaften angegebenen Organisationsbereiche und Organisationsbezeichnungen nur in Übereinstimmung mit den betroffenen Gewerkschaften und nach Zustimmung des Bundesausschusses des DGB geändert werden.

b) Diese Satzungsbestimmungen belegen das Ziel, Zuständigkeitsüberschneidungen zu verhindern. Der Durchsetzung dieser verbindlichen Vorgabe dient das Schiedsverfahren gem. § 16 DGB-Satzung. Streitigkeiten zwischen den im Bund vereinigten Gewerkschaften, die trotz Vermittlung des Bundesvorstandes nicht geschlichtet werden können, sind durch Schiedsverfahren zu entscheiden. Der Spruch dieser Schiedsstelle hat verbindliche Wirkung zwischen den DGB-Gewerkschaften und klärt damit auch die Tarifzuständigkeit für den tariflichen Gegenspieler (ständige Senatsrechtsprechung, zuletzt Beschluß vom 25. September 1996 - 1 ABR 4/96 -, zu B III 3 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die so verstandene Entscheidung der Schiedsstelle führt - bezogen auf die jeweils streitbefangenen Betriebe - zu einer Einschränkung des satzungsmäßig festgelegten Organisationsbereichs der im Schiedsverfahren unterlegenen Gewerkschaft. Hierin liegt kein Eingriff in die Satzungsautonomie der Mitgliedsgewerkschaft. Die Entscheidung findet vielmehr ihre satzungsmäßige Grundlage in einer durch den Beitritt zum DGB und die Anerkennung der DGB-Satzung liegenden Selbstbeschränkung. Gegen diese bestehen weder aus dem Gesichtspunkt der Vereinsautonomie noch aus dem der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) durchgreifende Bedenken. Für sie besteht ein legitimes Interesse (vgl. im einzelnen Senatsbeschluß vom 25. September 1996, aaO).

3. Die im vorliegenden Streit beteiligten Gewerkschaften haben allerdings satzungswidrig das vorgesehene Schiedsverfahren nicht eingeleitet. Sie haben sogar in der Beschwerdeinstanz bei ihrer mündlichen Anhörung deutlich gemacht, daß sie auf ein derartiges Verfahren "keinen Wert legen". Diese Unterlassung führt jedoch nicht dazu, daß es entgegen der Satzung des DGB und trotz des Widerspruchs der anderen Tarifvertragspartei bei einer Doppelzuständigkeit bleiben könnte.

a) Die Anrufung der Schiedsstelle ist allerdings keine Prozeßvoraussetzung des vorliegenden Verfahrens, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat. Die Schiedsstelle ist kein Schiedsgericht im Sinne von §§ 1025 ff. ZPO (vgl. Senatsbeschluß vom 25. September 1996, aaO, zu B III 3 b der Gründe). Auch eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Durchführung eines Schiedsverfahrens in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO scheidet aus. Die Entscheidung der Schiedsstelle ist vorgreiflichen Entscheidungen nicht vergleichbar, abgesehen davon, daß ein Verfahren der Schiedsstelle gar nicht anhängig ist. Es besteht auch keine sonstige prozessuale Möglichkeit, den beteiligten Gewerkschaften die Einleitung eines Schiedsverfahrens gerichtlich aufzugeben. Da die Arbeitgeberin das Schiedsverfahren nicht selbst einleiten kann, hat sie ein schutzwürdiges Interesse daran, daß die Tarifzuständigkeit im vorliegenden Verfahren geklärt wird (vgl. zum Ganzen auch Blank, Die Tarifzuständigkeit der DGB-Gewerkschaften, 1996, S. 147, 148).

b) Die sachgerechte Auslegung der Satzung des DGB ergibt jedoch nach ihrem erkennbaren Sinn und systematischen Zusammenhang, daß es bei Streitigkeiten zwischen zwei (oder mehreren) nach ihrer eigenen Satzung jeweils zuständigen DGB-Gewerkschaften bis zu einer endgültigen Konfliktlösung bei der alleinigen Tarifzuständigkeit derjenigen Gewerkschaft bleiben muß, die vor Entstehen der Konkurrenzsituation als zuständig angesehen worden war, so daß sich alle Beteiligten (Verbände, Arbeitgeber und Arbeitnehmer) darauf einstellen konnten.

Überschneidungen der Organisationsbereiche sollen möglichst von vornherein ausgeschlossen werden. Werden sie erst nachträglich erkannt und relevant, sind sie im Schiedsverfahren zu lösen. Der Zusammenhang der entsprechenden Bestimmungen macht deutlich, daß eine Doppelzuständigkeit als Folge mangelnder Abstimmung der beteiligten Gewerkschaften nicht einmal vorübergehend gewollt ist. Dies würde zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Grundsatzes "Ein Betrieb, eine Gewerkschaft" und zu erheblicher Rechtsunsicherheit für die Gegenseite führen. Dem ist bei Verzögerung des Schiedsverfahrens nur dadurch Rechnung zu tragen, daß vorläufig diejenige Gewerkschaft zuständig bleibt, deren Zuständigkeit bisher nicht in Frage gestellt wurde. Dieser Grundsatz, es bis zur Klärung einer Rechts- oder Regelungsstreitigkeit beim "status quo" zu belassen, entspricht auch dem allgemeinen Rechtsverständnis und der Zweckmäßigkeit. Für die vorläufige Bevorzugung der bisherigen Alleinvertreterin spricht im übrigen, daß deren Organisationsgrad im umstrittenen Betrieb regelmäßig höher sein dürfte, weil er sich der bisherigen Einschätzung der Tarifvertragsparteien anpassen konnte.

Die sich ihrer Zuständigkeit später berühmende Gewerkschaft wird allerdings dadurch in ihrem satzungsmäßig begründeten Organisationsbereich vorübergehend zurückgedrängt. Diese Einschränkung der Satzungsautonomie ist jedoch ihrerseits Folge der durch die Mitgliedschaft im DGB eingegangenen und wegen legitimer Interessen zulässigen Selbstbeschränkung. Es handelt sich auch nur um eine vorläufige Regelung. Die zurückstehende Gewerkschaft hat es in der Hand, durch Einleitung des Schiedsverfahrens eine Klärung herbeizuführen. Die klärende Entscheidung der Schiedsstelle wird in der Regel zur Festlegung der Alleinzuständigkeit einer der streitenden Gewerkschaften führen. Die Schiedsstelle kann aber, wenn ihr das ausnahmsweise sinnvoll erscheint, auch eine Doppelzuständigkeit bejahen, weil es keinen gesetzlichen Grundsatz gibt, der dies ausschlösse. Die Stellung der unterlegenen Gewerkschaft ist deshalb nicht unzumutbar beeinträchtigt.

c) Der Konflikt kann hingegen nicht dadurch aufgelöst werden, daß dem Arbeitgeber ein Wahlrecht eingeräumt wird. Eine solche Lösung würde dem Grundsatz widersprechen, daß jeder Verband seinen Organisationsbereich unabhängig von den Wünschen potentieller Vertragspartner bestimmt. Das erfordert eine autonome Regelung der Gewerkschaftsseite. Ob dem Arbeitgeber ausnahmsweise ein Wahlrecht zusteht, wenn ein Unternehmen neu gegründet ist und von vornherein mehrere DGB-Gewerkschaften ihre Zuständigkeit geltend machen, kann hier dahingestellt bleiben. Durch die vorläufige Zurückdrängung derjenigen Gewerkschaft, die sich erst nachträglich ihrer Zuständigkeit berühmt, wird jedenfalls nicht in Rechtspositionen eines Arbeitgebers oder seines Verbandes eingegriffen. Diese haben kein Recht darauf, daß eine bestimmte Gewerkschaft als Vertragspartner zur Verfügung steht.

4. Die Rechtsbeschwerde hat daher insoweit Erfolg, als das Landesarbeitsgericht die Feststellung abgelehnt hat, daß nur eine der beteiligten Gewerkschaften (also entweder die IG Medien oder die IG Chemie) für das Werk Neuss der Arbeitgeberin tarifzuständig ist.

Im übrigen ist sie jedoch unbegründet. Allein zuständig ist nicht die IG Chemie, sondern die IG Medien. Diese war vor Entstehen der Konkurrenzsituation von allen Beteiligten als zuständig angesehen worden. Die auf Feststellung der Zuständigkeit der IG Chemie und der Unzuständigkeit der IG Medien gerichteten Anträge der Arbeitgeberin und der IG Chemie sind daher abzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hätte die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den erstinstanzlichen Beschluß, der dem Antrag der IG Medien auf Feststellung ihrer Zuständigkeit stattgegeben hatte, zurückweisen müssen. Zur Klarstellung war der Tenor des Beschwerdebeschlusses dementsprechend neuzufassen.

Dieterich Wißmann Rost

Heisler Rose

 

Fundstellen

Haufe-Index 436847

BAGE 00, 00

BAGE, 314

BB 1996, 2520

BB 1996, 2520-2521 (K)

BB 1997, 636 (L1-2)

DB 1996, 2396 (K)

DB 1997, 734-736 (LT1-2)

DStR 1996, 128 (K)

DStR 1997, 128 (K)

EBE/BAG Beilage 1997, Ls 63/97 (L1-2)

WiB 1997, 706 (L)

ASP 1996, Nr 11/12, 54 (K)

NZA 1997, 609

NZA 1997, 609-613 (LT1-2)

Quelle 1997, Nr 7/8, 24 (L1-2)

RdA 1997, 190 (L1-2)

ZTR 1997, 265 (L1-2)

AP § 2 TVG Tarifzuständigkeit (LT1-2), Nr 11

AP, 0

AP, (L1-2)

AR-Blattei, ES 1550.2.1 Nr 7 (LT1-2)

ArbuR 1996, 501 (K)

EzA-SD 1996, Nr 24, 4 (K)

EzA-SD 1997, Nr 6, 12 (L1-2)

EzA § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Nr 6 (LT1-2)

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